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# taz.de -- Auschwitz-Gedenken an Täterort: Von hier schickte Hitlers Nachfolg…
> Schleswig-Holstein diskutiert, wie und wo an die Schoah erinnert wird.
> Hat die gastgebende Marine ihre Rolle im NS-Regime hinreichend
> aufgearbeitet?
Bild: Hitlers „unpolitischer“ Nachfolger: Großadmiral Dönitz (m.) nach se…
Hamburg taz | 80 Jahre ist es her, dass [1][sowjetische Truppen das
Konzentrationslager Auschwitz befreit] haben. Und im Mai jährt sich
ebenfalls zum 80. Mal das Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa, die
Kapitulation Nazi-Deutschlands. Ausgerechnet zu diesem runden Jubiläum gibt
es in Schleswig-Holstein eine Debatte über das richtige Gedenken daran.
Woran, das ist schon die erste strittige Frage. Denn der Kieler Landtag hat
sich für eine gemeinsame Gedenkveranstaltung für beide Anlässe entschieden,
am kommenden Montag in der Marineschule Mürwik in Flensburg. Zum 8. Mai,
dem [2][Tag der Befreiung] vom Faschismus, soll es keine eigene
Veranstaltung des Landtags geben – obwohl Schleswig-Holstein ihn 2020
[3][zum offiziellen Gedenktag gemacht] hat.
Die beiden Gedenktage sind eng miteinander verknüpft, da beide auf die
militärische Niederlage Deutschlands zurückgehen. Aber sie sind nicht
dasselbe: Am 27. Januar geht es um die Opfer der Vernichtung in den
Konzentrationslagern, am 8. Mai um die Befreiung aller Deutschen von der
NS-Diktatur.
Die [4][Landesarbeitsgemeinschaft Gedenkstätten und Erinnerungsorte in
Schleswig-Holstein (LAGSH)] hat nun die Verquickung beider Themen in einem
offenen Brief an Landtagspräsidentin Kristina Herbst (CDU) kritisiert.
Darin heißt es: „Völlig unverständlich ist für uns die Entscheidung, zum
80. Jahrestag des Kriegsendes vollständig auf eine eigene
Landtagsveranstaltung zu verzichten.“
Aber auch der Ort des gemeinsamen Gedenkaktes für beide Anlässe stößt den
Erinnerungsarbeiter:innen auf: „Es ist für uns nicht
nachvollziehbar“, schreiben sie, „das Gedenken an die Opfer des NS-Regimes
– zentrale Aufgabe des 27. Januar – am ausgewiesenen Täterort in Mürwik zu
praktizieren“.
Der LAGSH-Vorsitzende Heino Schomaker erläutert: „Wir sehen auch die
Gefahr, dass die Erinnerung an die Holocaust-Opfer nur aus militärischer
Perspektive gesehen wird und ihre Stigmatisierung und gesellschaftliche
Ausgrenzung unter der NS-Herrschaft nicht thematisiert wird.“
Noch schärfer formuliert es Matthias Behring, Landesvorsitzender der
Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschistinnen und
Antifaschisten: „So, wie die Veranstaltung jetzt geplant ist, finde ich es
eine Katastrophe für alle Opfer des Nationalsozialismus.“
Eine Veranstaltung in Mürwik sei allenfalls vorstellbar im Kontext einer
öffentlichen Dauerausstellung in der Kaserne, die die Verantwortung der
Marine aufarbeitet – und sei es als Auftakt dazu. Ohne die sei der
Gedenktag „geschichtsvergessen, dilettantisch und militaristisch
ausgelegt“.
Dass der Marinestützpunkt in Flensburg ein Täterort ist, steht außer Frage:
Von hier aus führte Hitlers Nachfolger als Reichskanzler, Großadmiral Karl
Dönitz, die Regierung [5][in der letzten Tagen vor der Kapitulation],
erließ Durchhaltebefehle, die in den ersten Maitagen noch mal Tausende
Soldaten in den Tod schickten.
## Mythos der „unpolitischen“ Militärregierung
Und von hier verbreitete Dönitz den Mythos von der „unpolitischen“
Militärregierung, der „sauberen“ Marine, die mit den Verbrechen der Nazis
nicht recht etwas zu tun gehabt habe – obwohl in seiner Regierung Männer
waren, die unmittelbar für das System der Konzentrationslager
verantwortlich waren. Und obwohl auch Marinesoldaten in der Spätphase des
Dritten Reichs als Wachmannschaften in Konzentrationslager abgeordnet
wurden.
Der emeritierte Flensburger Geschichtsprofessor Gerhard Paul schreibt
deshalb in einem eigenen Brief an die Landtagspräsidentin gar: „Die
damalige,Marinekriegsschule Mürwik' ist ein Täterort par excellence.“ Die
Entscheidung, „am 27. Januar in der Marineschule in Mürwik der Opfer der
Naziherrschaft zu gedenken“, erscheine ihm „von Unwissen und mangelnder
Sensibilität geprägt“.
Kaum ein Ort in Schleswig-Holstein eigne sich weniger für ein Gedenken an
die Opfer des NS-Regimes, so der Historiker. Auch in Sachen Erinnerung oder
Aufarbeitung der NS-Verbrechen habe sich die Bundeswehr in Mürwik „nie
sonderlich hervorgetan“.
Die Marine wehrt sich gegen solche Vorwürfe. Ein Sprecher teilte auf
taz-Anfrage mit, die Marineschule richte für ihre
Offiziersanwärter:innen bereits seit zehn Jahren
Gedenkveranstaltungen zum 27. Januar aus – gemeinsam mit der jüdischen
Gemeinde Flensburg. „Dann hätte man damals was dagegen sagen müssen – da
verstehe ich jetzt die Aufregung nicht.“
Der Landesvorsitzende der Jüdischen Gemeinschaft in Schleswig-Holstein,
Igor Wolodarski, bestätigt das „sehr gute Verhältnis“. Die Marineschule s…
aktiv in der Bekämpfung des Antisemitismus und für die Sichtbarkeit
jüdischen Lebens. „Gerade an Orten wie Mürwik muss so etwas stattfinden –
um zu zeigen, dass Deutschland sich verändert hat“, sagt er. „Nach der
Logik der Täterorte würden Sie in Deutschland keinen Ort finden, an dem
Gedenken stattfinden kann.“
Auch für Landtagspräsidentin Kristina Herbst ist „die Wahl der
[6][Marineschule Mürwik] als Veranstaltungsort doch gerade das sichtbare
Zeichen, dass der Geschichte etwas entgegengesetzt wird“. Erinnerung, so
teilt sie mit, sei „dauerhafter Schmerz und zugleich dauerhafter Auftrag,
für die Opfer Terrain zurückzugewinnen – physisch wie geistig!“
Die Landtagsabgeordnete der mitregierenden Grünen Uta Röpcke versteht, dass
es gegen den Ort Mürwik Bedenken gibt. Die sieht sie jedoch durch die
Beteiligung jüdischer Verbände in Teilen ausgeräumt: „Das sind ja die Opfer
und Betroffenen, ihnen sollte die Deutungshoheit über die Ausgestaltung des
Gedenkens zustehen.“ Außerdem habe sich die Marine am Standort intensiv mit
der eigenen Geschichte auseinandergesetzt, etwa den Gedenkraum für den
[7][Nazi-Offizier Rolf Johannesson] umgestaltet.
## Büste von Nazi-Offizier nur umgeräumt
Kianusch Stender, Flensburger Abgeordneter der oppositionellen SPD, sieht
das anders: „Die haben [8][die Johannesson-Büste] nur umgeräumt, einen Flur
weiter.“ Und an der benachbarten „Schule für strategische Aufklärung“
prange nach wie vor ein riesiger Reichsadler über dem Eingang.
„Man kann Orte schon umdeuten“, sagt Stender, „aber dann muss auch die
Bereitschaft da sein, die Symbole der NS-Diktatur abzunehmen.“ Er hat
Hoffnung, dass die Debatte darüber nach der Gedenkveranstaltung wieder in
Fahrt kommt.
Sein Fraktionskollege Martin Habersaat ist der Ansicht, man könne in Mürwik
zwar der Kapitulation gedenken – nicht aber der Opfer des Holocaust. Den 8.
Mai am 27. Januar einfach „mitzubegehen“, erscheint ihm „reichlich
verdreht“.
Bis Mai ist noch viel Zeit. Der Landtag könnte durchaus noch etwas auf die
Beine stellen zu 80 Jahre Kriegsende und Befreiung. Nur leider ist da etwas
in der Terminplanung schiefgegangen: Alle Fraktionen befinden sich just in
der Woche auf Reisen. Die Grünen zum Beispiel reisen nach Polen. „Da haben
wir am 8. Mai den ganzen Tag dem Kriegsende und dem Gedenken an den
Holocaust gewidmet“, sagt Röpcke.
Redaktioneller Hinweis: In einer früheren Fassung hatte es geheißen, von
Mürwik aus seien Marinesoldaten als KZ-Wachmannschaften abgeordnet worden.
Das lässt sich nicht belegen. Wir haben deshalb die Textstelle angepasst.
23 Jan 2025
## LINKS
[1] /Gedenken-an-Auschwitz-Befreiung/!6063091
[2] /Gedenktag-8-Mai/!5930089
[3] /Schleswig-Holstein-wuerdigt-Kriegsende/!5765879
[4] https://gedenkstaetten-sh.de/lagsh
[5] /Ende-des-Dritten-Reichs-vor-75-Jahren/!5682829
[6] https://www.bundeswehr.de/de/organisation/marine/organisation/marineschule-…
[7] /Admiral-Johannesson-Preis-der-Marine/!5578561
[8] /Marineschule-ehrt-NS-Konteradmiral/!5509204
## AUTOREN
Jan Kahlcke
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