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# taz.de -- Gesetz zu Mehrweg-Verpackungen: Becher, Becher, du musst wandern…
> Wer Getränke oder Essen to go verkauft, muss seit dem 1. Januar
> Mehrweggefäße anbieten. Bringt das weniger Müll? Sieben Fragen und
> Antworten.
Bild: Plastikbecher haben ein kurzes Leben. Pfandbecher sollen sie langfristig …
Sind Einweg-Pappbecher bald verboten wie Plastikstrohhalme?
Erst mal nicht. Anfang Januar ist zwar ein neues Verpackungsgesetz in Kraft
getreten: die Mehrwegangebotspflicht. Es ist aber kein Verbot, To-Go-Becher
und Burger-Schachteln bleiben weiterhin erlaubt. Neu ist: Betriebe, die
ihren Kund:innen Essen oder Getränke zum Mitnehmen anbieten, müssen
zusätzlich Mehrwegverpackungen anbieten. Das Gesetz betrifft sogenannte
Letztvertreibende, also alle, die Lebensmittel „to go“ verkaufen.
Restaurants, Cafés und Bistros, aber auch Kantinen, Tankstellen,
Supermärkte oder Cateringbetriebe.
Von der Pflicht ausgenommen sind kleinere Imbisse oder Kioske, in denen
fünf oder weniger Beschäftigte arbeiten und deren Laden kleiner ist als 80
Quadratmeter. Sie müssen Kund:innen stattdessen mitgebrachte Dosen und
Becher befüllen. Für Ketten, etwa Bahnhofsbäckereien, besteht die Pflicht
auch bei kleiner Verkaufsfläche, wenn die Firma insgesamt mehr als fünf
Mitarbeiter:innen hat.
Wie groß ist das Problem mit dem Einwegmüll wirklich?
Laut der Deutschen Umwelthilfe werden in Deutschland in jeder Stunde
[1][320.000 Einwegbecher] für Kaffee und andere To-Go-Getränke verbraucht,
jährlich sind das fast drei Milliarden Stück. Jede Menge Müll also. Pappe
ist dabei nicht besser als Kunststoff: Pappbecher werden beschichtet, sind
damit nicht mehr zu recyceln und geben möglicherweise giftige Substanzen an
ihren Inhalt ab. Und es geht nicht nur um Becher: Auch für Salate oder
Pommes muss es künftig Teller oder Schüsseln geben.
Mehrweg als Pflicht – wie funktioniert das genau?
Im Detail weiß das noch kaum jemand, denn das Gesetz ist an vielen Stellen
schwammig formuliert. Es fehlt an Vorgaben zur Umsetzung, klagen Experten
wie Hennig Wilts, Experte für Kreislaufwirtschaft beim Wuppertal-Institut
für Klima. Die Regelung schreibt etwa vor, Mehrwegangebote müssten
gegenüber Einwegverpackungen gleichwertig sein. „Was heißt das?“, fragt
Wilts. „Ab wie viel Euro Pfand ist ein Mehrwegbecher nicht mehr
gleichwertig zu seinem Wegwerfkonkurrenten? Ist es Verbraucher:innen
zuzumuten, verschiedene Apps herunterzuladen, um damit ihr Mehrweggeschirr
zu organisieren?“ Solche Fragen werden, so prognostiziert Wilts, lustige
Diskussionen vor den Verwaltungsgerichten ergeben, wenn etwa die Deutsche
Umwelthilfe oder Kommunen Betriebe verklagten, weil sie das neue Gesetz
nicht richtig umsetzten.
Es ist schon Januar und bei mir im Café um die Ecke gibt es keine
Mehrwegbecher. Woran könnte das liegen?
Erst mal drohen „wilde Zeiten“ vermutet Patrick Rothkopf, Hotelier aus
Euskirchen und Präsident des Hotel- und Gaststättenverbandes Dehoga in der
Region Nordrhein. Nicht alle setzen das Gesetz schon um. Viele Cafés und
Restaurants hätten in den vergangenen Jahren mit coronabedingten
Schließungen und explodierenden Energie- und Lebensmittelpreisen harte
Zeiten erlebt, „die haben andere Sorgen als Mehrwegverpackungen“.
Allerdings habe es zahlreiche Informationsangebote gegeben. „Eigentlich
müssten alle Bescheid wissen, die es betrifft“, sagt Rothkopf.
Bedeutet Mehrweg automatisch weniger Müll?
Nicht unbedingt. Wenn die unterschiedlichsten Mehrweggeschirr und -boxen,
die demnächst in Umlauf sein werden, nicht überall tauschbar sind, können
Verbraucher:innen Gefäße nur bei teilnehmenden Geschäften
zurückbringen. Komplizierte Systeme könnten dazu führen, dass Kundinnen
Becher und Boxen zu Hause horten. Im schlimmsten Fall landen sie im Müll.
Die Ressourcenverschwendung wäre dann im Zweifel höher als bei
[2][Einwegverpackungen], weil eine stabile Plastiktasse, die auch in die
Spülmaschine kann, mehr Energie in der Produktion verbraucht als ein
Einwegbecher.
Noch ein Problem: Mehrwegbehälter müssen gereinigt werden und die Reinigung
muss die gesetzlichen Vorgaben für Lebensmittelhygiene einhalten. Wenn
große Ketten wie etwa Tchibo eigene Lösungen einführen und dann Becher aus
verschiedenen Orten zum Abspülen herumfahren, könnte das zu langen
Transportwegen führen und damit zu mehr Umweltbelastung. Experten
empfehlen, bestehende, funktionierende Strukturen wie etwa
Pfand-Rücknahmeautomaten in Supermärkten zu nutzen, und den Aufbau teurer
Parallelstrukturen zu vermeiden.
Bei der Bierflasche funktioniert das Wiederverwenden doch schon super,
oder?
Die Bierflasche war lange ein Vorbild für die Vorteile von
Mehrwegverpackungen, ja. Aktuell ist sie aber eher ein Omen für absehbare
Probleme solcher Systeme. Jahrzehntelang funktionierte der Mehrwegpool der
Brauereien gut. Sie teilen sich rund vier Milliarden Flaschen, reinigen sie
in eigenen Waschanlagen. Dann befüllen sie die Flaschen und kleben ihr
Etikett darauf. Bierflaschen kommen auf eine Mehrwegquote von 78 Prozent,
deutlich mehr als andere Getränkeverpackungen. Allerdings: Die Pool-Lösung
bröckelt. Immer mehr Brauereien setzen auf eigene, wiedererkennbare
Flaschen, die nach Gebrauch wieder zu ihnen zurückgebracht werden müssen.
Immer mehr Kilometer legen die Flaschen zurück, immer schlechter wird
dadurch ihre Ökobilanz. Je weniger kompatible Flaschen unterwegs sind,
desto weniger taugt das System zum Vorbild.
Wie sähe eine gute Lösung aus?
Vielleicht bewirkt sogar das Gesetz selbst am Ende eine gute Lösung. Nicht
alle sind da so pessimistisch. Birgit Nimke-Sliwinski zum Beispiel, bei der
Berliner Stadtreinigung für das Thema Wiederverwendung zuständig, ist
zuversichtlich. „Ein Bistro oder Restaurant braucht ja nur einen Vertrag
mit einem Anbieter von Mehrwegsystemen zu unterschreiben, dann kann es
schon losgehen“, sagt sie. Zusammen mit der Berliner Verwaltung [3][bietet
die Stadtreinigung eine Website an], auf der sich Firmen über verschiedene
Mehrwegangebote, die es schon gibt, informieren können.
Laut Birgit Nimke-Sliwinski muss es nicht einmal unbedingt ein Problem
werden, wenn Wettbewerb eine Vielfalt von Modellen hervorbringt. „Meistens
werden Kaffee oder Salat immer im selben Café oder Supermarkt gekauft“,
sagt sie. „Die Kunden kommen dort sowieso häufiger vorbei und können ihre
Verpackungen abgeben.“ Außerdem bringen viele eigene Mehrwegbehälter zum
Befüllen mit. Man dürfe die Schwierigkeiten nicht überhöhen, meint die
Expertin.
Auch Caroline Kraas, die bei der Umweltorganisation WWF für Verpackungen
zuständig ist, ist für Pragmatismus. „Wir wollen eine bestmögliche
Umsetzung erreichen“, sagt Kraas, „und uns nicht lange damit aufhalten, an
welcher Stelle das Gesetz noch nicht ausgereift ist.“ Der WWF hat mit
anderen Akteur*innen eine [4][Allianz für die Mehrwegpflicht] gegründet
und sucht nach Beispielen, wo es in Kommunen und Betrieben jetzt schon
besonders gut läuft. „In drei bis fünf Jahren wird sich alles
zurechtgeruckelt haben“, sagt Caroline Kraas. Erst mal anfangen, das zählt.
7 Jan 2023
## LINKS
[1] https://www.duh.de/becherheld-problem/
[2] /20-Jahre-Einwegpfand/!5905822
[3] https://betterworldcup.de/berlin/
[4] https://mehrweg-einfach-machen.de/
## AUTOREN
Heike Holdinghausen
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