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# taz.de -- Buch „Am Wasser das Haus“: Erzählraum mit Lüftung
> Am Wannsee richtete sich der Künstler Max Liebermann 1910 eine
> Sommerresidenz ein. Magdalena Saiger widmet dieser Villa eine
> literarische Ortsbegehung.
Bild: Erst Sommerresidenz, dann Zufluchtsort: Max Liebermanns „Blick aus dem …
Gut zehn Jahre ist es her, da unternahm Magdalena Saiger mit Berliner
Freunden an einem warmen Sommertag einen [1][Ausflug an den Wannsee]. Ein
Ziel: die Liebermann-Villa in der Colomierstraße 3, ein Anwesen mit
Gartenlandschaft und kleinem Museum mit Arbeiten von eben Max Liebermann,
geführt von einem engagierten Verein. „Der originalgetreue Garten war
wunderschön und die Kunst war schön, und bis dahin war es ein schöner
Ausflug“, erzählt die Hamburger Schriftstellerin. In einem Nebenraum stieß
sie auf eine kleine Ausstellung zur Geschichte des Hauses, „und da bin ich
richtig aufgewacht“.
Saiger tippt auf den Umschlag ihres neuen Buches, weist auf den Titel, „Am
Wasser das Haus“, und gleich darunter: „Eine literarische Ortsbegehung“.
Dass der Künstler vorkommt, „ist klar“, sagt sie. „Er war der, der diese
[2][Villa am See] entworfen hat, und er hat sie mit seiner Familie
zweieinhalb Jahrzehnte belebt; aber ich wollte den Eindruck einer
Liebermann-Biografie vermeiden, deshalb steht sein Name nicht auf dem
Umschlag.“ Sie sagt: „Ich wollte vielmehr eine Hausbiografie schreiben.“
Als Sommersitz gedacht, hat die Villa seit ihrem Bezug im Jahr 1910 denkbar
unterschiedliche Zeiten erlebt: Nachdem die Nationalsozialisten Liebermanns
Frau Martha das Gebäude 1940 [3][brachial geraubt hatten], ließ der
Reichspostminister Wilhelm Ohnesorg hier sein Personal fortbilden; es wurde
zum Lazarett und nach Kriegsende zu einem Krankenhaus, bis 1969.
Liebermanns ehemaliger Malsaal, groß mit hohen Decken und lichtdurchflutet,
war OP. Später fand in der Villa hier ein Tauchclub seinen Sitz.
Zwischendurch stand sie jahrelang leer, verfiel; der komplexe Garten
wucherte zu, die Geschichte des Ortes schien vergessen.
„Es ist jetzt ein bedeutungsschwerer Ort, weil Liebermann vielen ein
Begriff ist“, sagt Saiger. „Aber es muss Menschen gegeben haben, für die
das alles überhaupt keine Rolle gespielt hat“ – diese Menschen und ihre
möglichen Geschichten hätten sie sogleich interessiert, „Ich habe sofort
angefangen herumzuspinnen, was sich hier wohl für Geschichten abgespielt
haben“.
Nun ist Saiger, deren Debütroman „Was ihr nicht seht oder Die absolute
Nutzlosigkeit des Mondes“ im März 2023 erschien, auch Historikerin,
parallel zu ihrem Wannsee-Buch hat sie [4][an ihrer Dissertation
geschrieben, über die „Alte Messe“ in Belgrad]: erst ambitioniertes
Ausstellungsgelände für eine Weltausstellung, wurde sie
Konzentrationslager, Künstlerkolonie und auch Wohnquartier: „Ich habe
damals angefangen, mich über Zugänge zur Geschichte über Orte und Räume zu
interessieren.“ Darüber wird die Person allerdings nicht vergessen. „Ich
habe mich gerne mit Liebermann und seiner Biografie beschäftigt“, sagt
Saiger. Aber auch er ist hier nur zu Gast gewesen, hat wie alle nach ihm
seine Spuren hinterlassen.
Besonders das Kapitel, in dem Saiger beschreibt, wie nach dem Januar 1933
die Ausgrenzung den jüdischen Maler trifft und Villa samt Garten nun
Zufluchtsort werden, ist von großer Präsenz. „Liebermann war Professor, er
war lange Präsident der Berliner Akademie der Künste, auch der Secession,
wird jeweils später deren Ehrenpräsident, wird noch 1932 zum Berliner
Ehrenbürger ernannt“, listet Saiger auf. Drei Jahre später zählt das alles
nichts mehr: Als Liebermann im Februar 1935 auf dem Jüdischen Friedhof an
der Schönhauser Allee beerdigt wird, bleibt die Zahl der Trauergäste
überschaubar.
„Als ich dieses Kapitel entworfen habe, dachte ich, ich schreibe über eine
vergangene Zeit“, sagt Saiger nach kurzem Nachdenken. Jenes Gefühl sei ihr
gründlich abhandengekommen: „Zu lesen, wie die Anfeindungen gegen ihn aus
der Mitte der Gesellschaft kamen, aus bürgerlichen Kreisen, die ich für
verlässlich und loyal gehalten habe, und wenn man das mit unserem Heute
abgleicht, das fasst mich schon an.“
Es ist eine große Dichte in dieser literarischen Ortsbegehung, die durch
ein Jahrhundert führt; sprachlich eigensinnig und mit großer Lust am
Untergründigem, auch am Witz: Wenn der Reichspostminister zurück will ins
jungenhafte Wegträumen, während der harte Uniformstoff kneift. Wenn der
Oberarzt am Ende der Nachtschicht gegen die Müdigkeit anraucht. Wenn am
Eröffnungsabend der Vereinsvorsitzende des Tauchclubs sein so
durchkomponiertes Redemanuskript verkramt hat und frei sprechen muss.
Zwischendrin gibt es eigenständige, fast lyrisch grundierte Minitaturen;
widerständige Zwischenstücke, die den Erzählraum immer wieder durchlüften:
Ein Boot spricht, ein Winter macht das Haus kleiner.
„Mir ist das Erzählen in kleinen Bildern wichtig“, sagt Saiger. „Ich kan…
filmisch gesprochen, mit dieser ZDF-Kostüm-Ästhetik, die suggeriert,
genauso ist es gewesen, als gäbe es nichts Fragliches, nichts anfangen.“
Also werden wir so bruchstückhaft und doch behutsam durch eine Ortswelt
geführt, mit festen und mit losen Enden, um selbst etwas daraus zu
schnüren. Mit einem leichten Lächeln sagt Saiger, unlängst zum dritten Mal
mit dem Hamburger Literaturpreis ausgezeichnet: „Es gibt unter den Lesenden
ein großes Plot-Bedürfnis – und das bediene ich eher nicht.“
9 Mar 2025
## LINKS
[1] /taz-Sommerserie-Sommer-vorm-Balkon/!5703277
[2] /taz-Sommerserie-Maritimes-Berlin-1/!5427018
[3] /Villa-Liebermann-in-Berlin/!5731135
[4] https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/9783111147147/html?lang=de
## AUTOREN
Frank Keil
## TAGS
Bildende Kunst
Biographie
Berlin
Wannsee
Buch
Schwerpunkt Stadtland
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Sommer vorm Balkon
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