| # taz.de -- Trinkgeld – ja, nein?: Ein Relikt aus alten Zeiten | |
| > Das Kartenlesegerät unseres Kolumnisten soll mit einer Trinkgeldfunktion | |
| > ausgestattet werden. Was in der Gastronomie stattdessen überfällig wäre. | |
| Bild: Relikt aus einer vergangenen Zeit: Barzahlung mit Trinkgeld | |
| Es ist immer wichtig, mit der Zeit zu gehen, aber auch: dabei Maß zu | |
| halten. So gehörte etwa zu den ersten Anschaffungen, [1][als wir das | |
| Gasthaus eröffneten], die Miete eines Kartenlesegerätes. Heute, drei Jahre | |
| später, sind Gäste immer noch erstaunt, wenn das Gerät sogar die | |
| Bezahlfunktion ihres Mobiltelefons erkennt; in einem Lokal weit auf dem | |
| Land hatten sie erwartet, dass nur Bares akzeptiert wird. Akzeptieren wir, | |
| und ich füge hinzu: [2][noch]. Über 95 Prozent unserer Gäste zahlen bereits | |
| mit Karte. | |
| Nun aber hat mir der Vermieter des Kartenterminals ein Angebot gemacht. Ob | |
| ich nicht das Gerät [3][mit einer Trinkgeldfunktion] ausstatten möchte? | |
| Dabei tippe ich den zu zahlenden Betrag ein, drücke auf Grün, und der Gast | |
| bekommt einen Screen gezeigt, auf dem er noch ein Trinkgeld hinzufügen | |
| kann, mit mehreren Optionen: 0, 10, 15 oder 20 Prozent beispielsweise. Die | |
| Werte kann ich frei bestimmen. | |
| Inflationsbedingt, schreibt mir die Firma, säße das Trinkgeld den Kunden | |
| nicht mehr so locker in der Tasche, vor allem beim digitalen Bezahlen. Da | |
| wirke sich die Trinkgeldtaste positiv aus, da stecke nur [4][ein wenig | |
| „Nudging“ dahinter], das niemandem wehtäte. Am interessantesten ist aber | |
| folgender Satz: Bei Mitarbeiter:innen steige die Motivation, weil | |
| ihnen über das Trinkgeld das Gefühl vermittelt werde, dass sie fair bezahlt | |
| werden. | |
| Faire Bezahlung gleich Trinkgeld – das lässt tief blicken. Es ist sechs | |
| Jahre her, da habe ich enge Bekanntschaft mit der Trinkgeldtaste gemacht. | |
| Fünf Tage war ich in New York, hatte keinen einzigen Dollarschein zwischen | |
| den Fingern, und in einigen Restaurants war es auf den Kartenterminals gar | |
| nicht vorgesehen, 0 Prozent tip zu geben, das Minimum waren 15. | |
| ## Trinkgeld manifestiert Top-down-Verhältnis | |
| Man muss dazu wissen, der Mindeststundenlohn in der US-Gastronomie reicht | |
| nicht einmal für ein Subwayticket, der tip ist die eigentliche Bezahlung. | |
| Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, der Terminalvermieter will mir | |
| einreden, wie cool-amerikanisch das wäre, wenn die | |
| Latte-macchiato-Trinkerin künftig direkt die Bezahlung meiner Bedienungen | |
| übernimmt. | |
| Wir sind aber in Europa. Meine Meinung: Trinkgeld ist das Relikt einer | |
| Zeit, in der es noch „Diener“ oder „Fräuleins“ gab, die darauf angewie… | |
| waren, dass sie [5][der Gast] aus freien Stücken entlohnte. Das Trinkgeld | |
| manifestiert bis heute ein Top-down-Verhältnis. Servicetätigkeit ist aber | |
| auch nichts anderes als Carearbeit. | |
| Es gibt ganz allmählich ein gesellschaftliches Umdenken, dass dieser Sektor | |
| angemessen entlohnt gehört. Ich finde, da sollte die Gastronomie mitziehen, | |
| denn sie hat wirklich große Probleme, [6][noch Mitarbeiter:innen zu | |
| finden]. Sie sollte sie gut bezahlen und nicht auf die Großzügigkeit der | |
| Gäste setzen. | |
| 10 Aug 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jörn Kabisch | |
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