| # taz.de -- Kultur in der DDR: Wo früher getanzt und gelacht wurde | |
| > Das Heide-Theater in Berlin-Pankow war in der frühen DDR ein beliebter | |
| > Anziehungspunkt. Die Mauer machte dem ein Ende. Spuren finden sich noch | |
| > heute. | |
| Bild: Nur noch Betonsäulen mitten in einer Parklandschaft deuten auf das Heide… | |
| Berlin taz | Am Ausgang des S-Bahnhofs Schönholz erinnert wenig daran, dass | |
| hier einst die Mauer war. Nur die in den Boden eingelassene Backsteinlinie, | |
| die den Verlauf nachzeichnet, erinnert an die damalige Staatsgrenze, die | |
| hier parallel zu den Gleisen verlief. Von hier sind es noch circa 15 | |
| Minuten zu Fuß zum südöstlichen Ende des Volksparks Schönholzer Heide im | |
| Berliner Ortsteil Niederschönhausen, der zum Bezirk Pankow gehört. | |
| Vorbei am Aldi und einer Jugendverkehrsschule die Hermann-Hesse-Straße | |
| entlang, wo der Gehweg zu einem sandigen Seitenstreifen wird. Gleich nach | |
| der Kreuzung mit der Heinrich-Mann-Straße führt auf der linken Straßenseite | |
| ein Weg in den Wald. Wenige Meter weiter erhebt sich links ein kleiner | |
| Hügel mit einem ausgetretenen Pfad. Nach einem kurzen Antritt die Anhöhe | |
| hinauf kommt dahinter, umrandet von hochgewachsenen Bäumen, eine helle | |
| Lichtung in einer kleinen Senke zum Vorschein. | |
| Am Fuß des Hügels stehen acht Betonsäulen im Halbkreis – das sind Reste der | |
| 27 Meter breiten und 21 Meter tiefen Bühne des einstigen Heide-Theaters. An | |
| einer Seite der Lichtung führen Steinstufen samt verrostetem Handlauf in | |
| die Erde: die Überreste der Treppen, die in den heute zugeschütteten | |
| Zuschauerraum führten, wo auf langen Bankreihen bis zu 2.500 Personen Platz | |
| hatten. | |
| Gleich daneben ragen drei Meter hohe verrostete Metallpfosten aus dem | |
| Boden, an denen früher die Scheinwerfer und die Lautsprecher der | |
| Stereotonanlage hingen. Im Dickicht des umliegenden Waldes finden sich noch | |
| einzelne überwachsene Reste des Theaters und seiner Anbauten, doch außer | |
| ihnen und der ovalen Form der Lichtung zeugt nichts mehr davon, dass hier | |
| einst ein großes Freilichttheater stand. | |
| ## Wasserrutsche, Tanzpavillons, Varieté und Achterbahn! | |
| Bereits Ende des 19. Jahrhunderts entwickelt sich die [1][Schönholzer | |
| Heide] zu einem beliebten Ausflugsziel der Berliner:innen, die mit der neu | |
| eröffneten [2][Nordbahn] (einer Bahnstrecke von Berlin nach Stralsund | |
| hinauf) in das nördliche Umland fahren. Mit der Eingemeindung von | |
| Niederschönhausen und Schönholz und der Gründung von [3][Groß-Berlin im | |
| Jahr 1920] kommen weitere Attraktionen hinzu, wie ein Fußballplatz und | |
| Tennisplätze. Ein Jahrzehnt später folgt schließlich auch ein | |
| Vergnügungspark mit Wasserrutsche, Tanzpavillons, Varieté und Achterbahn. | |
| Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelt sich der Bezirk um die Schönholzer | |
| Heide immer mehr zum politischen und intellektuellen Zentrum der DDR. Im | |
| [4][Schloss Schönhausen] residiert DDR-Präsident [5][Wilhelm Pieck], am | |
| [6][Majakowskiring] die Politprominenz und in der nahegelegenen | |
| Heinrich-Mann-Straße entsteht bereits Ende der 1940er Jahre die | |
| Erich-Weinert-Siedlung, eine von drei Intelligenzsiedlungen in Ost-Berlin. | |
| Dass die DDR gerade hier einen Kulturort baut, ist daher kein Zufall. Von | |
| 1955 bis 1956 bewegen 7.616 Freiwillige im Rahmen des [7][Nationalen | |
| Aufbauwerks] 3.000 Kubikmeter Sand und errichten eine Freilichtbühne. Am | |
| 15. August 1956 eröffnet das Potsdamer Hans-Otto-Theater mit Shakespeares | |
| „Maß für Maß“ das Programm der neuen Spielstätte. | |
| Gastspiele namhafter DDR-Bühnen folgen. Zehn Tage später wird es sogar | |
| international: Zu Preisen zwischen 1 und 3 Mark lauschen die Gäste dem | |
| Orchester der Staatlichen Philharmonie aus Bukarest. Die Veranstaltungen | |
| sollen nun wöchentlich stattfinden und sind – so die Verantwortlichen – f�… | |
| alle Berliner:innen gedacht. Wenige Monate später mahnen einzelne | |
| Lokalpolitiker:innen bereits, dass das Theater nicht ausreichend | |
| ausgelastet sei. | |
| ## Mauerbau läutet das Ende ein | |
| Doch die Realität sieht anders aus: Die Spielstätte erfreut sich großer | |
| Beliebtheit – und das nicht nur bei den Menschen aus Ostberlin, sondern | |
| auch bei den Bewohner:innen aus dem Westteil der Stadt. | |
| Komikerwettbewerbe, Operetten und klassische Theaterstücke dominieren das | |
| Programm. Besonders beliebt sind aber die Tanzabende, an denen die Klänge | |
| der neuesten Hits des staatlichen [8][Plattenlabels Amiga] über die | |
| Stereotonanlage durch die Schönholzer Heide hallen. | |
| Als fünf Jahre nach der Eröffnung die Mauer gebaut wird, beginnt der | |
| langsame Niedergang des Theaters. Die Grenze teilt nun Berlin, und die | |
| Zuschauer:innen aus dem Westen, die vor dem Mauerbau vor allem über den | |
| S-Bahnhof Schönholz zum Heide-Theater kamen, bleiben fern. | |
| Der Theaterbetrieb geht noch einige Zeit weiter, doch die Freilichtbühne | |
| verliert immer mehr an Bedeutung. Die paramilitärische Massenorganisation | |
| Gesellschaft für Sport und Technik nutzt das Gelände noch einige Jahre für | |
| ihre Übungen, doch der letzte Vorhang ist schon längst gefallen. | |
| Seitdem ist es ruhig geworden hier, das Klatschen verhallt. Wenige Menschen | |
| verirren sich an diesen versunkenen Ort abseits der offiziellen Wege. Nur | |
| das Rauschen der nahegelegenen Straße hallt noch durch diesen Teil der | |
| Schönholzer Heide. | |
| 6 Oct 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://de.wikipedia.org/wiki/Volkspark_Sch%C3%B6nholzer_Heide | |
| [2] https://de.wikipedia.org/wiki/Berliner_Nordbahn | |
| [3] /Ausstellung-100-Jahre-Gross-Berlin/!5704340 | |
| [4] https://de.wikipedia.org/wiki/Schloss_Sch%C3%B6nhausen | |
| [5] https://de.wikipedia.org/wiki/Wilhelm_Pieck | |
| [6] https://de.wikipedia.org/wiki/Majakowskiring | |
| [7] https://de.wikipedia.org/wiki/Nationales_Aufbauwerk | |
| [8] https://de.wikipedia.org/wiki/Amiga_(Plattenlabel) | |
| ## AUTOREN | |
| Dennis Basaldella | |
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