| # taz.de -- Tagung im Haus der Wannsee-Konferenz: Der Judenhass im Trend | |
| > Im Haus der Wannsee-Konferenz wird über die Aufarbeitung der Schoah | |
| > diskutiert. Klaus Lederer fürchtet die Ausbreitung von Antisemitismus bei | |
| > Linken. | |
| Bild: Die Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz | |
| Berlin taz | „Es ist höchste Zeit, dass wir aus dem Schatten des Dritten | |
| Reiches und aus dem Dunstkreis Adolf Hitlers heraustreten und wieder eine | |
| normale Nation werden.“ Der Satz entstammt nicht einer Rede von Alice | |
| Weidel (AfD). So sprach der CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß im Jahr | |
| 1986. Das Zitat gibt einen Hinweis auf Kontinuitäten deutscher | |
| Vergangenheitsbewältigung nach 1945. | |
| Strauß’ Worte sind heute angesichts der wachsenden Zahl rechtsextremistisch | |
| wählender Bürger hochaktuell, genauer gesagt: der dahinter stehende Wunsch, | |
| die Nation möge ihre Untaten vergessen, Verantwortung leugnen und sich | |
| selbst zum Opfer umdefinieren. | |
| „Nach der Shoah – und dann?“ lautete der Titel eines von der [1][Berliner | |
| Gedenkstätte Haus der Wannsee-Konferenz] organisierten | |
| Diskussionsnachmittags zur Frage, wie die Bewohner dieses Landes die | |
| Befreiung von 1945 betrachten. Die Ablehnung jeglicher Reflexion und der | |
| Wunsch nach einem „Schlussstrich“ bezeichnete [2][der Historiker Volker | |
| Weiß] dort als einen „negativen Fixpunkt unter Rechtsradikalen“. Diese | |
| hätten der jetzigen Geschichtsschreibung schon seit Jahrzehnten den Krieg | |
| erklärt. | |
| Er verwies dabei auf ein wenig bekanntes Zitat von Giselher Wirsing, einem | |
| ehemaligen SS-Sturmbannführer und damaligem Chefredakteur der Zeitung | |
| Christ und Welt. Der warnte 1967 vor einem „Denkmal der Schande“, sollte | |
| die Villa am Wannsee, in der am 20. Januar 1942 die Durchführung des | |
| Holocaust diskutiert worden war, zu einem Gedenkort umgestaltet werden – | |
| was sie heute ist. Womit nebenbei bemerkt deutlich wurde, dass Björn Höckes | |
| berühmt-berüchtigte Worte vom Holocaust-Mahnmal als „Denkmal der Schande“ | |
| nicht seinem eigenen Hirn entsprungen sind. | |
| Kontinuitäten deutscher Erinnerungspolitik | |
| Es wäre grob verkürzend, würde man die Frage von Kontinuitäten deutscher | |
| Erinnerungspolitik einzig auf die Rechten verkürzen. Der im englischen | |
| Sussex lehrende Gideon Reuveni erinnerte an Kanzler Konrad Adenauer, der | |
| sich beim Abschluss des Entschädigungsabkommens mit Israel 1952 von | |
| moralischen Vorstellungen habe leiten lassen. | |
| In der stark antisemitisch eingestellten Bevölkerung sei der Vertrag | |
| dagegen höchst unpopulär gewesen. Reuveni bezeichnete das Luxemburger | |
| Abkommen als einen „Gründungsakt“ der Bonner Demokratie. Zu den | |
| erfreulicheren Entwicklungen der Nachkriegszeit zähle schließlich das | |
| wachsende Geschichtsbewusstsein dank der bohrenden Fragen der 68er an die | |
| ältere Generation. | |
| Dies, so Weiß, sei einer der Gründe dafür, dass die AfD heute vehement eine | |
| Revision der damaligen Vorstellungen verlangt und die 68er-Generation nebst | |
| den Grünen als liebstes Feindbild erkoren habe. | |
| Befreiung von jeweder Schuld | |
| Einen anderen Weg in der Erinnerungskultur als der Westen schlug die DDR | |
| ein. Davon wusste der ehemalige Berliner Kultursenator Klaus Lederer ein | |
| Lied zu singen. Er nannte die dort verordnete Vorstellung eine | |
| „Erlösungstheologie“, die das eigene Volk von jedweder Schuld befreite und | |
| dafür sorgte, dass man über Rechtsradikalismus und Antisemitismus gar nicht | |
| erst reden musste. | |
| Diese gab es nämlich dank der Definition des Staates als per se | |
| antifaschistisch nicht, womit auch jegliche Schuld getilgt war und | |
| Entschädigungszahlungen für Jüdinnen und Juden entfallen konnten – so wie | |
| auch antifaschistischen Aktionen verboten wurden, die der Zivilgesellschaft | |
| entsprangen. | |
| Lederer gehört zu denjenigen, [3][die im Oktober 2024 aus Protest gegen | |
| antisemitischen Tendenzen in der Linken die Partei verlassen haben]. Er | |
| machte keinen Hehl aus seiner Befürchtung, Linke seien auf dem Weg weg von | |
| der Aufklärung hin zur Reaktion. Mit Behauptungen wie „Free Palestine from | |
| German Guilt“ werde offen für Geschichtsrevisionismus geworben. Weil der | |
| direkte Antisemitismus in Deutschland verpönt sei, mache sich dieser über | |
| den Umweg Israel breit. Wer als Linker zu geringen Differenzierungen neige, | |
| für den sei der Judenhass als „Erlösungsideologie“ eine Alternative zu | |
| umständlichen Erklärungen des Geschehens im Nahen Osten. | |
| Einfache Antworten lägen bei manchen Linken heute im Trend, so Lederer: | |
| „gut gegen böse, schwarz gegen weiß, gegen jede Differenzierung“. Dieses | |
| Denken habe durchaus Ähnlichkeiten mit Rechtsradikalen und es schließe | |
| Solidarität mit Juden aus. | |
| Judenfeindlichkeit bei den 68ern | |
| Folgt also die Rückabwicklung der 68er? Zarin Aschrafi wies darauf hin, | |
| dass schon diese Bewegung auch judenfeindliche Berührungspunkte besaß. | |
| Sie erinnerte an den Juni 1969, als der damalige israelische Botschafter | |
| Asher Ben-Natan auf Einladung jüdischer Studenten an der Frankfurter Uni | |
| sprechen sollte. Doch dazu kam es nicht. Ben-Natan wurde als | |
| „Nazi-Kiesinger“ beschimpft und niedergebrüllt – eine vorgeblich | |
| antiimperialistische Aktion. Das sei nur der Beginn von jahrelangen | |
| Sabotageaktion gegen jüdisch geprägte Uni-Veranstaltungen gewesen, sagte | |
| Aschrafi. | |
| Womit an diesem Nachmittag bewiesen ward, dass die Rückbesinnung auf | |
| glorreich erscheinende Bewegungen der jüngeren Vergangenheit kein Ersatz | |
| für eigenes Denken sind. | |
| 21 Jan 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Gedenken-an-Historiker-Joseph-Wulf/!6039735 | |
| [2] /Tagung-ueber-Antisemitismus-in-Hamburg/!6051627 | |
| [3] /Pro-und-Contra/!6044884 | |
| ## AUTOREN | |
| Klaus Hillenbrand | |
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