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# taz.de -- Zum Tod von Pierre Cardin: Unkonventioneller Modepionier
> Pierre Cardin stand für radikal futuristische Mode-Visionen und für
> überbordende Lizenzgeschäfte. Jetzt ist der große Modepopulist gestorben.
Bild: 1958 präsentiert Pierre Cardin in der Vorweihnachtszeit in seinem Salon …
Der Name Pierre Cardin steht für radikal futuristische Mode-Visionen und
überbordende Lizenzgeschäfte. Die skulpturalen Minikleider und Overalls des
Couturiers prägten maßgeblich die Mode der späten 60er Jahre, später
begegnete man seinem Namen vornehmlich auf Regenschirmen,
Schlüsselanhängern, Zigarettenschachteln und Lidl-Unterwäsche. Cardin brach
nicht nur mit seinen experimentellen Designs, sondern auch mit seiner
kommerziellen Strategie jegliche Konvention der Modewelt – und das gleich
ab Beginn seiner Karriere.
Nach seiner Lehre bei Dior gerade erst als Haute Couture-Designer
etabliert, entschloss Cardin 1959, auch Prêt-à-porter-Mode zu entwerfen –
ein Affront, der ihm den Ausschluss aus der Chambre Syndicale de la Haute
Couture einbrachte. Der quersinnige Designer ließ sich davon nicht beirren.
Die Schneider der Modehauptstadt kopierten ohnehin die Entwürfe der großen
Couturiers, warum sollte er nicht gleich selbst dafür sorgen, dass seine
Visionen für eine breitere Kundschaft tragbar wurden?
Cardin steuerte unumwunden die Masse an. „Nur Mao ist besser als ich“, ließ
er einmal verlauten, „er hat 900 Millionen Menschen angezogen.“ Um ähnliche
Ziffern zu erreichen, ging Cardin von Anfang an neue Wege, bewarb seine
Entwürfe mit riesigen Plakatwänden auf den Pariser Boulevards und eröffnete
in einer Zeit, in der die Modewelt Männern keinerlei Beachtung schenkte,
die Boutique Adam.
Kreative Kompromisse war Cardin die Massentauglichkeit allerdings nicht
wert. Für die traditionelle Couture-Zielgruppe der Rive Droite fehlte ihm
die Geduld, das machte er immer wieder mit aller Deutlichkeit klar:
„Alternde Frauen mit ihrem blödsinnigen Bedürfnis zu gefallen sind ein
extremes Hindernis für die Arbeit kreativer Modepioniere.“ Stattdessen
entwarf er für die Neue Frau anschmiegsame Hosenanzüge, die Komfort im
Berufsalltag bieten sollten.
## Schneidern ohne Schnittbogen
Cardin war ebenso sehr Globalist wie Futurist. In Japan lehrte er Kenzo und
Hanae Mori das Schneidern ohne Schnittbogen und schuf – inspiriert von der
dortigen Kultur – minimalistisch-skulpturale Kimonos; zum internationalen
Durchbruch verhalfen ihm die von der indischen Nehru-Jacke inspirierten
Anzüge mit rundem Kragen, die die Beatles 1962 auf dem Cover ihrer Single
Love Me Do trugen.
Ende der 60er-Jahre verkaufte er seine Entwürfe für die Massenproduktion
nach China, 1983 eröffnete er Boutiquen in Moskau und wurde damit zum
ersten französischen Designer in der Sowjetunion. Cardins Marktgenie, sein
Sprechen in einfach zitierbaren Aphorismen und seine Vermählung von Pop-
und Hochkultur provozierten immer wieder den Vergleich mit Andy Warhol.
Was für Warhol seine Factory war, war für den französischen Designer der
Espace Cardin auf den Champs-Élysées. Hier präsentierte er seine
Kollektionen, stellte Kunst aus und bot einen Raum für Film und Theater.
Jahrzehnte nach dem großen Durchbruch der 60er-Jahre, als die meisten
Kritiker*innen das Interesse an Cardins Entwürfen verloren hatten, blieb
der Espace Cardin ein Hotspot der Pariser Kunst-Avantgarde.
In der Burg des Marquis de Sade in Lacoste veranstaltete Cardin
Kulturfestivals, seine wenigen Urlaubstage verbrachte er im ikonischen
Palais Bulles, einem aus Kugelstrukturen gestalteten Anwesen des
ungarischen Architekten Antti Lovag. Cardin schuf sich seine eigene
Lebenswelt, in dem seine Zukunftsvisionen bereits Realität waren. Dank
seiner zahlreichen Lizenzgeschäfte war es ihm möglich, das Erbe seiner
Marke trotz abnehmenden öffentlichen Interesses weiterzuführen.
Ab den frühen 90er Jahren ließ er in seinen Designs die Cardin-Blütezeit
der 60er aufleben und zeigte seine mittlerweile retrofuturistischen
Entwürfe in spektakulären Schauen auf dem Roten Platz in Moskau und in der
Wüste Gobi. Ohne Manager und Teilhaber führte [1][Cardin sein Modehaus bis
zuletzt komplett autonom]. Er verstarb am 29. Dezember im Alter von 98
Jahren in Paris.
30 Dec 2020
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## AUTOREN
Donna Schons
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