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# taz.de -- Internationaler Comicsalon Erlangen: Endlich wieder nerdige Fachsim…
> Feminismen, Depressionen und ein trans Superheld: Das Programm auf dem
> Comicsalon 2022 zeigte seine Vielfalt in Genres, Themen und
> Akteur*innen.
Bild: Bekannt geworden durch ihre feministischen Comics: Liv Strömquist
Das Jahr 2020 war hart für Comicfans, mussten sie doch coronabedingt auf
das beliebteste Zweijahresereignis verzichten: den Internationalen
Comicsalon Erlangen. Fanden damals nur virtuelle Veranstaltungen statt,
konnte dieses Jahr vom 16. bis 19. Juni endlich wieder alles live und vor
Ort laufen. Ein bunter Mix aus Ausstellungen, Lesungen, Signierstunden,
Messe und Podiumssiskussionen wurde dargeboten – ein in Gänze vielfältiges
Programm.
An Hochschul- und Indie-Comicständen ließen sich zahlreiche junge Talente
entdecken, am Wühltisch in der Sammlerecke manch vergessene Perle
aufspüren. Angeregtes Gequassel und nerdige Fachsimpeleien waren aus allen
Ecken des Salons zu vernehmen. Das bewährte Konzept von 2018, das Festival
zentral um das Markgrafenschloss herum in geräumigen Zelten anzusiedeln,
wurde zur Freude aller beibehalten.
In der Auswahl wie auch in der Anzahl der Ausstellungen hat sich Erlangen
diesmal nicht lumpen lassen. Die immer stärker auftretende neue
Zeichner*innengeneration wird gleich mit mehreren Präsentationen
gewürdigt, wie etwa mit „Vorbilder*innen – Feminismus in Comic und
Illustration“, einer Ausstellung, die zuvor schon [1][in Berlin im Museum
für Kommunikation] zu sehen war.
In der Schau wird der Entwicklung einiger avantgardistischer
Comiczeichnerinnen von den achtziger Jahren bis heute nachgespürt. Sie
verarbeiten oft autobiografische Erfahrungen und nehmen
politisch-feministische Standpunkte ein.
## Migrantische Schicksale und die eigene Familiengeschichte
Die Zeichnerin Birgit Weyhe steht im Zentrum der Ausstellung „vertraut –
fremd. Grafische Literatur“. Der soziologische Blick der in Ostafrika
aufgewachsenen Deutschen lässt sie die eigene Familiengeschichte in
grafischen Fragestellungen und Experimenten erkunden wie auch migrantische
Schicksale in verschiedenen gesellschaftlichen Kontexten.
Zeichnerisch eher roh, jedoch politisch am Puls der Zeit sind die
[2][feministischen Comics der Schwedin Liv Strömquist], die einen Bogen vom
Frauenleben im Mittelalter zum heutigen Selfie-Imperium Kylie Jenners
ziehen. In den letzten Jahren entwickelten sie sich zu wahren Bestsellern –
und Strömquists rot gekennzeichneter Menstruationsfleck am Slip einer
Eistänzerin wurde ikonisch.
[3][Die Comics der Französin Catherine Meurisse] runden den weiblichen
Block mit einer breit gefächerten Schau ab: „L’humour au sérieux“ (zu d…
„Der Humor, ernstgenommen“) zeigt ihre Entwicklung seit ihren Anfängen als
Karikaturistin beim Satiremagazin Charlie Hebdo.
Zahlreiche sehenswerte, hierzulande unveröffentlichte Arbeiten sind zu
entdecken, von frühen bissigen Cartoons bis zu ihren in den letzten Jahren
fast jährlich erscheinenden Graphic Novels (u. a. „Die Leichtigkeit“,
„Weites Land“), in denen sie sich etwa mit der französischen Kultur und
Literatur, aber auch mit Japan und den Auswirkungen der
Charlie-Hebdo-Anschläge auf ihr eigenes Leben auseinandersetzt.
## Zeichnerische psychologische Studien
Ein weiterer Höhepunkt ist die Will-Eisner-Retrospektive, die den
jüdischstämmigen US-Altmeister (1917–2005) als „Graphic Novel Godfather“
inszeniert. [4][Die von Alexander Braun kuratierte Schau] punktet mit
zahlreichen klug ausgewählten Originalen Eisners, die sein virtuoses
Zeichenhandwerk wie sein immensens Erzähltalent pointiert vor Augen führen.
Die „Spirit“-Geschichten aus den 1940/50ern wirken wie gezeichnete „Films
noirs“ und sind zudem präzise pychologische Charakterstudien.
Auch persönlichen Comicwelten wie der des Leipziger Geschwisterpaares
Markus und Christine Färber wurde in kleineren Galerien Raum gegeben.
In ihrer Graphic Novel „Fürchtetal“ entspinnt sich nach dem überraschenden
Suizid ihres schon lange unter Depressionen leidenden Vaters ein Dialog
zwischen den trauernden Geschwistern: Die Journalistin schreibt an ihren
Bruder Textnachrichten, in denen sie für ihre Gedanken und Gefühle Worte zu
finden sucht, und der Zeichner antwortet darauf am selben Tag mit
Comicsequenzen.
Aus diesem Dialog ist ein poetisches, avantgardistisches Werk voller
surrealer Bilder geworden, die in eine psychiatrische Klinik, einen dunklen
Wald und in Wahnvorstellungen führen. „Fürchtetal“ (rotopol Verlag) gehö…
zu den für den Max und Moritz-Preis nominierten Comics, die wichtigste
Auszeichnung für Comics im deutschsprachigen Raum.
## Geschichtenerzählen frei von Stereotypen
Die Preisverleihung, die im Markgrafentheater stattfand, wurde, wie schon
in den Salons zuvor, von Hella von Sinnen und dem Schweizer Journalisten
Christian Gasser moderiert. Birgit Weyhe erhielt den Preis als beste
Comickünstlerin für ihr bisheriges Werk, das sich grafisch innovativ mit
Identitäten auseinandersetzt.
Ihr neuester Comic [5][„Rude Girl“] handelt vom unkonventionellen Lebensweg
einer Schwarzen US-Professorin: Ein Graphic Essay auch über die Frage, wie
man als weiße Comiczeichnerin Geschichten Schwarzer Menschen erzählen kann,
ohne dabei in stereotype Darstellungen zu rutschen.
Der Preis für den besten deutschsprachigen Comic ging an Aisha Franz. Ihre
Graphic Novel „Work-Life-Balance“ handelt von einer zwielichtigen
Therapeutin und einem Trio Hilfesuchender. Die Geschichte hat satirische
Qualitäten, ist pointiert erzählt und witzig gezeichnet. Künstlerisch
herausragende Arbeiten wie „Fürchtetal“ oder „Das Gutachten“ von Jenni…
Daniel gingen leider leer aus.
Erstmals gewann eine trans Person den Preis für den besten internationalen
Comic: [6][In „Dragman“ erzählt der britische Zeichner Steven Appleby]
federleicht von einem Familienvater, der sich in den Superhelden Dragman
verwandelt.
## Von künstlicher Intelligenz und Horror im Comic
Liv Strömquist erhielt für ihr neuestes Werk „Im Spiegelsaal“ den Preis f…
den „Besten Sachcomic“, eine neue Kategorie, die den vielen
Neuerscheinungen in diesem Segment Rechnung tragen will. Naoki Urasawa,
Comiczeichner aus Tokio, wurde für sein herausragendes Lebenswerk mit dem
Sonderpreis ausgezeichnet.
Ein verdienter Preis für einen der wichtigsten japanischen Zeichner der
Gegenwart, der sich auf die deutsche („Monster“) und die japanische
(„Asadora!“) Geschichte bezieht. In „Pluto“ verwebt er Versatzstücke a…
[7][Osamu Tezukas klassischer „Astro Boy“-Serie] zu einem komplexen
modernen Thriller über künstliche Intelligenz.
Überraschend wurde erstmals ein Kunsthistoriker mit dem Spezialpreis der
Jury ausgezeichnet. Alexander Braun, selbst bildender Künstler und Sammler
von Comicoriginalen, hat in den letzten 15 Jahren die wichtigsten
comichistorischen Ausstellungen hierzulande kuratiert, zuletzt „Horror im
Comic“, eine sehenswerte Genre-Erkundung, die derzeit im schauraum: comic +
cartoon in Dortmund läuft. Brauns begleitende Kataloge stellen einen
eigenen Wert dar: Sie stellen die Comics in den Kontext ihrer Zeit und in
Beziehung zur Kunst- und Mediengeschichte.
So war der diesjährige Comic-Salon für Fans und Fachleute nach der
Coronapause ein äußerst bereicherndes Ereignis, das vor allem mit
vielfältigen Ausstellungen, Veranstaltungen und unzähligen
Zeichner*innen vor Ort aufwartete.
21 Jun 2022
## LINKS
[1] /Comicausstellung-in-Berlin/!5779085
[2] /Graphic-Novel-Der-Ursprung-der-Liebe/!5501044
[3] /Graphic-Novel-Weites-Land/!5572468
[4] /Will-Eisners-Lebenswerk/!5764287
[5] /Comic-Rude-Girl-von-Birgit-Weyhe/!5840690
[6] /Graphic-Novels-in-Hamburg/!5838665
[7] /Japanische-Mangas-der-Sechziger/!5849594
## AUTOREN
Ralph Trommer
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