# taz.de -- Konservenfabrik in Brandenburg: Es geht um die Gurke | |
> Die Spreewälder Gurke ist in Golßen Wirtschaftsfaktor und Teil der | |
> Identität. Nun stellt der größte Hersteller die Produktion in der | |
> Gurkenstadt ein. | |
Bild: Identitätsstiftend: So kommt die Gurke in Golßen ins Glas | |
Golßen taz | An der Gurke kommt in Golßen niemand vorbei. „Heimat der | |
Spreewaldgurke“, grüßt ein Schild am Ortseingang der Kleinstadt im Süden | |
Brandenburgs. Sie liegt, na klar, am Gurkenradweg. Und einmal im Jahr, am | |
Gurkentag, richtet Golßen ein Fest aus mit Kulinarischem und Kulturellem | |
aus der Region. | |
Entstanden ist die ganze Gurken-Folklore rund um die große Fabrik, die | |
mitten in Golßen steht. Die hier ansässige Spreewaldkonserve GmbH ist die | |
größte Produktionsstätte der [1][Regionalspezialität Spreewälder Gurken] �… | |
mit Zwiebeln, Kräutern, Gewürzen und Senfkörnern eingelegte Gürkchen. | |
Noch jedenfalls. Der Schock war groß, als der Eigentümer Ende Januar | |
bekanntgab, die Produktion in Golßen Ende 2025 einzustellen. Aufgrund der | |
„schwierigen Marktbedingungen“ verlagere man die Fertigung der Konserven an | |
einen kleinen Standort in einem nahegelegenen Dorf, hieß es. 220 | |
Arbeiter*innen der Spreewaldkonserve müssen nun um ihre Jobs fürchten. | |
Ein harter Einschnitt in dem Städtchen mit nur 2.500 Einwohner*innen. Die | |
Fabrik ist sowieso einer der wichtigsten Arbeitgeber der Region. Aber die | |
Gurke ist in Golßen nicht nur ein Wirtschaftsfaktor. Sie ist Teil der | |
Identität. | |
Seit 1946 werden hier Gewürzgurken und andere Gemüse- und Obstkonserven | |
hergestellt, davon 40 DDR-Jahre lang im „Volkseigenen Betrieb | |
Spreewaldkonserve Golßen“. Nach der Wende wurde die Spreewaldkonserve mit | |
ihrer bekannten Marke „Spreewaldhof“ zum Familienunternehmen, das 2021 | |
schließlich der französische Lebensmittelkonzern Andros aufkaufte. Fast | |
jede*r in Golßen hat Verwandte oder Bekannte, die in der Fabrik gearbeitet | |
haben oder dort arbeiten – einige mittlerweile in dritter Generation. | |
„Niemand kann sich Golßen ohne den Spreewaldhof und ohne den Duft von | |
Gurken, Sauerkraut, Rotkohl oder Apfel vorstellen“, erzählt Andrea Schulz. | |
Sie ist in Golßen geboren und seit vergangenem Jahr parteilose | |
Bürgermeisterin der Kleinstadt in der Niederlausitz, rund 60 Kilometer von | |
der südlichen Berliner Stadtgrenze entfernt. Der Schreck über die Nachricht | |
von der drohenden Schließung sitzt tief: „Mir hat es den Boden unter den | |
Füßen weggerissen“, erinnert sich Schulz. „Ich selbst bin direkte | |
Nachbarin. Wenn ich im Bett liege, höre ich die Gläser klappern. Damit bin | |
ich aufgewachsen.“ | |
Jetzt fürchtet die Bürgermeisterin um das Aushängeschild. Und nicht nur | |
das: „Mit der Schließung der Fabrik könnten zwischen 10 und 20 Prozent der | |
Bürger Golßens auf einen Schlag arbeitslos werden“, rechnet Schulz vor. | |
## Alle zeigen sich getroffen | |
Gleich vor der Tür ihres Amtssitzes liegt der Golßener Marktplatz. An | |
diesem Montagmittag ist er wie leergefegt, das Café Leben hat Ruhetag, auch | |
das Restaurant neben dem wuchtigen, neogotischen Backstein-Rathaus ist | |
geschlossen. Grell scheint die Wintersonne auf die Pflastersteine, ein paar | |
Passant*innen tragen ihre Einkäufe aus dem nahegelegenen Discounter nach | |
Hause. Auf das Thema Gurken angesprochen, zeigen sich alle hier tief | |
getroffen. „Das ist schlimm für die Stadt“, sagt eine ältere Golßenerin. | |
„Furchtbar“, bekundet ein anderer: „Wenn die Fabrik mal weg ist, weiß ich | |
nicht, wie es hier weitergehen soll.“ | |
Aber noch dampft und raucht es über dem Werksgelände. Es liegt gleich neben | |
dem historischen Stadtkern und erstreckt sich über eine Fläche, die fast so | |
groß ist wie die Altstadt. Ein leicht säuerlicher, gäriger Geruch liegt in | |
der Luft, alle paar Minuten fährt ein Lastwagen durch die Tore. | |
In der Einfahrt gleich rechts befindet sich der sogenannte Hofladen. Wer | |
ihn betritt, landet im Konservenparadies. Regalmeterweise stehen die | |
Produkte der Fabrik in Gläsern zum Verkauf: Saure Gurken, Pfeffergurken, | |
Knoblauchgurken, XXL-Partygurken. Kund*innen sind keine da, aber am | |
Telefon herrscht reger Betrieb. Die Verkäuferin nimmt Bestellungen | |
entgegen: „12 Gläser von den knackig-süßen, alles klar“. Mit der Presse | |
reden möchte sie lieber nicht. Sie sei froh, dass sie ihren Job im Moment | |
noch habe. | |
Die Golßener Gurken sind im Osten Deutschlands nach eigenen Angaben Nummer | |
eins im Saure-Gurken-Markt, bundesweit landen sie auf Platz drei. Neben der | |
Spreewaldkonserve gibt es im Südosten Brandenburgs noch weitere | |
Gurkenwerke, die oft in Familienhand sind. Seit 1999 trägt das regionale | |
Produkt Spreewälder Gurke [2][das EU-Siegel der „Geschützten Geografischen | |
Angabe“]. | |
Insgesamt werden im Spreewald auf mehr als 500 Hektar Gurken angebaut, | |
schätzt der Spreewaldverein, eine Interessensvertretung von regionalen | |
Unternehmen und Kommunen. Die Ernte betrug 2024 demnach etwa 32.000 Tonnen. | |
Doch das Geschäft schwächelt, wie die drohende Schließung der Golßener | |
Fabrik untermauert. Der Mutterkonzern Andros beklagt auf taz-Anfrage, der | |
Markt für eingelegtes Gemüse sei seit Jahren rückläufig „und durch | |
Überkapazitäten gekennzeichnet“. Preissteigerungen infolge der | |
Coronapandemie sowie höhere Energie- und Lohnkosten könnten deshalb nicht | |
an die Kund*innen weitergegeben werden. | |
## Bestreben gegen die Abhängigkeit | |
Heinz-Peter Frehn hat das geahnt. Der Bauer betreibt wenige Kilometer | |
südwestlich von Golßen einen Hof für Freilandgemüse. Dieses Jahr geht er in | |
seine „44. Gurkensaison“, wie er sagt. Zunächst im Rheinland, baut er | |
inzwischen schon seit 1997 seine Gurken im Spreewald an und arbeitet eng | |
mit der Spreewaldkonserve zusammen. Aber in den vergangenen Jahren hat die | |
Fabrik ihm immer weniger Gurken abgenommen: 2021 erntete Frehn 6.000 Tonnen | |
Gurken für die Spreewaldkonserve, im vergangenen Jahr waren es nur noch | |
2.500 Tonnen. | |
„Es war uns seit Langem klar: Kriegt die Fabrik – bildlich gesprochen – | |
einen Schnupfen, haben wir direkt eine Lungenentzündung“, sagt Frehn. | |
Deshalb habe er in den vergangenen Jahren viel dafür getan, den Betrieb zu | |
diversifizieren und weniger abhängig zu machen von der Konservenproduktion. | |
„Wir haben Obst gepflanzt und einen Biobetrieb gegründet. Da bauen wir | |
jetzt Zwiebeln, Rote Beete, Sellerie und Kartoffeln an.“ Vom Rotkohl, auch | |
ein klassisches Konservenprodukt, habe er sich mittlerweile verabschiedet: | |
„Das hat sich sowieso nicht mehr gerechnet.“ | |
Frehn befürchtet, dass sich die angekündigte Schließung der | |
Spreewaldkonserve zu Ende des Jahres schon auf die nun anstehende | |
Gurkensaison auswirken könnte: „Die guten Leute, die jetzt noch in der | |
Fabrik arbeiten, die suchen sich womöglich schon diesen Sommer etwas Neues | |
und fehlen dann.“ | |
Tatsächlich ist völlig unklar, wie es für die 220 Beschäftigten jetzt | |
weitergeht. Eine Betriebsversammlung Mitte Februar schuf keine klare | |
Perspektive. Andros hat angekündigt, in Verhandlungen mit Gewerkschaft und | |
Betriebsrat einen Sozialplan für die Mitarbeiter*innen aufzustellen – | |
also die Entlassungen weiter vorzubereiten. | |
Bei der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) ist man empört über | |
den Umgang von Andros mit der Belegschaft. „Die Nachricht über die geplante | |
Schließung kam aus heiterem Himmel, der Betriebsrat wurde dabei komplett | |
übergangen“, kritisiert Rebecca Rahe, als Gewerkschaftssekretärin der NGG | |
Berlin-Brandenburg unter anderem zuständig für die obst- und | |
gemüseverarbeitende Industrie. „Dem Eigentümer geht es nur um die schnelle | |
Abwicklung.“ | |
Erst im vergangenen Jahr haben die Beschäftigten in Golßen gemeinsam mit | |
der Gewerkschaft einen Tarifvertrag erkämpft. Fachkräfte erhalten seitdem | |
einen Stundenlohn von 16 Euro oder mehr. Zuvor hatten die Betreiber | |
jahrelang Niedriglöhne gezahlt. Mit der Entlassung eines Großteils der | |
Belegschaft setze Andros künftig „massiv auf Saisonkräfte und Leiharbeit“, | |
betont Rebecca Rahe. Um die Schließung abzuwenden, hat die NGG auch | |
[3][eine Unterschriftenkampagne gestartet], den „Golßener Weckruf“. | |
Auch Bürgermeisterin Andrea Schulz kämpft für den Erhalt der | |
Konservenfabrik: „Ich gebe die Hoffnung nicht auf, bis ich alles versucht | |
habe.“ Sie hat bereits mit der Geschäftsführung gesprochen und zeigt sich | |
verhalten optimistisch: „Alle sind bemüht, eine Lösung zu finden. Am Ende | |
geht es für uns darum, den Produktionsstandort in Golßen zu sichern – dann | |
hat er eine Chance, sich wieder zu erholen.“ | |
Schulz unterstützt auch eine Demo der Mitarbeiter*innen und Zulieferer | |
der Spreewaldkonserve, die am 19. Februar in Golßen stattfinden soll. | |
„Abend der 1.000 Lichter“ steht groß auf dem [4][Plakat], und: „Wir geben | |
so schnell nicht auf!!!“ Es handele sich nicht um eine politische | |
Veranstaltung, ist dem Aufruf zu entnehmen. Dabei hat die AfD, [5][in | |
Golßen ohnehin sehr präsent], das Thema schon längst für sich entdeckt. | |
Schuld an der Gurken-Misere sei die „wirtschaftsfeindliche Politik der | |
Bundesregierung“, heißt es in Social-Media-Beiträgen von AfD-Politikern. | |
Die Bürgermeisterin ist bemüht, die Wogen zu glätten: Man wolle auf der | |
Demo einfach keine politischen Statements so kurz vor der Bundestagswahl. | |
„Als Bürger ist jeder herzlich willkommen“, sagt Schulz. Es gehe | |
schließlich um „den Charakter, den Charme und die Würze unserer Stadt“. | |
15 Feb 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Erntezeit-im-Spreewald/!5596078 | |
[2] https://ec.europa.eu/geographical-indications-register/eambrosia-public-api… | |
[3] https://ost.ngg.net/artikel/2025/golssener-weckruf-die-spreewaldgurke-muss-… | |
[4] https://meetingpoint-dahme-spreewald.de/neuigkeiten/artikel/186847-abend-de… | |
[5] /AfD-attackiert-DRK-in-Brandenburg/!6010872 | |
## AUTOREN | |
Hanno Fleckenstein | |
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