# taz.de -- Chemisches Recycling bei Dior: Zurück zum Öl | |
> Dior setzt auf chemisches Recycling, um Verpackungen nachhaltiger zu | |
> machen. Diese Methode kann sinnvoll sein, ist es aber nicht immer. | |
Bild: Künftig ein bisschen nachhaltig verpackt: Luxuskosmetik in einer Hamburg… | |
BERLIN taz | Gerade erst sind Wattestäbchen und [1][Coffee-to-go-Becher in | |
der EU verboten], da verpackt Dior seinen Lippenstift neu. Der „Dior Addict | |
Lip Maximizer“, der seinen Nutzer:innen zu „seidig glatten, optimal | |
hydratisierten und voluminösen Lippen“ verhelfen soll, wird künftig in | |
einer Verpackung verkauft, in der ein Drittel Recyclingmaterial steckt. Der | |
Luxuskonzern LVMH, zu dem Dior gehört, will in den kommenden Jahren fossile | |
Rohstoffe aus seinen Verpackungen eliminieren und setzt laut Mitteilung auf | |
„innovative molekulare Recycling-Technologien“ des US-amerikanischen | |
Chemieunternehmens Eastman. | |
Eastman mit Sitz in Kingsport, Tennessee, setzt auf „chemisches Recycling“. | |
Das bedeutet, Kunststoffe werden durch hohe Temperaturen oder Lösungsmittel | |
wieder in ihre molekularen Bestandteile zerlegt und in ihre Ausgangsform | |
zurückversetzt. Je nach Methode können dabei auch unterschiedliche | |
Kunststoffe zusammen verarbeitet werden. | |
Für das Material aus Tennessee namens Cristal(TM) Renew Copolyester werden | |
Abfälle aus Polyester oder Polyamid – also etwa Pet-Flaschen oder Nylon – | |
mit einem chemischen Lösungsmittel aufgelöst und in Einzelmoleküle zerlegt, | |
die von fossilen Rohstoffen nicht zu unterscheiden sind. Als | |
Ausgangsmaterial werden sie wieder in den Produktionskreislauf eingeführt. | |
Chemisches Recycling, an dem in Deutschland unter anderem auch der | |
Ludwigshafener BASF-Konzern arbeitet, könnte eine Lösung für die großen | |
Mengen alter Verpackungen oder Verbundkunststoffe sein. Noch immer werden | |
nur 47 Prozent aller [2][Kunststoffabfälle recycelt,] der Rest wird | |
verbrannt und dabei höchstens zur Energiegewinnung genutzt. Deshalb hat das | |
chemische Recycling es sogar ins Wahlprogramm der Union für die | |
Bundestagswahl im kommenden September gebracht. Darin heißt es, neben der | |
„Forschung zu Re-Oil-Verfahren“ wolle man „auch das chemische Recycling | |
fördern“. | |
## UBA: Herkömmliches Recycling ist vorzuziehen | |
Das Umweltbundesamt (UBA) ist bislang eher skeptisch gegenüber den neuen | |
Verfahren. Es sieht darin zwar Potenzial für einen nachhaltigen Umgang mit | |
Kunststoffen: Chemisches Recycling sei geeignet, Schadstoffe aus | |
Stoffströmen zu entfernen und auch solche Kunststoffe zu recyceln, bei | |
denen mechanisches Verfahren – also schreddern und neu gießen – nicht | |
geeignet sind. In einem Hintergrundpapier wertete das UBA die Verfahren | |
besser als die Verbrennung. Wo aber herkömmliches Recycling möglich sei, | |
sei es vorzuziehen. | |
Das sieht auch Dieter Stapf vom Institut für Technische Chemie am | |
Karlsruher Institut für Technologie (KIT) so. Er forscht seit Jahren an | |
Verfahren zum chemischen Recycling mit hohen Temperaturen. „PET-Flaschen | |
können bis zu fünf Mal mechanisch recycelt werden“, sagt er, „danach werd… | |
die Polymerketten zu kurz und der Kunststoff erreicht das Ende seines | |
Lebenszyklus.“ An dieser Stelle greife chemisches Recycling. Auch bislang | |
gar nicht recycelbare Dinge, etwa Schaumstoffmatratzen, seien Gegenstand | |
intensiver Forschung. Es müsse für chemisches Recycling nicht mehr Energie | |
aufgewendet werden als für mechanisches, sagt Stapf. Schließlich müssten | |
auch in herkömmlichen Anlagen Sortierbänder laufen, Kunststoffe gewaschen | |
und danach wieder eingeschmolzen werden. Doch die Technik sei einfacher und | |
daher billiger. „Wo mechanisches Recyceln Vorteile hat, sollte man es | |
einsetzen“, sagt Stapf. | |
## Energiebilanzen fehlen | |
Die Circular Economy Initiative Deutschland stellte [3][in einer | |
Übersichtsstudie zu Kunststoffverpackungen fest], die „Effizienz, die | |
Wirtschaftlichkeit sowie die Beiträge der unterschiedlichen Verfahren zum | |
Klimaschutz“ seien bislang strittig. Bevor die Techniken in einen breiten | |
Einsatz kämen, müssten „jedoch für die einzelnen chemischen Verfahren noch | |
Energiebilanzen erstellt, Emissionen geprüft, Gesundheitsrisiken analysiert | |
und die Umweltbilanz im industriellen Maßstab betrachtet werden“. Dann | |
bestehe die Chance, dass sich aus dem breiten Spektrum an Verfahren | |
Schlüsseltechnologien herauskristallisieren, die entscheidend zu einer | |
klimaneutralen Kreislaufwirtschaft beitragen könnten. | |
Henning Wilts, Abteilungsleiter Kreislaufwirtschaft am Wuppertal Institut, | |
hält deshalb derzeit wenig davon, chemisches Recycling für | |
Kosmetikverpackungen einzusetzen. „Alle Verfahren des chemischen Recyclings | |
setzen mehr CO2 frei als mechanische“, sagt Wilts. Würden an sich | |
recyclingfähige Verpackungen aus dem gelben Sack, die gut sortiert und | |
deshalb auch mechanisch zu bearbeiten seien, im chemischen Recycling | |
landen, sei das „eine katastrophale Fehlentwicklung“. Dann würden nicht nur | |
etablierte, nachhaltigere Verwertungswege zerstört. „Die Hersteller von | |
Verpackungen könnten sich von der Pflicht entbunden fühlen, leichter | |
recycelbare und ressourcenschonende Kunststoffverpackungen zu entwerfen“, | |
sagt Wilts. Genau darauf komme es aber in einer künftigen | |
Kreislaufwirtschaft an. | |
5 Jul 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Experte-ueber-EU-Verbot-fuer-Einwegplastik/!5779354 | |
[2] /Plastikrecycling-in-Indien/!5701902 | |
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## AUTOREN | |
Heike Holdinghausen | |
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