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# taz.de -- Hamburg-Wilhelmsburg: Wohnungsbaupläne bedrohen „Wilden Wald“
> Auf der Hamburger Elbinsel kämpft eine Bürgerinitiative um den Erhalt des
> „Wilden Waldes“. Er wächst dort seit der Sturmflut von 1962.
Bild: Mit Baumhaus: der Wilde Wald in Wilhelmsburg
Hamburg taz | Ein Wald! Das ist das Letzte, was man hier erwarten würde,
wenn man vom Hamburger Hafengebiet mit seinen kilometerlangen
Ausfallstraßen nach Wilhelmsburg kommt. Im kleinen Spreehafen knarren leise
die Hausboote, jetzt noch auf den Hauptdeich, der in vielen Jahren immer
weiter erhöht worden ist, auf inzwischen sechs Meter über Nomalnull, und da
steht er, der Wald, auf der anderen Seite der Straße, wie eine grüne Wand.
Es ist eine unwirtliche Gegend. Vor einem donnert der Schwerlastverkehr
vorbei, zur Linken ragen in der Ferne hinter der Autobahn die Schlote der
Kupferhütte Aurubis hoch. Eine Wiese könnte hier vielleicht stehen, ein
Kleingarten, aber ein Wald? Dicht sieht er aus und nicht ganz echt, so als
wäre er hierher gebeamt worden.
[1][„Wilder Wald“ nennen ihn liebevoll die, die für ihn kämpfen.] An der
Stichstraße, die ihn in zwei Hälften teilt, stehen gelbe Kreuze, wie man
sie aus dem Wendland kennt. „WiWa bleibt!!!“ steht darauf. Drei
Ausrufezeichen. Darunter auf einem Schild: „Das ist ein Wald, kein
Baugebiet.“ Die drohenden Baupläne sind auch abgebildet, sie zeigen das
sogenannte „Spreehafenviertel“. [2][Würde es gebaut, würde nicht mehr viel
übrig bleiben vom Wilden Wald], der der einzige im ganzen Stadtteil ist.
Seit 1962 ist er hier am Rand von Wilhelmsburg gewachsen, seit der Großen
Sturmflut, die in einer Februarnacht über die Stadt hereinbrach.
Wilhelmsburg war von der Sturmflut besonders betroffen, denn der Stadtteil
ist eigentlich nur eine Insel in der Elbe, von Deichen umgeben. Ohne die
Deiche wäre Wilhelmsburg nicht da, es wäre andauernd überschwemmt.
Die Sturmflut von 1962, die vom damaligen Hamburger Innensenator, dem
späteren Bundeskanzler Helmut Schmidt, zunächst verschlafen wurde, war
höher als erwartet. Der Wind drehte auf West und irgendwann brach der
Deich, der jetzt so friedlich und schön befestigt vor dem Spreehafen liegt.
Das Wasser strömte in die Senke, in der heute der Wilde Wald steht, in die
Kleingärten, die dort waren und in denen nach dem Krieg Flüchtlinge in
Gartenhäusern wohnten.
## Auf den Dächern erfroren
Das Wasser war eisig, die Flut stieg, von den Dächern ertönten Rufe, die
immer leiser wurden, erzählt Sigrun Clausen von der Bürgerinitiative der
„Waldretter*innen“. „Hier sind Menschen gestorben“, sagt sie. Sie erfro…
auf den Dächern, ertranken im Wasser, die rettenden Boote kamen für viele
zu spät. Auch das macht den Wald zu einem besonderen Ort.
Ein Bürgerbegehren für den Erhalt des Waldes bekam nicht genug Stimmen,
aber die Bürgerinitiative denkt nicht ans Aufgeben. Ob man nicht mit den
städtischen Planern verhandeln solle, die vom Wald nur noch eine Baumreihe
auf seiner Hinterseite übrig lassen wollen, dort, wo er an einen Kanal
grenzt? Sigrun Clausen schnaubt. Der Wald dürfe nicht angetastet werden,
meint sie und führt zur Rechten in den Wald hinein, einen Pfad entlang bis
zu einer Lichtung, auf der ein Baumhaus steht.
Libellen schwirren durch die Luft, Vögel flattern, die Sonne bricht ihr
Licht in den Zweigen. Eigentlich ist es nicht erlaubt, hier im Wald ein
Baumhaus zu bauen, aber in diesem Fall sieht es anders aus, das Baumhaus
wurde als „Kundgebungsmittel“ angemeldet und darf deswegen stehen bleiben.
Hoch oben hockt es im Baum, geschmückt mit Transparenten, auf denen
Botschaften stehen wie „climate endgame is loading“.
Das Baumhaus hat der andere Arm des Widerstands errichtet, Sigrun Clausen
nennt sie „die Aktivist*innen“, mit einer Spur Respekt in der Stimme.
[3][Bei den Vollhöfner Weiden, einem viel größeren Wald im benachbarten
Harburg], hatten die Aktivist*innen schon für den Erhalt gekämpft und
gewonnen. Nun halten sie hier ihre Mahnwachen ab, immer zum 1. Oktober hin,
wenn die Baumfällsaison beginnt.
Sollten die Motorsägen anrücken, muss sich die Stadt Hamburg auf eine
Baumbesetzung einstellen, und das will eigentlich niemand. Andererseits hat
die Stadt große Pläne mit Wilhelmsburg. Seit Jahren propagiert sie den
„Sprung über die Elbe“, mehr Menschen sollen hierher ziehen, in den
Arbeiterstadtteil, auf dem noch Platz ist für neue Wohnungen, viel Platz,
aber doch nicht so viel, dass man den Wilden Wald stehen lassen will.
## In Zeiten der Erderwärmung
Denn klar, er ist gut fürs Mikroklima, er kühlt, in Zeiten der Erderwärmung
ist das wichtig. Doch 1.100 Wohnungen, direkt am Spreehafen, 10 Minuten von
der S-Bahn-Station Veddel entfernt: Wie sollte man hier nicht bauen?
Die in Hamburg regierende SPD jedenfalls will darauf nicht verzichten, und
die Grünen, die bisher für den Erhalt des Waldes waren, sind umgekippt. Im
neuen Koalitionsvertrag ist das Spreehafenviertel und damit die Rodung des
Waldes beschlossene Sache: „Die entsprechenden Bebauungspläne werden zügig
vorangetrieben“, steht da.
Die Zeichen stehen wohl auf Kampf. Die Waldretter*innen organisieren
derzeit an jedem zweiten Sonntag im Monat Waldspaziergänge, bei denen man
sich seinen eigenen Klimapass machen kann. Und bis zur nächsten Mahnwache
im Herbst ist es auch nicht mehr weit.
31 Jul 2025
## LINKS
[1] /Wohnungsbau-in-Hamburg/!5699789
[2] /Geplantes-Spreehafenviertel/!5955587
[3] /Umkaempfter-Wald-in-Hamburg/!6067072
## AUTOREN
Daniel Wiese
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