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# taz.de -- Berliner Fashion Week: Eine neue Idee von Mode
> Wird es doch noch was mit der Berlin Fashion Week? Zur Neuausrichtung
> holte der Senat Partner an Bord, die eine neue Dynamik ins Spiel bringen.
Bild: Ein Still aus dem Video der Herbst-Winterkollektion 2021 von GmbH
Berlin taz | Sie kann einem mitunter schon ziemlich unwirklich vorkommen,
die Welt da draußen, mit der wir seit Monaten primär über Bildschirme
verbunden sind. Zoomkonferenzen sollen Gespräche von Angesicht zu Angesicht
ersetzen und Streamingformate all jene Veranstaltungen, zu denen man nicht
mehr gehen kann.
Dem Designerduo Benjamin Alexander Huseby und Serhat Işık von dem Berliner
Label GmbH scheint es jedenfalls so zu gehen. Sie haben sich angesichts
dieses merkwürdigen Gefühls, in einer Zwischenwelt festzuhängen, an einen
Sci-Fi-Fernsehfilm von 1973 erinnert. „Welt am Draht“ heißt die neue
Männermodekollektion von GmbH, die am Freitagabend [1][im Rahmen der
Berliner Fashion Week] – als Video – präsentiert wurde, so wie Rainer
Werner Fassbinders genialer Matrix-Vorläufer über das Leben in einer
computersimulierten Welt.
Wie man sich für diese rüstet? Oder besser noch für die Realität dahinter?
Nach der Vorstellung von GmbH mit einer Mode, deren Schnitte ebenso aus der
Arbeitskleidung ausgeborgt erscheinen wie aus der klassischen Couture des
vergangenen Jahrhunderts. Bestens wäre man so gekleidet für lange
Clubnächte, die es ja irgendwann hoffentlich wieder geben wird.
Huseby und Işık haben ihr Label mit dem bürokratischen Namen GmbH 2016 aus
einem durchaus politischen Verständnis von Mode heraus gegründet. In ihren
Kollektionen, die international irre erfolgreich sind, spiegele sich, so
heißt es oft, ihre Lebensrealität als Nachkommen muslimischer
Einwander*innen in Europa, als Clubgänger*innen und als Kinder
einer krisenhaften Zeit wider.
Abgang nach Frankfurt
Dass die neuen Entwürfe von GmbH auf der Berliner Modewoche gezeigt wurden
(und zeitgleich digital in Paris), ist eine gar nicht mal so kleine
Sensation, die nicht nur mit der Pandemie zusammenhängt. Im vergangenen
Juni hatten [2][die beiden großen Messen Premium und Neonyt, die bis dato
parallel zur Fashion Week stattfanden, ihren Abgang nach Frankfurt am Main
angekündigt], sogar das Ende der Berliner Modewoche stand im Raum.
Totgesagte leben aber bekanntlich länger. Statt die Sache abzublasen,
machte man sich mit finanzstarker Unterstützung des Senats, der für das
Jahr 2021 ganze 3,5 Millionen Euro lockermachte, an eine Neuausrichtung mit
neuen Partner*innen.
Nötig war das zweifellos. Die Berlin Fashion Week, die 2007 gegründet
wurde, dümpelte schon viel zu lange im Abseits vor sich hin, Unkenrufe
waren oft lauter als der Applaus beim Finale der Schauen. Zu kommerziell
war sie ausgerichtet, dabei aber nie wirklich erfolgreich, verschmäht vom
wichtigen internationalen Fachpublikum allein schon aus logistischen
Gründen. Die von den großen Messen festgelegten Termine überschnitten sich
mit Schauen in Paris. Dagegen hatte Berlin nie eine Chance. 2009 war die
einflussreiche Modekritikerin Suzy Menkes einmal da. Davon sprechen manche
noch immer.
Die Verlegung der Berliner Termine im Abgleich mit dem internationalen
Modekalender war „für uns die Bedingung, mitzumachen“, sagt Mumi Haiati. Er
ist Gründer und CEO der Kommunikationsagentur Reference Studios, die für
das Magazin und Modelabel 032c, für Carhartt WIP, Our Legacy oder auch
Universal Music arbeitet, und einer, der dem Treiben eine neue Richtung
geben könnte. Sein [3][Reference Festival] versammelte von Donnerstag bis
Samstag auf einer virtuellen Plattform illustre Gäste, die für eine neue
Idee von Mode und deren kulturelle Innovationskraft stehen, auch wenn sie
sich vielleicht eigentlich in Musik, Tanz oder Kunst, angrenzenden oder
übergreifenden Disziplinen ausdrücken. Auch die Präsentation von GmbH fand
dort statt.
Musen an Bord
So war am ersten Abend das Berliner Elektroniklabel Pan zu Gast, Amnesia
Scanner spielten unter anderen, die [4][Künstlerin Anne Imhof] und ihre
Partnerin Eliza Douglas steuerten eine Performance bei. 032c feierte auf
dem Festival sein 20-jähriges Jubiläum. Techno-Künstlerin und
Trans-Aktivistin Honey Dijon sprach mit Kurator Hans Ulrich Obrist. Eine
virtuelle Ausstellung gab es auch.
Als Musen bezeichnet Haiati die Kreativen, die sie an Bord holten, und
deren Auswahl auch als strategisch. Kontext und Substanz wollten sie
schaffen, einen neuen Standard etablieren mit Menschen, die für eine mit
Berlin assoziierte Modekultur stehen. Denn eigentlich – und das ist das
Irre an der Sache mit der Berliner Fashion Week – könnte das mit Berlin und
der Mode ziemlich gut passen. Lang ist die Liste der Großen aus dem
internationalen Design- und Modebetrieb, die Berlin lieben, Berlin mit
seinem rauen Charme des Unfertigen. Demna Gvasalia, Kreativdirektor bei
Balenciaga, ist zum Beispiel so einer.
Nur hat sich dieser Geist bislang von der Fashion Week ferngehalten.
Reference Studios sind nicht die einzigen Neuen bei der Fashion Week, die
das ändern, Berlin wieder cool machen wollen und eventuell auch können. Das
Modemagazin Highsnobiety veröffentlichte unter dem [5][Tag „Berlin,
Berlin“] verschiedene Onlineformate, konzipierte eine immersive
Gruppenausstellung, bei der man sich Kunstwerke per Smartphone in die
eigene Wohnung projizieren konnte, und bot passenden Merch an. Ein weißes
T-Shirt und ein schwarzer Hoodie mit Aufdruck für alle, die immer schon mal
für die Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe Reklame
laufen wollten. Der ist schließlich alles zu verdanken.
Auch die gar nicht einmal wenigen anderen digitalen Veranstaltungen und
Plattformen, die vergangene Woche stattfanden und ein unübersichtliches
Konvolut bildeten – ähnlich wie bei einer physischen Modewoche. Nur dass
vielleicht ein bisschen mehr geredet als präsentiert wurde, meist über
Nachhaltigkeit und über Digitalisierung. Nicht alle Konzepte gingen gleich
gut auf, aber eine gewisse Aufbruchstimmung herrschte vor.
Ein paar Weichen sind nun gestellt, aber es muss langfristig etwas
geschehen, Berlin muss dranbleiben. Die kommenden Jahre werden entscheidend
sein. Dranbleiben wollen auch Reference Studios. Im Juli soll das Festival,
wenn möglich, nicht mehr nur am Bildschirm laufen. Dann wird auch der oder
die Gewinner*in des Nachwuchspreises verkündet, den die
Kommunikationsagentur gemeinsam mit der Mailänder Streetwear-Plattform Slam
Jam auslobt. Vielleicht ist es der oder die nächste Hoffnungsträger*in
für die Berliner Mode.
25 Jan 2021
## LINKS
[1] /Berlin-Fashion-Week-diesmal-nur-digital/!5741657
[2] /Fashion-Week-verlaesst-Berlin/!5689349
[3] http://www.referenceberlin.com/
[4] /Goldener-Loewe-bei-der-Venedig-Biennale/!5408580
[5] https://www.highsnobiety.com/tag/berlinberlin/
## AUTOREN
Beate Scheder
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