# taz.de -- Comics über Feminismus im Globalen Süden: Die Kämpfe indigener F… | |
> Quechua-Frauen sind stark: Die Comicsammlung „Movements and Moments“ | |
> richtet den Fokus auf indigene feministische Aktivismen aus dem Globalen | |
> Süden. | |
Bild: In der Story „Lasst den Fluss frei fließen“ entblößen sich Kalinga… | |
Warum ermutigen Feministinnen Frauen dazu, ihre Ehemänner zu verlassen, | |
wird Helen Quiñones Loaiza in ihrer Radiosendung gefragt. Sie ist | |
feministische Aktivistin und Pädagogin, wohnhaft im peruanischen Cusco. Mit | |
ihrer Sendung, die sie auf Quechua hält, einer indigenen Sprache aus dem | |
Andengebiet, erreicht Loaiza Hunderte Frauen in ländlichen Regionen des | |
einstigen Inkareichs. Zu ihnen spricht sie über sexuelle Rechte, | |
Teenagerschwangerschaften, Verhütung und legale Abtreibung – Themen, zu | |
denen viele der Andenbewohner*innen sonst kaum Zugang haben. | |
Ihre Erfahrungen als feministische Aktivistin, alleinerziehende Mutter und | |
besonders die als indigene Frau hat Loaiza in einer Graphic Novel | |
verarbeitet. „Warmimasiy“ heißt der Comic, für den Illustratorin Trilce | |
García Cosavalente die Zeichnungen fertigte. „Warmimasiy“ ist Quechua und | |
bezeichnet die gleichberechtigte Freundschaft zwischen Frauen. | |
„Quechua-Frauen sind stark“, sagt Cosavalente in einem Interview. Sie | |
organisieren sich, helfen einander und kämpfen gemeinsam gegen Rassismus | |
und Diskriminierung. | |
Ähnlich ist es bei den Mapuche-Frauen in Chile, den Cholas in Bolivien, den | |
Êdê in Vietnam oder den philippinischen Kalingas. Ihr Kampf für | |
Gleichberechtigung ist auch einer für den Erhalt der Erde und somit gegen | |
die kapitalistische Ausbeutung des Planeten. Indigene Völker sind daher | |
wichtige Verbündete, wenn es um das Leben mit den Folgen des Klimawandels | |
geht. „Sie verfügen über ein in Jahrtausenden gewachsenes Wissen darüber, | |
wie sie den durch den Klimawandel erzeugten Gefahren begegnen müssen, wie | |
sie sie verringern oder sich an sie anpassen können“, schrieb dazu unlängst | |
Alejandra Ancheita, die Gründerin der mexikanischen | |
Menschenrechtsorganisation ProDesc, [1][hier im Blatt]. | |
## In Comics verpackt | |
Überall auf der Welt kämpfen Indigene für ihre Landrechte, verhindern etwa | |
Staudämme und setzen sich für die Rechte marginalisierter Gruppen ein. Eine | |
Plattform, um ihre Geschichten zu erzählen, bietet das Comic-Projekt | |
„Movements and Moments“, initiiert vom Goethe-Institut Jakarta. Es richtet | |
den Fokus auf indigene feministische Aktivismen aus dem Globalen Süden, die | |
international bisher kaum Beachtung finden. Um diese teils sehr | |
unterschiedlichen Perspektiven einem breiteren Publikum zugänglich zu | |
machen, sie kognitiv für Rezipient*innen verschiedener Herkünfte zu | |
öffnen, wurden sie in Comics verpackt. | |
16 Geschichten aus 14 verschiedenen Ländern wählte eine mehrköpfige Jury | |
aus. Zehn der Geschichten, darunter auch die anfangs erwähnte Geschichte | |
von Helen Quiñones Loaiza aus Peru, haben es in einen Sammelband geschafft, | |
den der Berliner Jaja Verlag herausgegeben hat. Die Auswahl dürfte den | |
Verantwortlichen nicht leicht gefallen sein, denn jede der Geschichten | |
birgt ihr eigenes Potenzial. | |
## Für den Erhalt der eigenen Sprache | |
So erzählen Alejandra Retana Betancourt und María José Retana in | |
„Morgennebel“ (auf Spanisch „El corazón de la neblina“) die Geschichte… | |
Doña Herminia Gutiérrez Valencia, eine der wenigen Frauen, welche die | |
Comunero-Bewegung in den siebziger Jahren in Milpa Alta, einem Bezirk von | |
Mexiko-Stadt, prägte. In Grüntönen gehalten und mit etwas klobigem Strich | |
setzen die Autorinnen dieser Nationalheldin ein Denkmal, deren Bemühen bis | |
heute wirkt. Denn in Milpa Alta kämpfen [2][die indigenen Nahuas] auch | |
heute noch um den Erhalt ihrer Sprache – [3][dem aztekischen Nahuatl] – und | |
gegen die Rodung ihres Landstrichs. | |
Auch „Mocha Celis“, eine Geschichte über die gleichnamige, weltweit erste | |
Schule für trans und nonbinäre Menschen in Buenos Aires, sowie ein Comic, | |
der sich mit einer feministischen Bewegung für digitale Rechte in Pakistan | |
beschäftigt, haben es trotz äußerst reizvollem Zeichenstil leider nicht in | |
den Sammelband geschafft. Sie sind auf der Webseite des Goethe-Instituts zu | |
finden und können dort kostenfrei heruntergeladen werden. | |
Die Auswahl derer, die es letztlich in den Band „Movements and Moments – | |
Indigene Feminismen“ geschafft haben, ist aber nicht minder spannend. | |
## Eine nichtbinäre Geschlechterordnung | |
Den Auftakt macht Taís Koshino, die in „Für das Recht auf Existenz“ eine | |
Verbindung zwischen der Kolonialisierung Brasiliens und der Wahrnehmung | |
sexueller Vielfalt im Land schafft. Bevor das Land von den Portugiesen | |
eingenommen und seine Bevölkerung dem christlichen Glauben unterworfen | |
wurde, herrschte dort nicht nur Polytheismus – auch eine nichtbinäre | |
Geschlechterordnung war alltäglich. Die Tupi, eine der über 300 indigenen | |
Ethnien Brasiliens, hatten sogar eigene Begriffe für queere Personen: | |
tibira und çacoaimbeguira. | |
Koshino, 1992 in Brasília geboren, skizziert all dies in ihrem Comic in | |
recht kindlichem Stil. Grobe Flächen und satte Farben in Acryl vermitteln | |
eine Naivität, die im krassen Kontrast zum Inhalt der Erzählung steht. Fast | |
möchte man meinen, dass sie hier mit von außen herangetragenen Stereotypen | |
spielt, einen nach wie vor kolonial geprägten Blick des*der Betrachtenden | |
entlarvt. | |
Sowohl queere als auch indigene Menschen sind in Brasilien besonders stark | |
von Gewalt und Ausgrenzung betroffen. Koshinos Protagonist*innen | |
Yacunã und Yakecan erfahren zumindest Letzteres am eigenen Leib in ihren | |
jeweiligen Communitys. So wird Yakecan, als lesbisch geoutet, zwar von | |
ihrer Familie akzeptiert, darf aber nicht mehr am Toré teilnehmen, einem | |
Traditionstanz der Potyguara. Yacunã, eine Tuxá, wird, weil sie lesbisch | |
ist, sogar von ihren Eltern verstoßen. Letztlich finden beide | |
Protagonist*innen Zuflucht in der Kunst und im Aktivismus mit | |
Gleichgesinnten. | |
In der Kunst vereinen sich die trans und cis Frauen des Aravani Art Project | |
– einem Künstler*innenkollektiv aus Indien. In „Zeiten ändern sich“ | |
erzählen zwei von ihnen, Chandri Narayan und Sadhna Prasad, von der | |
Bedeutung der Freund*innenschaft für queere Communitys und deren | |
Aktivismus. Ähnlich bunt wie bei Koshino, unterscheiden sich die | |
Zeichnungen in ihrem Stil doch sehr. Gerade Linien und kantige Flächen | |
erinnern an kubistische Werke, die oft dunkeln und kräftigen Farben sorgen | |
für den modernen Touch. In ihrem Comic, der eher Reisebericht als | |
Geschichte ist, vermitteln Narayan und Prasad die so kitschige wie schöne | |
Botschaft: „Revolution beginnt im Inneren“ – im Innern eines jeden selbst | |
gleichermaßen wie im Innern einer Gruppe. | |
## Aus dem weiblichen Körper | |
Auch in „Lasst den Fluss frei fließen“ steht eine Gruppe im Zentrum der | |
Erzählung. Hier erzählt das literarisch-feministische Non-Profit-Kollektiv | |
Gantala Press vom Kampf der Kalinga-Frauen – einer Gruppe indigener | |
Aktivist*innen auf den Philippinen. Sie schließen sich zusammen, um in | |
der nördlichen Region Cordillera den Bau eines Staudamms zu verhindern – | |
und das mit vollem Körpereinsatz. Vor bewaffneten Soldaten entblößen diese | |
Frauen unterschiedlichen Alters ihre traditionell tätowierten Körper und | |
zeigen den Angreifern, wo schließlich auch sie ursprünglich einmal | |
herkamen; aus dem weiblichen Körper. | |
Nina Martinez’ Zeichnungen sind eindrücklich, vor allem weil sich die | |
Künstlerin auf ein Drei-Farben-Konzept beschränkt. So markieren Gelb- und | |
Grüntöne Landschaft und Hintergründiges, während die Menschen rotgefärbt | |
die Szenerie bestimmen. Aufgeteilt in Panels, dann wieder | |
seitenübergreifend, führen Martinez’ Zeichnungen in angenehmen Tempo durch | |
die Erzählung – knallgelbe, verschiedenförmige Textblasen stellen | |
Zusammenhänge her. | |
„Gemeinsam sind wir stark“ könnte das allumfassende Motto der gesammelten | |
Comics sein, die Vorstellung eines intersektionalen Feminismus die in | |
ihnen transportierte Moral. Anders als in der eingangs an Helen Quiñones | |
Loaiza gerichteten Frage geht es dem Feminismus nicht darum, Frauen zu | |
ermuntern, ihre Männer zu verlassen. Stattdessen lässt Feminismus | |
„erkennen, dass, wenn du Gewalt erfährst, es nicht so sein sollte. Dass du | |
Wahlmöglichkeiten hast“, wie es in „Warmimasiy“ heißt. | |
17 Jul 2022 | |
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## AUTOREN | |
Sophia Zessnik | |
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