| # taz.de -- Foodfluencer Jonathan Stodtmeister: „Die Speisekarten sind eigent… | |
| > Jonathan Stodtmeister besucht alteingesessene Lokale in ganz Deutschland. | |
| > Auf Instagram zeigt er, was fehlt, wenn es nur noch ums schnelle Foto | |
| > geht. | |
| Bild: Man kommt für die Mahlzeit und den Austausch: Schelling-Salon in München | |
| taz: Herr Stodtmeister, Sie besuchen Wirtshäuser und Imbisse mit | |
| jahrzehntelanger Tradition in deutschen Städten und machen daraus kurze | |
| Videos, die auf Instagram und Tiktok Hunderttausende schauen. Woher stammt | |
| Ihre Liebe zum Essen und zur [1][Gastronomie]? | |
| Jonathan Stodtmeister: Ich bin ein Gastro-Kind. Meine Mutter war | |
| alleinerziehend und hat oft in Caterings im Service mitgearbeitet. Da gab | |
| es oft keinen Babysitter und ich wurde hinten bei den Köchen geparkt. Ich | |
| hatte es mit denen dann lustig und durfte in jungen Jahren schon besondere | |
| Sachen probieren. Ich muss 3 oder 4 gewesen sein, als ich auf einer | |
| Küchenanrichte saß und ein Kalbsrahmgulasch hingestellt bekommen habe, das | |
| ich nie mehr vergessen habe – klingt überzogen, aber so ist es. | |
| taz: Und wie kamen Sie dazu, sich für [2][Social Media] speziell | |
| Traditionslokale anzuschauen? | |
| Stodtmeister: Das habe ich schon vorher getan, ohne Content draus zu | |
| machen. Man besucht mal Freunde, ist dann irgendwie in Frankfurt, und da | |
| erzählt dir ein Freund: In der Kleinmarkthalle steht bei einem Wurststand | |
| die Ilse Schreiber, eine Frau, die das seit 60 Jahren macht. Das | |
| interessiert mich einfach total! Und dann habe ich gesehen, dass das auf | |
| Social Media noch eine freie Nische ist und einfach angefangen. Dabei will | |
| ich nicht laut und auf die Fresse sein. Mein Content soll entschleunigen | |
| und daran erinnern, dass auf Social Media nicht alles schnell und hektisch | |
| sein muss. | |
| taz: Was fasziniert Sie an solchen Traditionsläden? | |
| Stodtmeister: Dass kein Gericht dafür konzipiert ist, dass es | |
| instagrammable ist, also sich gut für ein Foto für den eigenen | |
| Social-Media-Feed eignet – sondern dafür, dass du für deine Mahlzeit und | |
| den Austausch herkommst. Diese greifbare Gemütlichkeit und, mein Gott, | |
| vielleicht ist die Kellnerin etwas mürrisch, aber da ist trotzdem | |
| gleichzeitig so eine Herzlichkeit drinnen. Und dazu einfach diese | |
| Tradition, alleine die Speisekarten sind ja eigentlich Geschichtsbücher! Da | |
| steh ich dann in Köln und da steht ein rheinischer Sauerbraten auf der | |
| Karte … und der ist vom Pferd. Warum ist der vom Pferd? Weil Pferdefleisch | |
| in der Region durch Kriege und so weiter früher halt besser verfügbar und | |
| günstiger war. Eine superspannende Geschichte. | |
| taz: Welche Erfahrung haben Sie von Ihren Reisen mitgenommen? | |
| Stodtmeister: Bei mir ist noch mehr Bewusstsein dafür entstanden, dass | |
| hinter dem, was wir auf dem Teller haben, echte Menschen stehen, echte | |
| Familien, echte Existenzen. Mit jeder Mahlzeit, die wir draußen zu uns | |
| nehmen, können wir eine Entscheidung treffen. Ich bin der festen | |
| Überzeugung, dass es immer die Möglichkeit gibt, bei einem | |
| Traditionsbetrieb zu essen, eine gute Zeit zu haben, einen fairen Preis zu | |
| bezahlen. Und eben nicht das Geld einer [3][Fast-Food-Kette] zu geben oder | |
| einem schnell hochgezogenen Laden, der irgendein Hype-Food verkauft und | |
| hinter dem Investoren und Venture Capital stecken, die irgendwo in Irland | |
| Steuerbetrug begehen. | |
| taz: Ist Ihnen eine Begegnung besonders im Kopf geblieben? | |
| Stodtmeister: Ich habe bei einem Gyrosimbiss in Köln lange mit dem Inhaber | |
| Micha geredet, und der hat gesagt: Hey, mir steht’s Wasser bis zum Hals. | |
| Früher haben sich die Leute hier in der Mittagspause eine Gyros-Pita | |
| geholt, jetzt gehen sie auf die andere Straßenseite zum Döner, weil es halt | |
| auch ein ewiges Preisdumping ist. Er hat riesige Sorgen und Existenzängste. | |
| Das hat er so nicht genau gesagt, weil er ja auch ein stolzer Mann ist und | |
| keine Schwäche zeigen will, aber zwischen den Zeilen könnte man das so | |
| heraushören. Das saß mir echt in den Knochen. | |
| taz: Den Traditionslokalen geht es nicht gut? | |
| Stodtmeister: Viele müssen kämpfen oder gar schließen. Die Foodszene ist | |
| generell im Umbruch, und da ist sicherlich Social Media mitverantwortlich, | |
| einfach durch Konzepte, die auf Fotografierbarkeit ausgelegt sind und nicht | |
| darauf, 30, 50, 100 Jahre am Markt zu sein. Die Investoren wissen genau, | |
| wie sie zum Beispiel eine erfolgreiche Netflix-Serie wie „Haus des Geldes“ | |
| nehmen und daraus Lokale machen: Haus des Döners. Solche Hype-Läden werfen | |
| kurz Geld ab und verschwinden dann wieder. Allerdings: Dass | |
| Traditionslokale wegsterben, liegt natürlich auch nicht nur daran. Da | |
| spielt auch der Mangel an Arbeitskräften eine wichtige Rolle, die | |
| steigenden Energiekosten und Lebensmittelpreise, dazu ein perverser | |
| Verwaltungsapparat. So geht insgesamt viel Altes verloren. Aber immerhin – | |
| durch das Neue wird es auch diverser. | |
| taz: Inwiefern diverser? | |
| Stodtmeister: In der deutschen Foodszene sind schon viele geile | |
| internationale Einflüsse reingekommen. Wir verstehen manchmal nicht, wie | |
| weit wir schon sind, auch bei der Qualität. Ich war kürzlich in New York | |
| und dachte so: Boah, hier muss es ja den gestörtesten Burger geben! Und | |
| dann habe ich gemerkt, die kochen auch nur mit Wasser. Da war kein Burger | |
| geiler als einer, den ich hier schon gegessen habe. | |
| taz: Zurück nach Deutschland. Haben Sie bei Ihren Reisen zu | |
| Traditionslokalen denn auch mal Enttäuschungen erlebt? | |
| Stodtmeister: Bisher glücklicherweise nicht. Ich würde aber wahrscheinlich | |
| das Video dann auch nicht hochladen. Manche machen das ja. Ich muss aber | |
| keinem struggelnden Gastronomen damit wirklich den letzten Boden unter den | |
| Füßen wegreißen. Vielleicht bin ich gerade an einem schlechten Tag | |
| dagewesen. Und dann werde ich nicht hunderttausend Leuten auf Social Media | |
| davon berichten, dass irgendwas zäh war oder ein bisschen kalt. Da spüre | |
| ich auch eine gewisse Verantwortung. | |
| taz: Sie waren ja schon viel unterwegs. Können Sie ein Lieblingslokal von | |
| Ihren Reisen nennen? | |
| Stodtmeister: Der Schelling-Salon in München ist ganz oben dabei. Das ist | |
| ein ganz altes Lokal, in dem man Billard und im Keller Tischtennis spielen | |
| kann und auch noch wirklich gute bayerische Hausmannskost bekommt. Ich fand | |
| aber auch das Maultaschenhäusle in Stuttgart super stark, weil es eben | |
| wirklich genau das ist: eine von außen absolut nicht schöne, kleine, sehr | |
| rustikale Hütte. Und drinnen ist es an Herzlichkeit nicht zu übertreffen, | |
| es ist familiengeführt, und es gibt halt einfach die besten Maultaschen, | |
| die ich je hatte. Mich begeistert ohnehin immer die Einfachheit eines | |
| Produkts, also: Je weniger Zutaten ein Gericht hat, desto wichtiger ist ja | |
| die Qualität der einzelnen Komponenten. Und bei einer Maultasche hast du | |
| ein Stück Brät in einem Pastateig. Da schmeckst du einfach sofort, ob das | |
| ein handwerklich ordentlicher Pastateig ist. | |
| taz: Auch Traditionslokale waren irgendwann mal neu. Was bräuchte denn eine | |
| Neueröffnung heute, dass Sie denken: Das hat das Potenzial, nicht so zu | |
| werden wie viele andere? | |
| Stodtmeister: Man darf ein Traditionslokal nicht gleichsetzen mit einem | |
| Restaurant, das tradionelle Küche anbietet. Um ein Traditionslokal zu | |
| werden, entscheidet gar nicht in erster Linie, was auf den Teller kommt, | |
| sondern die Haltung dahinter. Bei Hype-Läden geht es nur um Profite, die | |
| sind deshalb auch oft megaanonym und gesichtslos. Bei Traditionslokalen | |
| hast du meistens Leute, die das Gastgebertum im Blut haben. Im Gegensatz zu | |
| gebrandeten Läden haben sie meist ehrlich keine Lust, die Preise zu | |
| erhöhen, weil sie Stammkunden haben. Kunden, die fast wie Freunde sind, die | |
| dreimal die Woche kommen und sich auf einen Schnack hinsetzen. | |
| 26 Oct 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Marc Tawadrous | |
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