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# taz.de -- Mehrwertsteuersenkung in der Gastronomie: It's not the economy, stu…
> „Die Gastronomie stirbt“: Das ist ein Narrativ, das den Leuten immer
> schwerer auszureden ist. Die hohe Politik fördert diese Erzählung.
Bild: Wie schön, ein traditionelles Wirtshaus! Seufz!
Unsere Gaststube lässt Gäste regelmäßig seufzen. Es ist viel Holz an den
Wänden, darüber hängen Geweihe, die Lampen sind fränkisches Art déco. Wie
schön, ein traditionelles Wirtshaus! Seufz!
Aber dann kommt das Gespräch schnell auf den Zustand der Gastronomie und
die verlassenen Lokale, die man ja überall auf dem Land sehe. Und schon
laufen wir Gefahr, zu den angeblich Todgeweihten gezählt zu werden. Seufz.
Es ist ein Narrativ, das den Leuten immer schwerer auszureden ist: Die
Gastronomie stirbt – und daran sind die allgemeinen Verhältnisse schuld,
die Bürokratie, die Abgabenlast, die Mieten und die Inflation.
Ärgerlicherweise füttert vor allem die hohe Politik das Narrativ, auch
jetzt wieder, in den Koalitionsverhandlungen.
Eine der ersten Maßnahmen, auf die sich Schwarz-Rot geeinigt hat, war die
Senkung der Mehrwertsteuer in der Gastronomie von 19 auf 7 Prozent. Zur
Entlastung der Branche heißt es pauschal. Weil, der geht es mies, das weiß
ja jeder.
Den Leuten, die seufzend bei uns am Tresen stehen, erkläre ich deswegen,
warum wir kein klassisches Gasthaus führen. Übernachten kann man bei uns
immer, mit Frühstück. Dass es abends was zu essen gibt, ist die Ausnahme.
Nur am Wochenende gibt es ein Menü, das der Koch selbst serviert. Man muss
dafür vorher reservieren. Wir sind nämlich nur zu zweit. Und damit so
ziemlich das Gegenteil vom klassischen Gasthaus, das früher die gesamte
Woche mittags und abends offen hatte. Mit Schnitzel, Würsteln und Braten
auf der Karte. Wo in der Küche nur selten das Licht ausging.
Das funktionierte, weil es eine große Belegschaft gab. Sie rekrutierte sich
aus der Wirtsfamilie, also Kinder, Eltern, Großeltern. Dazu kamen
ungelernte „Hausfrauen“ aus der Nachbarschaft, Schüler:innen, alte Leute
mit schmaler Rente. Wo immer ich in Unterfranken ein Gasthaus mit dem alten
Rund-um-die-Uhr-Betrieb entdecke, stoße ich auf diese Struktur.
Dabei ist sie schon längst ein Stück aus dem Museum. Weil junge Menschen
heute nach Interesse und Talent ihren Beruf wählen und nicht nach
Familientradition, weil Frauen gleichberechtigter sind, weil Altersarmut
vor allem bei Frauen problematisiert wird – Stichwort: Mütterrente, auf
deren Erhöhung sich Schwarz-Rot übrigens auch geeinigt hat.
Daher: Für die Institution Gasthaus bringt die Subvention über die
Mehrwertsteuer gar nichts. Ich zweifele sogar, dass die ermäßigte Steuer
über die Preise an die Gäste weitergegeben wird. Vor allem wird sie keine
neuen Mitarbeiter bringen. Denn für die ganze Branche gilt: „It’s not the
economy, it’s the staff, stupid!“ Das Verschwinden der alten Gasthäuser ist
nur das beste Beispiel dafür.
31 Mar 2025
## AUTOREN
Jörn Kabisch
## TAGS
Gastronomie
Kolumne Der Wirt
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Essen
wochentaz
Schwerpunkt Stadtland
Inklusion
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