Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Erntezeit im Spreewald: Saure-Gurken-Zeit
> Das krumme Gemüse ist kulinarischer Botschafter des Biosphärenreservats
> Spreewald. Auf dem Gurkenradweg kann man sich diese Region erradeln.
Bild: Mit dem Paddelboot geht es in den Waldgasthof
Es ist eine der Schlüsselszenen aus „Good Bye, Lenin“: Wie der Protagonist,
gespielt von Daniel Brühl, krampfhaft versucht, Spreewaldgurken
aufzutreiben, damit seine kranke Mutter, die die Dinger so gerne isst,
nicht merkt, dass die DDR aufgehört hat zu existieren.
Die Gurken hatten damals Kultstatus in der Republik. Sie gehören zu den
wenigen Produkten, die sich unbeschadet über die Wende retten konnten.
Inzwischen werden sie sogar durch ein Gütesiegel der Europäischen Union
geschützt und sind kulinarischer Botschafter des Spreewalds. Dass der mit
seinem Wasser, Böden und Mikroklima nicht nur beste Voraussetzungen für den
Gemüseanbau bietet, sondern überhaupt ein ganz besonderes Stück Deutschland
ist, kann man erleben, wenn man auf dem Gurkenradweg durch das
Unesco-Biosphärenreservat radelt.
Wir beginnen in Lübbenau, dem Zentrum des Gurkenanbaus. Fast alle Wege
führen zur Gurkenmeile am Großen Kahnhafen. Hier stehen die meisten
Verkaufsstände der Gurkeneinlegereien. „Täglich frisch vom Fass, der Eimer
für 2,90 Euro. Kostproben kostenlos!“ steht auf den Schildern.
Von denen schweift unser Blick zu den Kähnen, die auf dem Wasser vor sich
hin dümpeln. Sie sind mit Plastikblumen geschmückt, außerdem liegen
Häufchen von Flachmännern auf den Tischen bereit. Es soll lustig werden bei
den Kahnfahrten, vielleicht, weil die Passagiere sonst nicht viel zu lachen
haben. Irgendjemand hatte uns erzählt, die Hipster hätten jetzt den
Spreewald für sich entdeckt. Doch die, die jetzt auf die Kähne steigen,
zählen definitiv nicht dazu. Wir steigen lieber in den Sattel. Am Schloss
Lübbenau vorbei fahren wir nach Lehde.
Kanäle durchziehen die Waldsiedlung, auf winzigen Inseln stehen über
hundert Jahre alte Häuser im Blockhausstil inmitten von üppig blühenden
Bauerngärten. Einige Gehöfte gehören zu einem Freilichtmuseum, das über
die traditionelle Lebensweise der hiesigen Bevölkerung informiert. Es
zeigt, wie sie hier früher ihre Trachten webte und wie sie bis 1990 die
typischen Spreewaldkähne baute, die lange Zeit einziges Fortbewegungsmittel
waren. Noch heute stellt hier Deutschlands einzige Postkahnfrau die Briefe
vom Wasser aus zu.
## Dill muss sein
Auf demselben Weg entsorgt ein Fährmann den Müll. Außerdem kann man sehen,
wie hier traditionell die Gurken einlegt werden. Die Saure-Gurken-Zeit
begann vor einigen Jahrhunderten, als flämische Tuchmacher die Samen aus
ihrer Heimat mitbrachten. Um das Erntegut haltbar zu machen, legte man es
in Essig ein – und wandte das Verfahren der Milchsäuregärung an, das heute
voll im Trend liegt. „Ausschlaggebend für den besonderen Geschmack sind
neben Salz und Essig auch Senf, Zwiebeln, Pfefferkörner und vor allem
Kräuter“, erklärt eine junge Frau an einem Verkaufsstand. „Ganz wichtig i…
Dill. Aber auch Basilikum und Zitronenmelisse. Da hat jede Einlegerei ihre
eigenen Rezepte, die sie meist streng geheim hält.“
Nachdem wir die Räder über hohe Brücken, sogenannte Bänke, getragen haben,
die den Kahnfahrern genügend Platz zum Staken lassen, wird es einsam. Ein
schmaler Pfad führt an einem trägen Fließ entlang, rechts und links
Grauerlen, dahinter eine Wildnis aus Sümpfen, Morast und Totholz. Abseits
vom Weg tut sich ein richtiges Labyrinth aus Wasserläufen auf.
Der Sage nach soll es entstanden sein, als dem Teufel beim Pflügen die
Ochsen durchgingen und sich beim wilden Gerangel der Tiere die Spree in
lauter Fließe zerteilte. Um die tausend Kilometer sind sie lang, und um sie
herum breitet sich eine eigentümliche Wald- und Weidelandschaft aus, die
unter dem Schutz der Unesco steht. In ihr gedeihen nicht nur Gurken,
Meerrettich und anderes Gemüse. Hier sind auch seltene Lurche,
Schwarzstörche und Seeadler zu Hause.
Und selbst wenn der Spreewald eine der touristischsten Gegenden
Brandenburgs ist – jenseits der von den Kähnen befahrenen Fließe wirkt die
Landschaft immer noch archaisch. Das ändert sich erst, als der Wald sich
lichtet und wir Burg erreichen. Wellnesshotels, die Spreewaldtherme und
allerlei Gaststätten liegen am Wegesrand. Zwischendurch schauen wir uns vom
Bismarckturm aus alles von oben an.
Ein paar Pensionen, die Spreewald Lodge und ein Café tauchen zwischen
Streubostwiesen auf. Inzwischen wird es richtig einsam. Ein paar Kilometer
müssen wir über einen holperigen Plattenweg radeln und verlieren vor lauter
vielen Wegen, Wiesen und Wasserläufen fast die Orientierung. Bis wir kurz
vor Lübbenau am mehr als hundert Jahre alten Ausflugslokal Wotschofska
ankommen.
Auf einer Erleninsel gelegen, ist es nur zu Fuß, per Fahrrad oder Boot zu
erreichen. Neben dem urigen Gasthaus und dem Biergarten gibt es auch einen
Lounge-Bereich. Und da sind jetzt die Hipster und lümmeln in Liegestühlen
am Wasser. Nur dumm, dass es auf der Speisekarte kaum was für Veganer gibt.
Da müssen sie wohl in eine saure Gurke beißen!
23 Jun 2019
## AUTOREN
Ulrike Wiebrecht
## TAGS
Spreewald
Freilichtmuseum
Gurken
Schwerpunkt Stadtland
Brandenburg
## ARTIKEL ZUM THEMA
Konservenfabrik in Brandenburg: Es geht um die Gurke
Die Spreewälder Gurke ist in Golßen Wirtschaftsfaktor und Teil der
Identität. Nun stellt der größte Hersteller die Produktion in der
Gurkenstadt ein.
Sommerausflug Teil 7: Auf verwunschenen Fließen
Der Unterspreewald ist anders als das vom Massentourismus geprägte Lübbenau
oder Lübben noch immer gut für eine Entdeckungsreise. Eine Paddeltour.
Kommunikation per Boot: Im Spreewald geht die Post noch ab
Seit 20 Jahren verteilt Jutta Pudenz im Spreewald die Post mit dem Kahn.
Längst ist sie Botschafterin der Region und ein sympathisches
Aushängeschild der Deutschen Post AG - die sich sonst immer weiter von
ihren Kunden entfernt.
Brandenburger Sommer: Neue Sommerjobs im Spreewald
An den 50 Selbstbedienungsschleusen im Spreewald finden Arbeitslose in
diesem Sommer ihr Auskommen. Die Paddler und die Umwelt danken es, und die
Behörden drücken vorerst ein Auge zu
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.