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# taz.de -- Ortsbesuch am Tatort von einst: Grauen von damals in der Idylle am …
> Am 20. Januar 2025 jährt sich zum 83. Mal die Wannsee-Konferenz. Dort
> planten die Nazis den Mord an Juden bis ins Detail.
Bild: Ein Gefühl des Grauens schwingt beim Vorbeipaddeln am Haus der Wannseeko…
Berlin taz | Da ist es wieder. Dieses Gruseln, dieser zynisch anmutende
Widerspruch. Wenn dieses Haus doch wenigsten in einer öden Weite stünde,
ein betonstarrer Bunker wäre. Aber nein. Das [1][Haus der
Wannsee-Konferenz], heute eine Gedenk- und Bildungsstätte, ist eine Villa
in der beliebtesten Ausflugsgegend im Südwesten Berlins.
Boote sind direkt nebenan festgemacht, ein paar hundert Meter weiter gibt
es eine beliebte Badestelle. Quer über den Wannsee ist das gleichnamige
Strandbad im Blick und nur wenige hundert Meter entfernt lassen sich Bilder
von Max Liebermann in dessen früherer Villa anschauen.
Genau in dieser Ballung von schöner Landschaft, Lebensfreude und
Gutbürgerlichkeit war es, dass 15 Männer sich am 20. Januar 1942 auf die
Grundzüge dessen verständigten, was [2][im späteren Protokoll] als
„Endlösung“ auftaucht: die Ausweitung und Perfektionierung der Ermordung
von schließlich rund sechs Millionen Juden. Mit am Tisch: SD-Chef Reinhard
Heydrich, Adolf Eichmann und der spätere Vorsitzende des Volksgerichtshofs,
Roland Freisler.
## Schon drei Mal verfilmt
Das dreistöckige Gebäude liegt nicht etwa versteckt, sondern gut sichtbar,
sowohl von der Straße wie auch vom Wasser aus. Diese Präsenz führt dazu,
dass stets ein Gefühl des Grauens mitschwingen kann, beim Vorbeiradeln oder
-paddeln. [3][Drei Mal schon] wurde jenes Treffen verfilmt (von Hollywood
bis ZDF) das nur knapp eineinhalb Stunden dauerte und doch so überaus
folgenreich war.
Am Morgen des taz-Besuchs ist der Himmel ähnlich grau und bedeckt wie ihn
Wetteraufzeichnungen für jenen Dienstagmorgen vor 83 Jahren beschreiben.
Minus zehn Grad soll es gehabt haben, als Vertreter von Partei, SS,
Ministerien und der Verwaltung der Ostgebiete sich zu dem trafen, was laut
Einladung eine „Besprechung mit anschließendem Frühstück“ war.
## Das Wie und Wo der Deportationen
Es ging dabei nicht etwa darum, die Ermordung der Juden zu beschließen –
die hatte längst begonnen. Ziel war es stattdessen, die Deportation der
gesamten jüdischen Bevölkerung Europas in den Osten zur Vernichtung zu
organisieren. Es geht laut Protokoll viel um das Wie und Wo und bisherige
Erfahrungen, von denen etwa der SS-Führer Rudolf Lange berichten soll, der
tags zuvor bei Riga noch eine Massenerschießung kommandiert hat. Das ist
heute in eben jenem Raum mit Holzparkett nachzulesen, in dem man mit
Seeblick zusammensaß.
Bei der Nüchternheit und Abgebrühtheit der Äußerungen kann man in den
Verfilmungen kurz hoffen, da habe ein Ministeriumsvertreter doch Skrupel,
weil er unruhig zu werden scheint und schließlich dafür plädiert,
„Mischlinge“ von den Deportationen auszunehmen. Ein Rest an Menschlichkeit?
Nein. Um „Verwaltungsaufwand“ geht es ihm laut Zitat der Ausstellung.
Das Haus der Wannsee-Konferenz hat sich wie andere NS-Erinnerungsorte
vergangene Woche [4][empört über die von der Leitung zeitweise tolerierte
Hörsaalbesetzung der Alice-Salomon-Hochschule] im Ortsteil Hellersdorf
geäußert. „Entsetzt und beschämt“ sei man. Parolen wie „From the River…
the Sea“, „Hamas, mein Liebling“ oder Transparente wie „No Places for
Zionists“, seien unerträglich und nicht hinzunehmen.
Nur zwölf Kilometer weiter westlich, in zweieinhalb Stunden Spaziergangs
immer am Wasser entlang zu erreichen, war im November 2023 in einem
Gästehaus bereits etwas geschehen, was etwa der damalige
SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert als „Wannseekonferenz 2.0“ bezeichnete.
Rechtsextreme und ihnen Nahestehende hatten dort über eine „Remigration“
gesprochen, über eine Ausweisung von Menschen mit Migrationshintergrund.
Der Zentralrat der Juden warnte allerdings schnell vor einem solchen
Vergleich, weil der Holocaust „singulär in der Geschichte“ sei.
## Ein neues Seminarhaus
Das Haus mit der Adresse „Am Großen Wannsee 56–58“ ist indes keine
unveränderte museale Bewahrung des Andenkens an ein Treffen mit
grauenvollen Folgen. [5][Ein neues Seminarhaus], anders als die Villa mit
modern geschwungenem Dach, dient seit Oktober als Tagungsort mit drei
Seminarräumen.
Es liegt am Rande des Parks, der die Villa umgibt, von der es eine leichte
Böschung zum Wannsee hinabgeht, an dessen Ufer mehrere weiße Bänke stehen.
Sitzen und, bei weniger grauem Wetter, sonnen kann man hier, manches
verdauen, was drinnen zu lesen und zu hören gewesen.
Auf einer Stelltafel ist beschrieben, dass nicht alle allein historisches
Interesse herführt: „Für manche scheint vor allem die Funktionalität zu
überwiegen. So wird das Gelände mit seinen Toiletten nicht selten zum
Zwischenstopp auf Fahrradausflügen.“
Aber wäre das so schlimm? Könnte ja auch sein, dass gerade auf dem Gang zum
WC der Blick ungewollt doch an einem Foto, einer Zahl, einem Schriftzug
hängenbleibt – und einen dann auf der Fahrradweiterfahrt noch weiter
nachdenken lässt.
20 Jan 2025
## LINKS
[1] https://www.ghwk.de/de/
[2] https://www.ghwk.de/fileadmin/Redaktion/PDF/Konferenz/protokoll-januar1942_…
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Wannseekonferenz_(2022)
[4] https://www.ghwk.de/de/aktuelles/hoersaalbesetzung-der-alice-salomon-hochsc…
[5] https://www.staab-architekten.com/de/projects/518-seminargebaude-haus-der-w…
## AUTOREN
Stefan Alberti
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