# taz.de -- Beschädigte Weinstöcke: Hoffen auf den goldenen Herbst | |
> Der Frost hat Spuren hinterlassen, viele Weinstöcke sind beschädigt. Für | |
> Winzer ist das schlimm, für unseren Autor hat es zumindest einen Vorteil. | |
Bild: Weinanbau in Franken – werden die Trauben nicht reif, dann gibt es eine… | |
Es könnte ein gutes Jahr für Verjus werden. Das ist kein [1][Wein], sondern | |
der Saft unreifer Trauben. Viele der Rebstöcke hier in Unterfranken könnten | |
am Ende des Sommers lediglich ein paar Früchte tragen, und die sind für die | |
Vinifizierung zu sauer, aber genau richtig, um bei mir in der Küche als | |
Essigersatz zu dienen. Verjus – Französisch für „grüner Saft“ – ist … | |
wahrscheinlich älteste in [2][Europa] bekannte Säuerungsmittel, milder als | |
Essig, sein Aroma komplexer und feiner als Zitronensaft. | |
Wenn ich gerade mit dem Hund durch die Landschaft spaziere, stoße ich auf | |
die Vegetation von zwei Jahreszeiten. Da ist die frühsommerliche – das Gras | |
auf den Wiesen hüfthoch, von blauen Kornblumen und knatschrotem Mohn | |
durchsetzt, und während die Pfingstrosen langsam welken, setzt die | |
Rosenblüte ein. | |
Gleichzeitig lässt sich noch ein vorsichtiger Frühling besichtigen. An | |
unserem Apfelbaum habe ich kürzlich zwölf rosa Blüten gezählt. Die | |
Walnussbäume, unter denen wir vor Wochen trockenes Laub geharkt haben, | |
tragen zarte Blätter. Ebenso die Weinstöcke. Doch ihr Laub ist längst noch | |
nicht wieder so üppig wie Mitte April, kurz bevor die Spätfröste | |
heranzogen. Weil Wein und [3][Obst] wegen des warmen März schon so grün | |
waren wie sonst Ende Mai, war der Kälteeinbruch verheerend. | |
Wobei der Frost nicht überall gleich gehaust hat. In den Weinbergen war | |
faszinierend zu beobachten, in welchen Lagen besonders viele Triebe | |
abgestorben sind und in welchen nicht. Am Fuß der Berge hatte es mehr Reben | |
getroffen, die Kälte war in die Täler herabgefallen. Nur zehn, fünfzehn | |
Höhenmeter weiter oben waren die Weinstöcke viel belaubter. | |
## Mikroklimatische Eigenheiten | |
Auch windgeschützte Lagen hat es weniger getroffen, genau wie Parzellen, | |
auf denen der Boden zwischen den Rebzeilen beackert und umgeworfen worden | |
war. So konnte die schwarze Erde tagsüber mehr Hitze speichern als vom | |
Rasen bedeckte Weingärten. Auch ältere Weinstöcke schienen mir | |
frostresilienter. Zum Teil wechselte das Schadensbild alle zehn Meter. | |
Wenn man so deutlich sieht, was [4][Temperatur und Witterung mit den | |
Pflanzen anrichten], bekommt man auch eine Vorstellung, was umgekehrt | |
Sonne, Regen und Hitze positiv und auf kleinstem Raum bewirken. Diese | |
mikroklimatischen Eigenheiten sind – gemeinsam mit der wechselnden | |
Bodenbeschaffenheit – das, was Winzer als Terroir bezeichnen und was dazu | |
führt, dass Wein im Geschmack so divers ist wie kein anderes alkoholisches | |
Getränk. | |
Die Winzer hier hoffen nun auf einen goldenen Herbst, der den Trauben noch | |
eine späte Reife bringt. Falls es damit aber nichts wird, dann freue ich | |
mich über viel Verjus. | |
1 Jun 2024 | |
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## AUTOREN | |
Jörn Kabisch | |
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