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# taz.de -- Vokabeln aus der Restaurantkritik: Präzise, präziser, am präzise…
> Schmeckt der Kritiker wirklich, ob der Spargel exakt 3.000 Sekunden in
> 87,5 Grad heißem Wasser gezogen ist? So oder so: „Präzise“ ist keine
> Geschmacksrichtung.
Bild: Zu weich gekocht ist der Spargel schnell
Eines kann ich mit Genauigkeit sagen: Kochen ist nur ganz selten ein
präzises Geschäft. Dennoch begegnet mir zurzeit regelmäßig dieses Attribut,
vor allem in Gourmetzeitschriften. Ich frage mich, was bitte
Restaurantkritiker:innen im Mund gehabt haben, wenn sie schreiben:
„Der Teller war extrem präzise zubereitet.“ Ja, auch das noch. Präzision
ist für diese Schreiber:innen steigerungsfähig, also kommen Gerichte oft
„überaus“, „absolut“ und schlimmstenfalls „präzisest“ daher.
Es gibt natürlich Kochdisziplinen, die nach Genauigkeit verlangen. Deswegen
benutzen Köch:innen Waagen und Thermometer. Man macht sich beim
Zubereiten ja immer wieder das [1][Wissen um Physikalische und chemische
Prozesse] zunutze, da kommt es auf Gewichtsverhältnisse und Temperaturen
schon an, nur: Es ist selten entscheidend, diese Variablen auf zwei Stellen
hinter dem Komma einzustellen.
Zwar habe ich auch eine Briefwaage in der Schublade, die ich regelmäßig
raushole für Rezepte mit Kleinstmengen von Hefe, Salz oder einzelnen
Gewürzen. Doch selbst wenn heutzutage Molekularküche-Techniken, die einem
oft wie Laborverfahren vorkommen, aus der Hochgastronomie nicht mehr
wegzudenken sind: Schmeckt der Restauranttester wirklich, ob in dem Tupfen
Rote-Bete-Gel das richtige Mikrogramm-Maß an Xanthan, ein
Verdickungsmittel, drin ist? Oder der vakuumierte Spargel exakt 3.000
Sekunden im 87,5 Grad heißen Wasserbad gar gezogen ist? Das bezweifle ich.
## Stimmig, subtil, in den Texturen vielfältig
Am ehesten passt das Wörtchen „präzise“ für meine Begriffe, wenn die Pas…
auf dem Teller al dente oder das Stück Fleisch auf den Punkt medium
gebraten ist. Aber auch davon kann man unterschiedliche Vorstellungen
haben, und vielleicht war es nur Zufall, dass die Küche beim Fleisch genau
den Rosagrad getroffen hat, der mir am liebsten ist.
Daher: Präzise kann ein Gericht selten schmecken. Stimmig, subtil, in den
[2][Texturen] vielfältig dagegen schon. Ich fürchte inzwischen, die Tester
verwechseln da eher, was sie vor Augen haben, mit dem, was ihnen auf der
Zunge liegt. Im Gourmetbereich wird das Zuschneiden der Zutaten, vom
kleinsten Karottenwürfel bis zum großen Bratenstück, meist zur
Präzisionsarbeit gemacht und die einzelnen Komponenten anschließend mit der
Pinzette auf dem Teller arrangiert. Ist „präzise zubereitet“ vielleicht nur
ein ironischer Seitenhieb auf so virtuos angerichtete Gerichte, die man
kaum mit der Gabel anrühren will?
Ich glaube nicht. Inzwischen begegnet mir die Bewertung auch in der
Weinsprache – wenn beispielsweise in einem Silvaner „präzise“ Mineralik
erkannt wird, oder Säure oder Winzerhandwerk. Ich rätsele weiter.
25 Apr 2024
## LINKS
[1] /Eine-Frage-der-Chemie-auf-Apple-TV/!5965376
[2] /Die-Textur-beim-Essen/!5991720
## AUTOREN
Jörn Kabisch
## TAGS
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Geschmackssache
Genuss
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Spargel
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