| # taz.de -- Weinbau in Franken: Wie die Reben überleben | |
| > Früher hofften Winzer in Franken, dass es nicht zu feucht wird. Heute | |
| > kämpfen sie gegen Trockenheit – und streiten, wie man trotzdem guten Wein | |
| > macht. | |
| Bild: „Wir bekommen hier ein Klima wie in Südfrankreich“, beklagt Andrea W… | |
| Reihe um Reihe strecken die Reben am Hang ihre Zweige in den Himmel. „Die | |
| wurden traditionell wie Photovoltaikanlagen angelegt“, erklärt Winzerin | |
| Andrea Wirsching. „Damit sie möglichst viel Sonne abbekommen.“ Das Konzept, | |
| wie ein klassischer fränkischer Weinberg angelegt wird, stammt aus einer | |
| Zeit, als die deutschen Winzer vielerorts mit niedrigen Temperaturen | |
| kämpften. | |
| Als es oft wochenlang feucht war, Trauben zu verschimmeln drohten, hätte | |
| man sie enger gepflanzt. Doch anders als ihre Vorfahren kämpft die Familie | |
| von Andrea Wirsching, die seit knapp 400 Jahren im fränkischen Iphofen Wein | |
| anbaut, nun mit Hitze und Trockenheit. Zu viel Sonne. Zu wenig Regen. | |
| Die [1][Region im Norden Bayerns] zählt zu den trockensten des Landes. Den | |
| allgegenwärtigen [2][Rückgang des Niederschlages] spüren sie hier | |
| besonders, denn die Mittelgebirge im Westen fangen den ohnehin raren Regen | |
| ab. | |
| Der vergangene Frühling gehörte zu den trockensten seit Beginn der | |
| Wetteraufzeichnungen, auch der Sommer brachte vielerorts nur geringe | |
| Regenmengen. „Wir bekommen hier ein Klima wie in Südfrankreich“, ist | |
| Wirsching überzeugt. | |
| Die 60-Jährige sitzt am Steuer ihres Autos, eine lebensfrohe Frau mit | |
| perlenbesetzter Weinrebe um den Hals. „Jetzt trink ma erst mal was“, hatte | |
| sie bei der Begrüßung in der Vinothek gesagt und eine Flasche alkoholfreien | |
| Secco geöffnet. Weltweit geht der Weinkonsum zurück. Fast 20 Liter waren es | |
| 2022, im Folgejahr rund eine Flasche weniger. Insgesamt wird heute etwa 40 | |
| Prozent weniger getrunken als noch in den 1970er Jahren. | |
| Vor ein paar Jahren hat das Weingut Wirsching seinen alkoholfreien Sekt auf | |
| den Markt gebracht. Rückläufiger Konsum, steigende Temperaturen, fehlender | |
| Regen. Es sind harte Jahre für die Weinbranche. „Wir Winzer spüren den | |
| Klimawandel seit den achtziger Jahren“, meint Wirsching. „Anfangs haben | |
| alle frohlockt und sich über jeden noch wärmeren Sommer gefreut.“ Bis zum | |
| „Jahrhundertsommer“ 2003. 2005 kam die Hitze zurück, ebenso 2006. | |
| Heute prasselt Regen auf die Windschutzscheibe. Das Problem, sagt | |
| Wirsching, sei nicht nur die Menge, sondern vor allem die Verteilung. | |
| Sturzartige Schauer folgen auf wochenlange Dürreperioden. Grundsätzlich | |
| kommen die Reben gut mit Trockenheit zurecht. Früher wurde Wein in | |
| Mischkultur angebaut, die Pflanze ist Konkurrenz gewöhnt. | |
| ## Lavendel zwischen den Weinpflanzen | |
| Zwei oder drei Wochen ohne Regen? „Kein Problem.“ Sogar erwünscht. „Wir | |
| wollen, dass sie Durst hat, damit sie tief runter in die steinigen | |
| Schichten geht.“ Dort unten lagert das Potenzial für mineralische, | |
| spannende Weine. | |
| Irgendwann aber verdurstet die Rebe. Ab vier Wochen beginne sie mit einem | |
| Notreifungsprozess. „Sie will noch schnell möglichst viele Früchte, viel | |
| DNA, produzieren.“ Selbst wenn sie danach wieder Wasser bekommt, sind die | |
| Trauben meist unbrauchbar. Wenn man sie doch benutzt, kann es sein, dass | |
| die Weine nach ein paar Jahren nach Mottenkugeln, Seife oder Pappkarton | |
| schmecken. | |
| Andrea Wirsching hält auf einer Anhöhe. Unter einem Holzdach wacht eine | |
| Madonna über die Reben, die sich den Hang hinunterziehen. Zwischen den | |
| Reihen wächst Gestrüpp. Um den Boden zu verbessern, wurden mehrjährige | |
| Blühmischungen und Stauden gepflanzt. | |
| Um den Wind zu brechen, der zu Erosion und Verdunstung führt, Hecken | |
| angelegt. „Hier drüben“, sie zeigt auf eine Wiese, „haben wir komplett | |
| gerodet.“ Wildpflanzen, Steinhaufen und Totholz sollen nun die | |
| Biodiversität erhöhen. Am Weingut Castell ganz in der Nähe wachse | |
| neuerdings Lavendel zwischen den Weinpflanzen. | |
| Sie experimentieren mit Pflanzenkohle, die Wasser wie ein Schwamm | |
| speichert, und schneiden mehr Triebe ab, damit die Rebe weniger Trauben | |
| produziert. „Das ist wie bei uns: Sind wir überlastet, werden wir | |
| anfälliger.“ In „Notfällen“, wie sie sagt, fahren sie mit dem Tankwagen… | |
| die Weinberge. Das Wasser stammt aus dem eigenen Brunnen oder den | |
| Sammelbecken, die Wirsching, „wo immer es geht“, am Hof installiert hat. | |
| Ein Riesenaufwand sei das. Zeitintensiv und teuer. | |
| Bald soll alles viel leichter gehen. Iphofen ist Teil eines Pilotprojekts. | |
| Über eine Pipeline soll im Winter Wasser aus dem nahen Main in ein | |
| Speicherbecken am Fuße der Weinberge gepumpt werden. Die Hälfte des rund 20 | |
| Millionen Euro teuren Projektes übernimmt der Freistaat Bayern. Die andere | |
| teilen sich Stadt und Winzer. Für viele – durch Konsumrückgang, Inflation | |
| und gestiegene Produktionskosten ohnehin unter Druck – kaum bezahlbar. Nur: | |
| „Wenn wir nicht handeln, ist hier Schluss mit lustig.“ | |
| Ob das Projekt kommt, ist noch unklar. Es ist sehr umstritten. | |
| [3][Grünen-Politiker warnen davor, dass die ökologischen Folgen für den | |
| Fluss zu wenig erforscht seien.] Und überhaupt: Warum sollen ein paar | |
| Winzer mit viel kostbarem Wasser unterstützt werden? | |
| Andrea Wirsching seufzt, zu oft hat sie diese Diskussion in den vergangenen | |
| Jahren geführt. „Es wird so getan, als würden wir den Main leer saugen.“ | |
| Sie spricht von einer Panikdiskussion rund ums Klima, bei der die | |
| Sachlichkeit durchs Raster falle. Entnommen würden „lediglich zwei Prozent | |
| des Durchflusses an fünf Tagen im Jahr“ – im Winter, wenn der Fluss oft zu | |
| viel Wasser führt. „Bewässerung ist Hochwasserschutz.“ | |
| Was in Iphofen geplant ist, gibt es 50 Kilometer nordwestlich bereits im | |
| Kleinen. Seit 2016 betreibt die Bayerische Landesanstalt für Wein- und | |
| Gartenbau (LWG) an einem ihrer Versuchsweinberge eine Pilotanlage zur | |
| dezentralen Bewässerung. Betreut wird sie unter anderem von Daniel | |
| Heßdörfer, dem stellvertretenden Leiter des Instituts für Weinbau und | |
| Önologie. Ihr Hauptthema: die Adaption an den Klimawandel. „Wir machen nix | |
| anderes mehr.“ | |
| Zum Streit um das Projekt hat er eine klare Meinung: Ohne geht es in | |
| Franken bald nicht mehr. Aber, betont er, es sei der letzte Schritt. Vor | |
| solch aufwendigen Infrastrukturmaßnahmen gelte es, die Resilienz zu | |
| steigern. Durch gesunden Boden. Durch andere Rebsorten, zum Beispiel | |
| „Piwis“ – pilzwiderstandsfähige Züchtungen, die weniger anfällig sind. | |
| ## Die Mehrheit „mittelresistent“ | |
| Auf den Versuchsflächen des Instituts wachsen seit einigen Jahren Cabernet | |
| Sauvignon und Merlot, die man eher aus südlichen Breitengraden kennt. „Das | |
| funktioniert“, sagt Heßdörfer. „Für unseren Rotwein haben wir letztes Ja… | |
| sogar einen Preis gewonnen.“ Nur: Alles umstellen geht nicht. „Der Markt | |
| verlangt ein bestimmtes Geschmacksprofil.“ In Franken: Müller-Thurgau, | |
| Riesling, Silvaner. | |
| Wichtiger noch als die Rebsorte sei der Wurzelstock. Um das zu verstehen, | |
| muss man einen Exkurs ins ausgehende 19. Jahrhundert machen, als sich die | |
| aus Amerika eingeschleppte Reblaus durch die europäischen Weinberge fraß. | |
| Die lokalen Reben waren gegen den Schädling nicht resistent. Anders die | |
| amerikanischen Wildreben, die fortan als Unterlage genutzt wurden. | |
| Heißt: Riesling, Silvaner und Co. sind nur die Spitze der Pflanze. Unten, | |
| in der Erde, stecken Richter 110 oder Paulsen 1103 – Kreuzungen | |
| amerikanischer Wurzelstöcke, die in unterschiedlichen Klimazonen | |
| sozialisiert und damit unterschiedlich gut an Trockenstress angepasst sind. | |
| Die große Mehrheit der Hiesigen, sagt Heßdörfer, sei „so mittelresistent�… | |
| Erste Winzer stellen um. Ein Prozess, der mehrere Jahrzehnte dauere. | |
| Schneller geht es mit Punkt vier: Neue Anbausysteme. Durch dichtere | |
| Bepflanzung und damit mehr Konkurrenz treibt man die Reben an, tiefer zu | |
| wurzeln – in Schichten, in denen mehr Wasser verfügbar ist. | |
| Erst ganz am Ende stehe die Bewässerung: Mit Wasser aus nachhaltigen | |
| Quellen und tröpfchenweise ausgebracht, betont Heßdörfer. Bei der Umsetzung | |
| der Pilotanlage bekam das LWG Unterstützung von einer israelischen Firma. | |
| Dort wurde das System der Tröpfchenbewässerung in den 1950er Jahren | |
| erfunden. Auch Andrea Wirsching steht in engem Austausch mit einem Weingut | |
| aus dem wasserarmen Israel, das etwa gereinigtes Abwasser nutze. | |
| Wie dringlich das Thema ist, zeigte sich auch beim jüngsten „Arlberg | |
| Weinberg“. Das Symposium, das einmal jährlich im österreichischen | |
| Vorarlberg stattfindet, versammelt weinmachende Menschen aus aller Welt. Im | |
| Dezember 2024 auf der Tagesordnung: „All about water.“ Früher habe der | |
| Süden nach Norden geschaut, meint die spanische Winzerin Sara Pérez, die | |
| zur Wasserkonferenz geladen ist. Nun sei es zum ersten Mal andersherum: | |
| Alle schauen auf die südlichen Länder. | |
| „Bewässerung ist bei uns nicht möglich“, sagt sie. [4][Es gibt kein | |
| Wasser.] Pérez setzt auf Keyline Management, eine Pflanztechnik, die in den | |
| 1950er Jahren im trockenen Australien entwickelt wurde. Statt gerade | |
| wachsen die Reben in sanft geschwungenen Wellen. Sie folgen keinem am | |
| Schreibtisch ausgearbeiteten Plan, sondern dem natürlichen Verlauf des | |
| Hangs – ebenso das Wasser, das somit besser verteilt und gespeichert werden | |
| kann. | |
| Zudem stehen Pérez Reben solitär in kleinen Büschen. Ohne Unterstützung | |
| durch Drähte oder Pfähle wachsen sie tiefer hinunter und nicht so hoch | |
| hinaus, was Ertrag und Stress reduziert. Die nach oben gebogenen Triebe | |
| schützten die Trauben wie ein Dach vor der Sonne. | |
| Es sei ein ewiges Lernen und Probieren, sagt Arianna Occhipinti, die mit | |
| auf der Bühne sitzt. Die „Naturwein-Pionierin“, wie sie oft genannt wird, | |
| hat vor mehr als 20 Jahren eines der ersten biodynamischen Weingüter | |
| Siziliens gegründet. Die Regenmenge hat sich seitdem fast halbiert. Die | |
| Zahl der Hitzetage hat stark zugenommen. „Im Sommer kann man auf unseren | |
| Böden ein Ei braten.“ | |
| Dennoch bewässert Occhipinti nur rund zehn Prozent ihrer Weinberge. | |
| Biodynamisch bewirtschaftete Flächen, ist sie überzeugt, seien besser für | |
| den Klimawandel gerüstet: resistentere Pflanzen, gesündere Böden. Daniel | |
| Heßdörfer vom LWG hingegen meint, bezüglich des Wasserhaushaltes gebe es | |
| zwischen Bio und konventionell keinen Unterschied. | |
| ## Mehr Alkohol, weniger Säure, reifere Fruchtaromen | |
| Fakt ist: Während Bewässerung in heißen Regionen wie Australien seit jeher | |
| Standard ist, ging es in Europa bisher meist ohne. Und nun haben viele | |
| Winzer Sorge, der Eingriff könnte das Terroir verwässern. Ein Wein, so die | |
| Idee, soll nach seiner Region schmecken. Unverwechselbar. Geprägt von den | |
| natürlichen Umweltfaktoren: Boden, Klima, Topografie. | |
| Nur: Ist nicht auch das Terroir menschengemacht? „Die Idee, wie unsere | |
| Weine zu schmecken haben, wurde vor 40, 50 Jahren entwickelt“, gibt die | |
| Weinkritikerin Isabelle Legeron während der Diskussion zu bedenken. „Noch | |
| vor hundert Jahren wurden Weine ganz anders gemacht.“ Und: Wenn Terroir | |
| maßgeblich vom Klima bestimmt wird, ist die Veränderung dann nicht ohnehin | |
| unvermeidbar? Die Weinstilistik, da sind sich Experten einig, wird sich | |
| ändern: mehr Alkohol, weniger Säure, reifere Fruchtaromen. | |
| Neue Weinbaugebiete werden erschlossen, andere verschwinden. In manchen | |
| Regionen, sagt Winzerin und Weinberg-Initiatorin Dorli Muhr, koste das | |
| Wasser mehr als der damit produzierte Wein. Wo ist Weinbau noch sinnvoll? | |
| Eine schmerzliche, aber berechtigte Frage. In Frankreich gibt es bereits | |
| Stilllegungsprämien für Winzer, die ihre Reben rausreißen. Immer mehr | |
| pflanzen hitzeresistente Gewächse wie Zitrusfrüchte oder Granatäpfel an. | |
| Manche setzen ganz auf Tourismus, lassen nur ein paar Reben als Kulisse | |
| fürs Château. | |
| Aufgeben? Für die Spanierin Sara Pérez keine Option. Herausforderungen gebe | |
| es überall. Und schließlich gehe es auch um den Erhalt einer Kultur. Ein | |
| Begriff, der auch bei Andrea Wirsching in Franken oft fällt: die | |
| Weinkultur, die unsere Gesellschaft seit vielen Jahrhunderten prägt. | |
| Und dann natürlich der Tourismus, der durch den Weinbau angekurbelt wird | |
| und der in Franken das 15-Fache des Umsatzes mit dem Weinverkauf generiert. | |
| Auf den Weinfesten, die vom Frühling bis in den Herbst hinein stattfinden, | |
| treffen sich Gäste und Einheimische. | |
| Davon, den Weinbau aufzugeben, sei man dort noch weit entfernt, meint | |
| Daniel Heßdörfer vom LWG. Aber: Rund ein Viertel der Flächen werde | |
| verschwinden, glaubt Wirsching. Sie plädiert für Austausch. Und Qualität: | |
| „Eine kleine Region wie unsere ist nur konkurrenzfähig, wenn wir Top-Weine | |
| machen. Vor allem in Zeiten von Überproduktion.“ | |
| Zum Abschied lädt sie zur Verkostung: Silvaner, Frankens Aushängeschild. | |
| „Julius Echter Berg. Unsere heißeste Lage.“ Sie nimmt einen Schluck. „Ist | |
| so eine Lage heute noch spannend?“ Das Gefühl auf der Zunge ist samtig und | |
| schwer. Der Wein schmeckt würzig. Nach Kräutern. Spannend. | |
| 25 Sep 2025 | |
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| Verena C. Mayer | |
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