# taz.de -- Strukturwandel im Weinbau: Wo das Rebenmeer zum Friedhof wird | |
> In Franken sinkt die Zahl der Winzer und die Größe der Weinanbauflächen. | |
> Ein großer Kulturverlust? Nicht unbedingt, sagt unser Autor. | |
Bild: Weinstöcke bei Castell, Franken | |
Man meint, die gesamte Vegetation würde trauern. Sogar das Gras ist auf dem | |
leeren Stück Weinberg bleicher und strohiger als drumherum. Und wie ein | |
Grabstein ragt noch ein abgebrochener Rebstock aus einer der leeren Zeilen. | |
[1][Wandert man durch die Weinberge in Unterfranken], sieht man regelmäßig | |
solche Flächen, wo einst die Weinstöcke in Reih und Glied standen und sich | |
nun Wildwuchs breitmacht. Sie sind der Spiegel einer Krise und gleichzeitig | |
eines tiefgreifenden Strukturwandels, der den Weinbau erfasst. Er hat | |
vielfältige Ursachen. Schon seit einigen Jahren [2][sinkt der | |
Alkoholkonsum], gleichzeitig steigt der Aufwand im Weinbau. Da sind die | |
Energiepreise, die Lohnkosten, zusätzlich [3][zwingt die Erderwärmung] auch | |
Winzer:innen fast überall zu Anpassungen und Investitionen. Nicht wenige | |
geben auf. | |
Die Zahlen sind deutlich. Gab es in den 1990er Jahren in Franken noch um | |
die 10.000 Winzerbetriebe, sind es aktuell nach Angaben des Fränkischen | |
Weinbauverbands nur noch rund 3.000. Und damit sei noch lange nicht | |
Schluss: Von derzeit etwa 6.300 Hektar Rebfläche würden 10 Prozent in den | |
nächsten Jahren stillgelegt, schätzt der Verband. | |
Auch bei uns am Stammtisch ist die Krise Thema. Einen Weinberg zu besitzen, | |
das war vor Jahrzehnten noch ein Ausweis von Wohlstand. Heute sind die | |
Flächen nahezu unverkäuflich. Es trifft vor allem die kleineren Weinbauern, | |
die über Jahrzehnte ohne eigene Kellerei für Genossenschaften produziert | |
haben. Dass sie aufgeben müssen, empfinden die Menschen als besonders hart. | |
Heißt die Zukunft also Brache? Das fragen mich immer wieder Gäste, die so | |
einem Weinfriedhof bei ihren Wanderungen begegnen und die Trauer mit an die | |
Rezeption nehmen. Ich bin mir sicher, das muss nicht so sein. Denn man muss | |
sich vor Augen halten: Das Bild, das wir von Weinbaugebieten haben, ist ein | |
ziemlich junges. Es ist mit der Flurbereinigung entstanden, die nach dem | |
Zweiten Weltkrieg die Landwirtschaft industrietüchtig machte. Die | |
Weinbaugebiete wurden verdichtet, Parzellen wurden zusammengelegt, Zuwege | |
vergrößert, die Abstände zwischen den Weinstöcken für den Einsatz von | |
Traktoren erweitert. | |
Es entstanden weitläufige Monokulturen, wie auf allen Feldern der | |
Landwirtschaft. Man taufte sie romantisch „Rebenmeere“, was half, zu | |
vergessen, dass einst Trockenmauern, Hecken, Streuobstwiesen und | |
Tierweiden die Weinbergslandschaft unterteilten. Nicht einmal 70 Jahre gibt | |
es das neue Landschaftsbild nun, und nachhaltig war es nie. Mehr Diversität | |
ist notwendig. Die brachliegenden Inseln in den Rebenmeeren werden dafür – | |
hoffentlich – die Pionierflächen sein. | |
28 May 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Beschaedigte-Weinstoecke/!6011437 | |
[2] /Sinkende-Sektverkaeufe/!6054325 | |
[3] /Extreme-Wetterereignisse/!6082819 | |
## AUTOREN | |
Jörn Kabisch | |
## TAGS | |
Kolumne Der Wirt | |
Winzer | |
Franken | |
Wein | |
Landwirtschaft | |
Gastronomie | |
Kolumne Der Wirt | |
Kolumne Der Wirt | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Mehrwertsteuersenkung in der Gastronomie: It's not the economy, stupid! | |
„Die Gastronomie stirbt“: Das ist ein Narrativ, das den Leuten immer | |
schwerer auszureden ist. Die hohe Politik fördert diese Erzählung. | |
Beschädigte Weinstöcke: Hoffen auf den goldenen Herbst | |
Der Frost hat Spuren hinterlassen, viele Weinstöcke sind beschädigt. Für | |
Winzer ist das schlimm, für unseren Autor hat es zumindest einen Vorteil. | |
Fränkisches Glasgefäß: Platte Flasche für sauren Wein | |
Der Bocksbeutel gehört zu Franken wie der Maßkrug zu Bayern. Doch wer was | |
auf seinen Wein hält, füllt ihn lieber in Burgunderflaschen. |