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# taz.de -- Graphic Novel „Der Ursprung der Liebe“: Schrei nach Glück
> Was ist Liebe? Warum machen sich heterosexuelle Paare so oft gegenseitig
> das Leben zur Hölle? Darum geht's im Comic der Schwedin Liv Strömquist.
Bild: Auszug aus Liv Strömquists „Der Ursprung der Liebe“
Liest man die Comics der schwedischen Autorin Liv Strömquist, dann gibt es
Momente, in denen man sich fragt, ob das, was man da zwischen den Händen
hält, [1][eigentlich noch ein Comic ist]. Denn im Laufe ihrer Geschichten
kommt es oft vor, dass die Panels bis zum Rand nur mit Buchstaben gefüllt
sind.
Immerhin sind diese gemalt – entweder schwarz auf weiß, oder weiß auf
schwarz. Manchmal sind sie so groß, dass ein Panel gerade mal Platz für
drei Wörter hat. Als Leser*in fühlt es sich an, als würde man von einem
Megafon angeschrien – oder als wäre man ein schwerhöriger Greis, der nur
versteht, wenn jedes Wort laut, klar und überdeutlich formuliert wird.
Unangenehm ist das aber nicht. Liv Strömquists Versuch, durch diesen
Kunstgriff ihre Leserschaft zu rütteln, schütteln und wachzumachen, wirken
oft lustig und sogar sympathisch. Bei ihrem Thema, ob wir in Sachen
Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern endlich mal vorankommen, sind
wir Menschen sowieso eher schwer von Begriff (siehe #MeToo-Debatte). Es
kann also nicht schaden, mal derart nachdrücklich an der Hand geführt zu
werden. Und Strömquists Bücher sind nicht zuletzt auch sehr informativ.
In ihrem ersten ins Deutsche übersetzten Buch, „Der Ursprung der Welt“,
stellte Liv Strömquist die Kulturgeschichte der weit verkannten Vulva vor.
Bei der Gelegenheit erzählte sie von der Unterdrückung der weiblichen
Sexualität und legte eindrucksvoll dar, wie diese von den absurdesten und
umso hartnäckigeren Theorien aus Religion und Wissenschaft untermauert
wird.
## Zwei sich ergänzende Mängel
Ein weiteres Stück feministischer Aufklärung ist nun unter dem Titel „Der
Ursprung der Liebe“ beim avant-verlag erschienen. Diesmal geht es um die
Liebe an sich, und was das ist, beziehungsweise was man darunter versteht,
wobei Strömquist insbesondere das Miteinander von heterosexuellen Paaren in
der westlichen Welt unter die Lupe nimmt.
So herrschen in dieser Konstellation geschlechtsspezifisch unterschiedliche
Ansichten über die Liebe und die jeweilige Erwartung an eine Beziehung.
Strömquist spricht Klischees an, denen man zwar auch im Alltag begegnen
kann, die aber vor allem in Fernseh-Serien gebetsmühlenartig
durchdekliniert werden, wie sie pointiert hervorhebt.
Kurz gefasst: Männer können nicht allein leben, und sind doch darauf
konditioniert, ihren Gefährtinnen durch den eigenen Egozentrismus das Leben
schwer zu machen. Frauen wiederum lassen sich als Krankenschwester,
Putzfrau oder Ersatzmutter missbrauchen – von Rüpeln, die sie nicht
glücklich machen.
Von einem Paradox (Warum lebt der Mann nicht allein, wenn er doch stets auf
seine Unabhängigkeit pocht?) zum nächsten (Warum bleibt die Frau, obwohl
sie ständig gedemütigt wird?) angelt sich Strömquists Exposé bis zur
bitteren Frage: Ist Liebe schlussendlich nur der pathetische Ausdruck von
zwei sich ergänzenden Mängeln?
## Moderne Märchengestalten
Mit flapsigem Humor und trügerisch naivem Strich legt sie die Mechanismen
emotionaler Abhängigkeit frei und hinterfragt die Besitzansprüche der
jeweiligen Partner*innen. Denn letztlich geht es um Macht – und Frauen sind
in derartigen Konstellationen meist die Leidtragenden.
Die studierte Politikwissenschaftlerin lehnt sich mit dieser Sichtweise
hauptsächlich an die Arbeiten US-amerikanischer Theoretiker*innen, wie etwa
die Gendersoziologin Nancy Chodorow, den Soziologen Randall Collins oder
die Psychoanalytikerin Lynne Layton.
Um deren komplexen Thesen zu illustrieren, beschwört Strömquist
archetypische Liebesgeschichten herauf und rekrutiert ihre
Protagonist*innen ebenso aus der Mythologie wie der aktuellen Promiwelt.
Fern und nah zugleich fungieren Prince Charles und Lady Di, Whitney Houston
oder Britney Spears wunderbar als moderne Märchengestalten, die uns träumen
und fürchten lassen – in guten wie in schlechten Zeiten.
Wenn auch eine gewisse Verzweiflung durch Liv Strömquists Werk sickert,
entpuppt sich „Der Ursprung der Liebe“ doch als leidenschaftliches Plädoyer
für ein bewusstes, von [2][heteronormativen Schranken] befreites Glück.
5 May 2018
## LINKS
[1] /Legendaerer-Berliner-Comicladen-wird-25/!5353385
[2] /Koerpernormierung-im-Genitalbereich/!5475036
## AUTOREN
Elise Graton
## TAGS
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