# taz.de -- Ungeduldiges Warten auf die echte Schau: Die Modernistin | |
> Claudia Skodas längst überfällige Berliner Retrospektive „Dressed to | |
> Thrill“ kann online besucht werden. Zum Katalog gibt es einen kleinen | |
> Film. | |
Bild: Claudia Skoda posiert auf dem Dach von fabrikneu in ihrer Kollektion „S… | |
Claudia Skoda wollte nie wirklich in die Mode, obwohl sie direkt | |
hineingeboren wurde, wie sie im Gespräch bekennt: „Mein Vater hatte in | |
Steglitz, in der Schloßstraße eine Maßschneiderei. Er hatte wirklich Stil. | |
Oft hat er auf Stoffproben mit Schneiderkreide sehr elegant angezogene | |
Männer gezeichnet oder manchmal eine Dame im Kostüm mit einem kleinen Hund. | |
Die hat er ins Schaufenster gestellt. Schon als Kind liebte ich seine | |
Entwürfe.“ | |
Skoda, die gerade im Berliner Kulturforum mit „Dressed to Thrill“, einer | |
großen Retrospektive samt dickem Katalog, geehrt wird, wächst in den 1950er | |
und frühen 1960er Jahren in Westberlin heran. Als Jugendliche erlebt sie | |
jene Ära, in der die geteilte Stadt noch das „Schaufenster des Westens“ | |
ist. | |
Eine Modestadt, in der trotz der Vernichtung der jüdischen | |
Konfektionsbetriebe durch die Nazis wieder Aufbruchsgeist herrscht. 1960 | |
gibt es 2.500 Produktionsstätten für Kleidung in Berlin. [1][Designer wie | |
Uli Richter] und Heinz Oestergaard kleiden Schauspielerinnen und die Frauen | |
der High Society aus dem Grunewald ein. | |
Auch Skodas Stiefmutter fertigt Kostüme für die Stars an, die nebenan im | |
Titania-Palast auftreten, einem Kino aus den 1920er Jahren, in dem nach dem | |
Krieg die Filmfestspiele, Musicals und Revuen stattfinden. „Dort traten | |
auch die Kessler-Zwillinge auf, die beide nebenher ein Verhältnis mit | |
meinem Vater hatten, der ein ziemlicher Womanizer war“, erzählt Skoda. | |
„Meine Stiefmutter hat mir immer modische Sachen genäht aus den teuersten | |
Stoffen. Die sie dann vor meinen Augen auch wieder zerschnitten hat, wenn | |
sie sauer auf meinen Vater war, der schon wieder eine neue Freundin hatte.“ | |
Zwanzig Jahre später ist sie selbst ein Modestar – eine Designpionierin, | |
deren Werk Mode, Musik, bildende Kunst, Performance, Fotografie und Film | |
vereint. Der Mythos Westberlins der späten 1970er und frühen 1980er ist | |
untrennbar mit ihr verbunden. | |
„fabrikneu“ heißt die Loft-Etage in einem Kreuzberger Gewerbehof, [2][in | |
dem sie seit 1972 mit Künstlern und Musikern arbeitet und lebt]. Martin | |
Kippenberger, Manuel Göttsching von Kraftwerk, Iggy Pop, David Bowie, | |
[3][Ulrike Ottinger, die Künstlerin und Kostümbildnerin Tabea Blumenschein] | |
gehen ein und aus, sämtliche Heros dieser Zeit. | |
Auf den frühen Modenschauen tritt 1977 die Londoner Punk-Band Vibrators | |
auf, Models wie die Züricher Performerin und [4][Edelprostituierte Irene | |
tanzen] über einen von Kippenberger mit Hunderten von Fotos collagierten | |
Laufsteg. Birds, Skodas Schau 1979 in der Berliner Kongresshalle, setzt | |
neue Maßstäbe für die Präsentation von Mode. | |
## Generationsprägender Stil | |
Hier lässt sie zu Göttschings Elektro-Sounds Models und die heftigen Maler | |
vom Moritzplatz wie Salomé und Luciano Castelli in einem riesigen | |
Stahl-Käfig wie schillernde Vögel agieren und von Trapezen baumeln. | |
Skodas Stil aus dieser Zeit, die Pullover mit konstruktivistischen Designs, | |
die an Blitze, expressive Pinselstriche oder Bildstörungen erinnern, | |
[5][ihre Schlauchkleider,] die den Körper mit Volants, Wülsten, | |
Strickmaterialien wie Bast oder Draht modellieren, wird prägend für eine | |
Generation. | |
Auch ihre späteren Kollektionen wie „Trommelfeuer“ (1982), in der sie die | |
Ästhetik der Russischen Avantgarde mit sowjetischer Symbolik und den | |
scherenschnittartigen Formen von Matisse vereint, schreiben Modegeschichte | |
– wieder als Ausdruck von einem berlintypischen Stil. | |
Doch tatsächlich ist ihre Mode international. Ihre Wurzeln liegen auch in | |
ihrer Beziehung zu London, wohin sie in den späten 1960ern und frühen | |
1970ern oft reist. Es ist das coole London im Übergang von der Beat- und | |
Hippie-Ära zu Glam-Rock, Jetset und Disco. Die Szene sieht man in „A Bigger | |
Splash“ (1973), dem berühmt-berüchtigten Film, der um das damalige Leben | |
von David Hockney kreist. | |
## Der neue Look ist romantisch, sinnlich | |
Gezeigt wird auch ein Modeevent [6][von Ossie Clark] und Celia Birtwell, | |
dessen Energie an Skodas spätere Schauen denken lässt – die Modelle | |
performen, tanzen, Künstler und Rockstars sind die Kunden. Wie Clark sind | |
viele Designer von der britischen und französischen Moderne inspiriert – | |
von der Ornamentik von William Morris, den Entwürfen der | |
Arts-and-Crafts-Bewegung, von Art-Déco, von edwardianischer Reformkleidung, | |
der Haute Couture von Madeleine Vionnet oder Charles James. | |
Der neue Look ist romantisch, sinnlich, beschwört eine hedonistische | |
Pop-Boheme. Barbara Hulanicki eröffnet 1973 in Kensington ein ganzes | |
Biba-Kaufhaus im Art-Déco-Look. „Biba mit dem Rainbow Room und den | |
riesengroßen Korbstühlen und den Flamingos auf dem Dach war ein Muss für | |
mich“, erinnert sich Skoda. Genauso wichtig sind ihr Designer*innen wie | |
[7][Zandra Rhodes] oder [8][Bill Gibb]. | |
Dass Stricken damals so heiß ist, liegt nicht nur an dem feministischen, | |
[9][intellektuellen Ansatz von Sonia Rykiel,] sondern auch an dem heute | |
kaum noch bekannten Schotten, der Twiggy einkleidete, Bianca Jagger und | |
Cecil Beaton zu seinen Fans zählte. Er lässt seine Strickjacken wie Kimonos | |
aussehen, stattet seine Strickkostüme mit Leggings, Stulpen, hohen Krägen | |
wie Rüstungen aus der Renaissance aus, taucht sie in die Ornamentik von Op | |
Art und Art Nouveau. | |
Niemand außer Skoda kann es bis heute in der Strickmode mit Gibbs Gefühl | |
für Farbe und Textur aufnehmen. Doch sie nimmt diese Einflüsse nicht | |
einfach mit, sondern schafft aus diesem Konglomerat von Stilen etwas Neues. | |
Sie konfrontiert die retro-modernen Schnitte mit der konstruktivistischen | |
Moderne, mit Bauhaus. Ihre Entwürfe werden dabei immer experimenteller, | |
asymmetrischer, ihr Umgang mit Farbe und Fläche härter, provokanter, | |
sexueller – wie auch die Kultur, die auf Punk und Wave zusteuert. | |
## Das vergessene moderne Vokabular wiederbelebt | |
Schon lange bevor in den 1980ern die Kunst der sowjetischen Avantgarde | |
durch New-Wave-Magazine und Plattencvover in die Massenkultur vordringt, | |
bringt Skoda sie in die Mode. Mit Malewitsch oder Rodtschenko ist Mitte der | |
1970er noch keine Blockbuster-Show zu machen. Die meisten Werke der | |
russischen Avantgarde sind noch nicht einmal im Westen. In den | |
Mittsiebzigern fliegen Le-Corbusier-Liegen und Bauhaus-Kannen noch auf den | |
Sperrmüll, weil „modern“ etwas anderes ist. | |
Wie Imi Knoebel und Blinki Palermo in der bildenden Kunst eignet sich Skoda | |
dieses fast vergessene moderne Vokabular an und nimmt ihm das historische | |
Pathos. Sie verwurstet es mit Hollywood-Glamour, Rock, Fetisch- und | |
SM-Zitaten. Sie nutzt es auch, um dem Feminismus und der schwul-lesbischen | |
Subkultur einen anderen Look zu verpassen, weg vom alten Hippie-Image. | |
„Zu unserer Haltung gehörte, dass man sie auch nach draußen trug, nicht nur | |
zu Hause im Stübchen zelebrierte. Man ist damit rausgegangen, man wollte es | |
auch zeigen“, sagt die Frau, die heute noch immer mit der Schwulenszene und | |
einer viel jüngeren Kunstszene verbunden ist, gerade erst eine Kollektion | |
für den Künstler Danh Vō für ein Projekt in Hongkong entworfen hat. | |
## Neue Inspiration aus alten Entwürfen | |
„Ich sehe mich als Modernistin, ich bin keine Nostalgikerin, überhaupt | |
nicht“, betont Skoda. „So wie wir die 20er Jahre, die Moderne studiert | |
haben oder das Bauhaus, ist die Zeit der wilden 70er und 80er Jahre für die | |
heutige Generation heute vielleicht etwas Ähnliches, was für uns die | |
Moderne war.“ | |
Was hat die Ausstellung im Kunstgewerbemuseum für sie verändert? „Meine | |
wichtigste Inspiration im Augenblick sind gerade meine alten Sachen, die | |
ich dekonstruiere und weiterentwickle. Wenn die Ausstellung nicht gewesen | |
wäre, dann hätte ich das gar nicht wahrgenommen. Aber wenn ich im | |
Nachhinein sehe, was ich über vierzig oder fast fünfzig Jahre gemacht habe, | |
sind da viele Ideen und Entwürfe, die mich noch total inspirieren.“ | |
2 Feb 2021 | |
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## AUTOREN | |
Oliver Koerner von Gustorf | |
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