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# taz.de -- Edamame, Gyoza und Bowls: Sojabohnen brechen Konventionen
> Edamame sind in Japan ein kulturelles Dilemma. Dass sie in Deutschland
> Trend sind, ist eine Chance, Stereotype zu brechen.
Bild: Gekocht und gesalzen serviert: Edamame
Saftige Edamame-Bohnen als Vorspeise. Eine Schüssel Schweinebrühe-Ramen als
Hauptgericht. Und zum Teilen dazu noch ein paar Gyozas, also Teigtaschen.
Was hierzulande für viele nach einem perfekten japanischen Dinner klingt,
würden in Japan viele junge Frauen beim Essengehen geniert ablehnen.
Nicht, weil es ihnen nicht schmecken würde – ganz im Gegenteil, in Japan
wird die eigene Küche meistens als die allerbeste gelobt. Der Grund ist
eine soziale Hemmschwelle, die Furcht vor einem Imageschaden. Wie eine
Person eines bestimmten Geschlechts auszusehen hat, wie sie sich benimmt
und wie sie sich in der Öffentlichkeit präsentiert, ist ein großes Thema
bei vielen Japaner:innen.
Es gelten für Frauen vor allem Bescheidenheit und Schönheit als
erstrebenswert, für Männer finanzieller Erfolg und Intelligenz – für
Menschen jenseits des cis-binären Spektrums interessieren sich die meisten
Japaner:innen nebenbei bemerkt herzlich wenig.
Nun isst man Edamame in Japan nur auf eine Weise: in der Schote gekocht und
mit Meersalz bestreut, die einzelnen Bohnen werden dabei direkt aus der
Schale in den Mund gedrückt. [1][Als solch salziges Fingerfood gehören
Edamame meist zum Bier], sie sind das Pendant zu Salzstangen oder Nüssen –
und entsprechend haftet an ihnen hartnäckig das Image von älteren
japanischen Männern, die als Hauptkonsumenten dieser Kombi gelten.
## Vermeintliches Superfood
Ähnliches gilt für Gyoza, das zudem aufgrund des starken Knoblauchgebrauchs
als unsexy abgewertet wird. Bei einem Date greifen Frauen sowieso nicht
danach, aber auch unter Freundinnen trifft man sich lieber zu einem
eleganten französischen oder italienischen Essen.
In Deutschland wiederum wurden Edamame in den vergangenen Jahren zum
regelrechten Hype. Man isst sie als Vorspeise, wie in Japan serviert, aber
vor allem geschält: Als vermeintliches Superfood werden die grünen
Sojabohnen in Bowls geworfen, zusammen mit einer absurden Mischung aus
warmem Reis, Mango, Avocado, Granatapfelkernen und vielem mehr.
Nun kann man einiges darüber schreiben, warum es ein Problem ist, wenn
Europäer:innen einfach alles Exotische [2][in eine Bowl schmeißen und
es als Gericht überteuert vermarkten].
## Kulinarische Aneignung
Oder über kulinarische Aneignung auf dem Teller generell – etwa, dass sich
in deutschen Großstädten vegane Variationen der vietnamesischen
Fleischsuppe Pho häufen, dass es „Sushi“ mit Spargel oder „Hummus“ mit
Kürbis gibt. Dass diese oft von Weißen verkauft und vermarktet werden,
welche die Marktlücke „vegan“ in der fremden Küche entdeckt haben und
migrierte Köch:innen mit traditionell omnivoren Gerichten an den Rand
drängen.
Dass Letztgenannte ihre Küche über Jahrzehnte in Deutschland aufgebaut
haben und sich lange Zeit mit abfälligen Kommentaren und einem billigen
Fastfood-Image herumschlagen mussten, aber die veganen, überteuerten und
oftmals vom Original losgelösten Variationen nun als trendiges Dinner
gelten.
Was den deutschen Konsum von Edamame und auch Gyoza betrifft, liegt in
dieser kulinarischen Aneignung jedoch auch etwas Gutes. Denn dass bei uns
hippe Großstädter:innen – egal welchen Geschlechts – Sojabohnen und
Teigtaschen komplett unbedarft und von allen kulturellen Kodierungen
befreit vor sich hin mampfen, ist eine Chance.
Schließlich wäre es wünschenswert, wenn dieser Umgang mit Edamame oder
Gyoza nach Japan zurückgespiegelt würde. So könnten wenigstens in der
Kulinarik [3][Geschlechterstereotype] aufgebrochen werden. Und Japanerinnen
könnten einfach das essen, worauf sie Lust haben, ohne Sorge um einen
Imageschaden.
4 Oct 2023
## LINKS
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[3] /Wissenschaftliche-Fakten-ueber-Geschlecht/!5862717
## AUTOREN
Shoko Bethke
## TAGS
wochentaz
Soja
japanische Küche
Geschlechtersterotype
Kulturelle Aneignung
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Kolumne Der Wirt
Schwerpunkt Stadtland
Genuss
Menstruationsbeschwerden
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