# taz.de -- Weinlese in Brandenburg: Weingut an der Havel | |
> Der Weinanbau rückt gen Norden vor. Auf der Insel Töplitz bei Potsdam | |
> gibt es ihn seit Jahrhunderten. Möglich macht's das besondere Mikroklima. | |
Bild: Klimatisch begünstigt, die Trauben für den Wein aus dem Norden | |
Töplitz taz | Es fühlt sich an, als ob die Welt hier aufhört, wenn man mit | |
dem Überlandbus von Potsdam über die Havelbrücke auf die [1][Insel Töplitz] | |
fährt. Es ist nicht viel los im Ort gleichen Namens, es gibt kaum Verkehr, | |
dafür viel Natur, ein großes Feuerwehrhaus, Inselmarkt und Inselbäcker – | |
und einen Weinberg. | |
Den gibt es schon ziemlich lange, das lässt allein die Adresse vermuten: Am | |
Alten Weinberg. Dort wartet Klaus Wolenski, dem das Weingut gehört, in | |
Arbeitskluft auf die taz mit einem kleinen offenen Wagen. Wir fahren ein | |
paar Hundert Meter weiter eine kleine Anhöhe hinauf, es sind etwa 55 Meter. | |
Ringsum die für die Insel typischen Wiesen, in der Ferne die Havel, ein | |
paar Kühe – und viel Ruhe. Eigentlich der ideale Ausflugsort für | |
stressgeplagte Großstädter. Doch die Besenwirtschaft am Fuße des Weinbergs | |
hat seit Corona zu und wird auch nie wieder öffnen. „Das war zu viel | |
Arbeit“, sagt Wolenski. | |
Oben auf dem Hügel wächst Wein, Reihe für Reihe, auf rund drei Hektar. Die | |
Reben sehen allesamt gesund und stark aus, sie wachsen diesen Sommer enorm, | |
auch die Trauben, der viele Regen hat sein Gutes. | |
Wir nehmen auf einer Bank inmitten der Reben Platz – es ist schön, hier zu | |
sitzen. Wolenski kramt in der Geschichte, der 75-Jährige ist ein guter | |
Erzähler. Zusammen mit Frau und Tochter und einer halbtags beschäftigten | |
Mitarbeiterin betreibt er den Weinberg. Sie ist gerade dabei, die lang | |
gewachsenen Triebe ins Drahtgeflecht zu bugsieren, damit sie später die | |
Trauben nicht verschatten – die sollen ja Sonne abkriegen. | |
Wolenski war „vor ewigen Zeiten“ Beamter in Berlin-Spandau und hat in | |
verschiedenen Branchen gearbeitet. Vor 30 Jahren hat es ihn auf die Insel | |
Töplitz verschlagen, erst haben sie in Landwirtschaft gemacht, dann kamen | |
die Pferde und vor 20 Jahren kam der Wein hinzu. Der Weinbauer baut fünf | |
Rebsorten an. Drei rote: Regent, St. Laurent und Spätburgunder, also Pinot | |
noir. Und fünf weiße: Bacchus, Riesling, Weißburgunder, Grauburgunder, | |
Cabernet Blanc. | |
Lange vor ihm haben hier Zisterzienser vom Kloster Lehnin Wein angebaut, | |
sie kamen vor über 600 Jahren auf die Insel Töplitz. Wein wurde dort bis | |
zum Zweiten Weltkrieg angebaut. Die DDR hatte dafür nichts übrig, ließ die | |
Reben roden: Die Insel wurde zum Obstanbau genutzt. | |
## Mehr Sonne als in der Pfalz | |
Die Klosterbrüder hatten damals den Standortvorteil erkannt. Es sind die | |
sonnige Lage und das Wasser rundherum, die für ein optimales Mikroklima | |
sorgen. „Wir haben hier mehr Sonnenstunden als die Pfalz. Es ist hier | |
relativ trocken und einer der wärmsten Orte Deutschlands – für den Wein | |
ideal.“ | |
Auch der Boden mit seiner Mineralien-Vielfalt – der Weinberg steht auf | |
[2][einem Moränenhügel] – sind ein großes Plus für guten Geschmack. Und | |
hier geht immer ein leichter Wind. Dadurch wären Mehltau oder andere | |
Pilzkrankheiten im Grunde genommen gar kein Problem. „Ich muss überhaupt | |
nicht spritzen. Wir haben großes Glück mit der Lage.“ | |
Wolenski produziert neben Rot- und Weißwein auch einen Rosé und aus dem | |
Riesling einen Sekt. Und er verkauft verschiedene Brände, einen Hefebrand | |
oder einen Tresterriesling (also einen Grappa, der nicht Grappa heißen | |
darf). Die Brände aus den Resten der Weintrauben destilliert ein Bekannter. | |
Wolenski dürfte 30.000 Liter ernten, aber er erzeugt maximal 18.000 Liter, | |
manchmal auch nur 16.000 pro Jahr. Das sind 20.000 bis 25.000 Flaschen. | |
## Die Lese mit dem grünen Saft | |
Der Winzer reduziert seine Trauben: „Wir nehmen die Hälfte der gewachsenen | |
Trauben ab – für den Geschmack.“ Die am Rebstock verbliebenen Trauben | |
werden so größer, schöner, saftiger und schmecken intensiver. Die | |
sogenannte grüne Lese beginnt etwa Ende Juli. Die Trauben sind dann | |
erbsengroß und steinhart. Daraus wird Verjus gemacht. Der „grüne Saft“ ist | |
gerade in aller Munde, als Säuerungsmittel ersetzt in der Küche Zitrone und | |
Essig. | |
Der Wein aus der letzten Ernte wartet im ebenerdigen Weinkeller. In der | |
Halle stehen riesige metallene Gärtanks, um die Ecke auch alte | |
Eichenholzfäser, da steckt Rotwein seit 2020 und 2022 drin und wird immer | |
besser mit der Zeit. Überhaupt lagert sein Wein verhältnismäßig lange. „W… | |
haben keinen Druck und füllen erst ab, wenn der Wein wirklich so ist, wie | |
ich ihn mir vorstelle.“ | |
Das heißt ständig prüfen, messen, schmecken? „Aber ja“, sagt der Winzer | |
verschmitzt, „jeden Abend diese harte Arbeit des Prüfens und des | |
Probierens.“ | |
Die Ernte geht Ende September los, die Erntehelfer kriegen etwas zu essen | |
und ein paar Flaschen Wein als Bezahlung. Wolenski schwärmt: „Wir sitzen | |
auf dem Weinberg und essen zusammen. Die Ernte ist immer eine schöne Zeit.“ | |
8 Sep 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/T%C3%B6plitz_(Insel) | |
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Kame | |
## AUTOREN | |
Andreas Hergeth | |
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