# taz.de -- Schimmelpilz in der japanischen Küche: Klein, aber umami | |
> Eine wichtige Zutat der japanischen Küche ist winzig: Der Schimmelpilz | |
> Koji macht alles würziger, intensiver. Jetzt wird er auch bei uns | |
> entdeckt. | |
Bild: Die Sporen geben dem Kojireis einen etwas pelzigen Look | |
Als ich den schwarzen Klecks probiere, muss ich an Erdmulch und Wald | |
denken. Vor mir liegt Hatcho-Miso, eine Würzpaste aus Sojabohnen, drei | |
Jahre gereift. Ich überlege, ob ich je wieder etwas anderes aufs Brot | |
schmieren kann. | |
Es ist ein Samstagnachmittag im März, ich stehe in der Küche eines | |
Nachbarschaftszentrums im Berliner Bezirk Friedrichshain und verstehe zum | |
ersten Mal, was es mit dem „Koji“ auf sich hat. Der Schimmelpilz, der aus | |
Sojabohnen und viel Zeit den so intensiven Geschmack des Hatcho-Miso | |
erschaffen hat. | |
Koji. Der Chef eines der besten Restaurants der Welt nennt ihn magisch. | |
Ohne ihn gäbe es keine Sojasauce, keinen Sake und keine Misopaste. Nur ein | |
paar Mikrometer lang sind seine weißlichen Sporen und pur hat Koji wenig | |
Geschmack, doch in Verbindung mit Reis, Gerste, Sojabohnen und was sich | |
Spitzenköche in den letzten Jahren noch so ausgedacht haben, schmeckt auf | |
einmal alles umami – würzig, vollmundig, fleischig. | |
Jahrtausendelang war Koji fester Bestandteil der ostasiatischen Küche, | |
jetzt verwenden ihn weltweit immer mehr Gourmetköche zum Fermentieren, auch | |
im deutschsprachigen Raum: Tim Raue, Lukas Mraz oder [1][das Restaurant | |
Nobelhart & Schmutzig] servieren neuerdings Gerichte, die durch Koji | |
veredelt sind. Start-ups und Fermentierwerkstätten, wie „mimi ferments“ in | |
Berlin, experimentieren damit, etwa indem sie mit ihm weggeworfene | |
Lebensmittel aufwerten. | |
## Der Spaltpilz | |
Vor allem aber sorgt der Koji für intensiven Geschmack. Woran das liegt? | |
Nehmen wir Reis. Werden die Sporen auf Reiskörner gestreut und ruhen bei | |
etwa 30 Grad Celsius, beginnen sie zu wachsen. Um in das feuchte Innere | |
eines Reiskorns zu gelangen, müssen die Kojisporen allerdings ein Hindernis | |
durchdringen: die Hülle des Korns. Das geht nur, wenn der Reis vorher | |
gekocht wird. Die Hersteller teurer Sakes gehen noch einen Schritt weiter | |
und schleifen die Körner ab, um dem Koji den Zugang zur Stärke im Inneren | |
zu erleichtern. Die Kohlehydrate dort liegen in langen Ketten vor. Die | |
Kojienzyme spalten sie in kürzere Zuckermoleküle auf, was dem Reis einen | |
fruchtigen und süßlichen Geschmack gibt. | |
Nach rund 40 Stunden ist der Kojireis fertig. Nun kann er unter anderem zu | |
Sake weiterverarbeitet werden, oder eben, wie in unserem Workshop, zu Miso. | |
Hierfür vermischen wir ihn mit gekochten Sojabohnen und Salz und jagen ihn | |
durch einen Fleischwolf. Aus der Masse formen wir Kugeln, schichten sie in | |
einem Glas übereinander, geben noch mehr Salz hinzu – alles mit | |
Latexhandschuhen, denn auf keinen Fall dürfen die falschen Bakterien in die | |
Gefäße gelangen. Sind diese luftdicht verschlossen, kann die zweite | |
Fermentation beginnen, die tage-, aber auch monate- oder sogar jahrelang | |
dauern kann. | |
Der Koji spaltet dabei die Proteine der Sojabohne in kürzere Aminosäuren | |
auf, [2][natürliches Glutamat entsteht] – die Geschmacksexplosion, die nach | |
umami schmeckt. Je nach Sojasorte, Fermentationsdauer und Salzgehalt sind | |
zahlreiche Geschmäcker möglich, und anstelle von Reis kann unter anderem | |
auch Gerste verwendet werden oder ganz auf eine Getreidebasis verzichtet | |
werden. Weltweit gibt es so wohl über 1.300 verschiedene Misosorten. Alles | |
dank Koji. | |
## Beeren und Fisch neu interpretieren | |
Wie wichtig der Schimmelpilz auch bei uns geworden ist, zeigt sich an der | |
Jobbeschreibung der Leiterin unseres Miso-Workshops, Polly Yim. Die 30 | |
Jahre alte New Yorkerin ist im Berliner Sternerestaurant Bandol Sur Mer | |
fast ausschließlich für neue Rezepte auf Koji-Basis verantwortlich. Nichts | |
ist sicher vor ihr, auch nicht die [3][Reste, die im Restaurant anfallen]. | |
Altes Brot oder Zwiebelhaut hat sie schon mit dem Schimmelpilz bestreut, | |
der sogar Fette aufspalten kann und deswegen so vielseitig ist. | |
Am meisten fasziniert Polly Yim an Koji, einem natürlichen, mikrobiotischen | |
Prozess zuzuschauen. Richtig los ging es bei ihr, wie bei vielen anderen, | |
mit einem Buch über Fermentation, geschrieben von René Redzepi, dem Chef | |
des [4][legendären Noma in Kopenhagen,] der Koji als magisch bezeichnete. | |
Seine Mission: nordische Produkte wie Beeren oder Fisch neu interpretieren. | |
Ihm fiel auf, wie wichtig Fermentieren für die europäische Küche ist – und | |
dass auch sonst die Menschen Pilze und Bakterien nutzen, um Produkte | |
haltbarer und ihren Geschmack intensiver zu machen. Doch was würde | |
passieren, fragte sich Redzepi, wenn man die Pilze und Bakterien anderer | |
Weltregionen nimmt und heimische Produkte damit behandelt? | |
Mehrfach reiste Redzepi mit seinem Team nach Japan und lernte, dass Koji in | |
Ostasien schon seit über 2.500 Jahren verwendet wird. Im 7. Jahrhundert | |
nach Christus verbot der buddhistische japanische Kaiser Tenmu seinem Volk | |
den Konsum von Fleisch. In der Folge erlebten Koji und Miso einen | |
gewaltigen Schub. | |
Doch es gab ein Problem: Koji, lateinisch Aspergillus flavus var. oryzae, | |
ist eng verwandt mit Pilzen, die aufgrund ihres Aflatoxingehalts | |
krebserregend und sogar tödlich sein können. Daher war es in den | |
darauffolgenden Jahrhunderten nur einer Handvoll Experten erlaubt, Koji zu | |
züchten. Um die ungefährlichen Pilzsorten zu erkennen, gaben sie Asche zu | |
den Kulturen. Aspergillus oryzae kann auch in solchen alkalischen | |
Umgebungen überleben, die todbringenden Sorten nicht. | |
## 40 Stunden Zuwendung | |
Längst ist das Produzieren der Sporen keine Geheimwissenschaft mehr. In | |
riesigen Fabriken wird Koji hergestellt, auf Reis gestreut und dieser | |
weiterverarbeitet. Aber eben auch in Workshops wie dem von Polly Yim. Neben | |
mir sind dieses Mal über ein Dutzend Hobbyfermentierer gekommen, die | |
meisten von ihnen experimentieren seit der Coronapandemie mit Pilzen und | |
Bakterien. | |
Yim hat den Kojireis zu Hause reifen lassen und mitgebracht. Denn das sei | |
einer der schwierigsten Dinge, erzählt sie. Mehr als 40 Stunden lang muss | |
der Reis überwacht werden. Da immer mehr Enzyme aktiv werden, steigt die | |
Temperatur rasch an. Doch bei über 45 Grad Celsius stirbt der Pilz. Daher | |
muss frische Luft zugeführt und der Reis hin und wieder gelockert werden, | |
eine Aufgabe, die viel Erfahrung erfordert. In Japan, erzählt sie, werden | |
Menschen angestellt, die nachts wach bleiben müssen, um das zu überwachen. | |
Sie selbst hat es so abgepasst, dass sie gut schlafen konnte. | |
Trotz ihrer jahrelangen Erfahrung fühlt Polly Yim sich als Anfängerin. „Um | |
Koji zu begreifen, reicht ein Leben nicht aus“, sagt sie. Das liegt auch | |
daran, dass die Lernkurve nicht besonders steil ist, wenn Experimente | |
mehrere Monate oder sogar Jahre dauern. Gerne vernetzt sich Yim mit anderen | |
Liebhabern, die internationale Gemeinde trifft sich jedes Jahr virtuell bei | |
der sogenannten Kojicon. Kurz vor Ende der diesjährigen Konferenz kam die | |
Nachricht, dass zum ersten Mal eine Misopaste [5][an Bord der ISS | |
fermentiert wurde]. Ihr Geschmack laut des verantwortlichen | |
Wissenschaftlers: Noch nussiger und umamiger als auf der Erde. | |
14 May 2024 | |
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## AUTOREN | |
Benjamin Fischer | |
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