# taz.de -- Antifaschismus auf dem Land: Der Bündnisfall | |
> Die Stärke der AfD in Brandenburg ist eine Herausforderung für | |
> antifaschistische Gruppen. Und ein Balanceakt: Sie wollen radikal bleiben | |
> und bürgerliche Partner finden. | |
Bild: Bekennerhaftes in Jüterbog | |
Kurz vor Beginn der Demo auf dem Jüterboger Bahnhofsvorplatz wirkt Clara | |
Mühlheim etwas angespannt. Mit einem Mikro in der Hand steigt die | |
26-Jährige aus dem zum Lautsprecherwagen umfunktionierten Transporter, ihr | |
schwarzer Pulli ziert die Aufschrift „Es gibt kein ruhiges Hinterland“. Sie | |
ist Mitorganisatorin des Protests gegen den Landesparteitag der AfD, der an | |
diesem Samstag im März in Jüterbog stattfindet. | |
Die Beteiligung ist gut. Gekommen sind mehrere hundert Leute, eine bunte | |
Mischung aus schwarz gekleideten Antifas, SPD- und Grünen-Fahnen | |
schwenkenden Parteimitgliedern und Anwohner:innen. Doch der | |
Gegenprotest zieht nicht nur Linke an. „Da stehen schon die Faschos“, sagt | |
Mühlheim und deutet auf die Gruppe Jugendlicher, die mit einigem Abstand | |
die Menge beobachten. | |
Die Enthüllungen des [1][Recherchekollektivs Correctiv] lösten im Januar | |
eine Protestwelle aus, [2][die bundesweit Millionen Menschen auf die Straße | |
brachte]. Allein vor dem Bundestag versammelten sich Anfang Februar rund | |
300.000 Menschen, um gegen die rechtsextremen Deportationspläne zu | |
demonstrieren. Nach den fast schon eventhaften Großdemonstrationen stellte | |
sich für viele die Frage: Wie geht es jetzt weiter? Was können wir gegen | |
die AfD tun, außer mit gutem Gefühl nach so einer Demo nach Hause zu gehen | |
und auf das Beste zu hoffen? | |
Auf Fragen wie diese versuchen Brandenburger Antifaschist:innen nicht | |
erst seit den Correctiv-Enthüllungen praktische Antworten zu finden. Sie | |
organisieren Gegenproteste, leisten Bildungs- und Jugendarbeit, schmieden | |
Bündnisse mit zivilgesellschaftlichen Kräften. „Das Wichtigste im | |
Hinterland ist der organisierte Kampf gegen Rechtsradikale“, sagt Mühlheim. | |
Während es in den „Baseballschlägerjahren“ in den Neunzigern in | |
Ostdeutschland noch die Nazis mit Springerstiefeln und Glatze waren, die | |
auf Menschenjagd gingen, stellt heute die Vorherrschaft der AfD in den | |
Parlamenten eine völlig neue Bedrohung dar. | |
Nur wenige Kilometer vom Bahnhof entfernt lässt sich der in der Identitären | |
Bewegung bestens vernetzte René Springer auf dem Landesparteitag in | |
Jüterbog [3][zum Parteichef wählen]. Die Correctiv-Recherchen hat der | |
Bundestagsabgeordnete kurz nach dem Erscheinen so kommentiert: | |
„Millionenfache Remigration ist kein Geheimplan, sondern ein Versprechen.“ | |
Bei den Landtagswahlen im September will Springer die Partei in die | |
Regierung heben. In Umfragen ist die AfD mit fast 30 Prozent mit Abstand | |
die stärkste Partei in Brandenburg. | |
Die AfD ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen, ihre rechtsextreme | |
Hetze salonfähig. Lässt sich der Siegeszug der Partei noch aufhalten? | |
## Noch kein verlorenes Land | |
„Brandenburg ist kein verlorenes Land“, da ist sich Tom Kurz sicher. Der | |
30-Jährige wohnt in Strausberg, einer Kleinstadt nordöstlich von Berlin im | |
Landkreis Märkisch-Oderland. Seit über zehn Jahren leistet er | |
antifaschistische Arbeit, vor allem in der Beratungsstelle für Opfer | |
rechter Gewalt und dem linken Sozialzentrum Horte, einem wichtigen | |
Knotenpunkt für linke Politik in dem Landkreis. Gegenproteste, sagt Kurz, | |
seien ein wichtiger Bestandteil im Kampf gegen rechts. | |
Die AfD organisiere im Landkreis mehr Veranstaltungen als alle anderen | |
Parteien zusammen. Stammtische, Infostände oder Bürgerdialoge, die AfD | |
befinde sich in einer Art permanentem Wahlkampfmodus, oft fehle es an | |
Widerspruch. | |
Die Allgegenwärtigkeit trägt Früchte. Die Aufregerthemen der AfD, | |
Migration, Queerfeindlichkeit und Grünen-Hass, werden zu Ortsgesprächen, | |
Nachbarn und Kollegen teilen rassistische Inhalte in den sozialen Medien. | |
Aus verhaltenem Zuspruch wird offenes Bekennen zur AfD. Rechte Übergriffe | |
nehmen zu, im vergangenen Jahr zählte die Beratungsstelle für Opfer rechter | |
Gewalt in ihrer Jahreschronik im Landkreis einen Anstieg um ein Drittel | |
gegenüber dem Vorjahr. | |
„Wir wollen der weiteren Normalisierung der AfD entgegenwirken und rechte | |
Positionen nicht unwidersprochen lassen“, sagt Kurz. Um das zu erreichen, | |
hat er die Kampagne [4][„Kein Acker der AfD“] mitinitiiert. Seit 2020 | |
organisieren Antifaschist:innen unter dem Label systematisch Proteste | |
gegen AfD-Veranstaltungen im Landkreis. Zeitweise gab es keine | |
AfD-Veranstaltung ohne Gegenprotest, erzählt Kurz. Jetzt im März hätte es | |
sogar gar keine weiteren Parteiveranstaltungen im Landkreis gegeben. | |
Doch bewirken Gegenproteste nicht oft das Gegenteil? Fühlen | |
AfD-Wähler:innen sich nicht in ihrer Opferrolle bestätigt und sagen | |
„Jetzt erst recht“? Mag sein, sagt Kurz, bei vielen AfDlern sei das | |
bestimmt so. Aber bei denen sei sowieso nicht mehr viel zu gewinnen. Es | |
gäbe aber noch viele Leute, die erreichbar wären. In einem Umfeld, wo | |
rechtsextreme Meinungen zum guten Ton gehörten, würden diese häufig | |
unhinterfragt übernommen. Widersprüche hingegen, sagt Kurz, „lösen | |
Denkprozesse aus“. | |
Ohnehin sind Gegenproteste auch ein wichtiger Anlaufpunkt für alle, die der | |
AfD nicht zustimmen. Sich in der Provinz allein gegen die AfD und ihre | |
rechtsextremen Freunde zu stellen, kann schwierig und gefährlich sein. „Du | |
bist nicht anonym, deine Nachbar:innen und die Person im Supermarkt sind | |
die Nazis, gegen die du auf den Veranstaltungen protestierst“, erklärt | |
Demo-Organisatorin Mühlheim. | |
Wer sich allzu sehr hervorwagt, wird schnell zur Zielscheibe. Auf den | |
linken Jugendklub, in dem Mühlheim arbeitet, gab es in den letzten Jahren | |
sieben Angriffe. Einmal hätten Unbekannte den Briefkasten eines Kollegen | |
mit einem Hakenkreuz markiert. Das schüchtert ein, im Zweifel bleiben viele | |
still. | |
Doch die Correctiv-Enthüllungen haben viele Menschen mobilisiert, die zuvor | |
politisch nicht aktiv waren. Auch in Jüterbog sind viele zum ersten Mal auf | |
einer Demo gegen die AfD. „Wir hätten das nie für möglich gehalten, dass | |
wir bei so was noch mal mitmachen müssen“, sagen zwei ältere Damen, die | |
sich als Anke und Gudrun vorstellen und „Omas gegen Rechts“-Schilder | |
tragen. Dies sei ihre erste Demo seit ’89, sagt Gudrun. Die beiden kommen | |
aus Treuenbrietzen, einer noch kleineren Stadt in der Nähe. Eine | |
offizielle „Omas gegen Rechts“-Gruppe gäbe es dort zwar noch nicht, sagt | |
Gudrun, aber sie würden daran arbeiten. | |
Der radikale Duktus der Antifa-Bewegung ist für viele der Neuzugänge | |
ungewohnt. „Nazis gibt’s in jeder Stadt, bildet Banden, macht sie platt“, | |
unterbricht eine Parole vom Lautsprecher das Gespräch. Die beiden älteren | |
Frauen lachen nur: „Ja, wenn wir nicht gerade Rücken haben.“ | |
Nicht alle nehmen es so gelassen. Am Ende der Kundgebung kommt ein älterer | |
Herr zum Lautsprecherwagen und beschwert sich: „Warum wird denn hier von | |
Bullen geredet? Das ist ja wie in den 70ern zu RAF-Zeiten!“ | |
Die eigene radikale Identität und Inhalte wahren und gleichzeitig nicht die | |
bürgerlichen Bündnispartner verprellen: Das ist ein Balanceakt, der heute | |
trotz aller Spannungen funktioniert. „Das ist als SPDler natürlich nur | |
schwer zu hören“, sagt ein Stadtverordneter auf der Demo. In den | |
Redebeiträgen wird nicht nur gegen „die Bullen“ gewettert, sondern auch | |
kräftig gegen die Abschiebepolitik von SPD und Ampel ausgeteilt. „Aber ich | |
bin dankbar, dass die Antifa da ist, auf die kann man sich verlassen.“ | |
Doch diese Verlässlichkeit hat auch ihren Preis. Es gibt nur wenige Aktive, | |
und die machen sehr vieles auf einmal. Die Demonstration habe sie zusammen | |
mit drei anderen Menschen aus der Gegend organisiert, sagt Mühlheim. „Immer | |
mehr Leute scheiden aus, weil sie über viele Jahre versuchen, Strukturen zu | |
erhalten. Wenn deine Gegend eh schon von Wegzug betroffen ist, ist | |
Erschöpfung programmiert.“ Um nicht auszubrennen, hat „Kein Acker der AfD�… | |
beschlossen, nur noch gegen AfD-Veranstaltungen zu demonstrieren, bei denen | |
Parteiprominenz aus der Landes- oder Bundesebene anreist. „Wir wollen der | |
AfD ja auch nicht ständig hinterherlaufen“, sagt Kurz. | |
Der Orga-Kreis rund um die Demo in Jüterbog hat sich viel Unterstützung von | |
außerhalb geholt. Das Berliner Solidarische Bündnis gegen Rechts hat eine | |
gemeinsame Anreise aus der Hauptstadt organisiert, der rund einhundert | |
Menschen gefolgt sind. Antifas aus Leipzig schützen den Zug vor Übergriffen | |
durch Neonazis. | |
Diese Form der Unterstützung unterscheidet sich deutlich von den | |
sogenannten Ufo-Demos der Vergangenheit. Wenn Hunderte vermummte Berliner | |
Antifas für ein paar Stunden ins Umland fuhren und martialisch Pyros | |
abfackelten, schreckten die Aktionen vor allem lokale | |
Bündnisparter:innen ab. Und die Antifas vor Ort standen am Ende des | |
Tages wieder allein da. Heute ist das Vorgehen behutsamer, die | |
Berliner:innen halten sich zurück. „Ich bin froh, dass so viele | |
Menschen rausgekommen sind“, sagt Mühlheim. „Ich hoffe, die Vernetzungen | |
bleiben.“ | |
Doch antifaschistische Arbeit wird längst nicht nur von radikalen Linken, | |
sondern auch eher bürgerlichen Kräften geleistet. So sind die Omas gegen | |
Rechts mancherorts präsenter als so manche Antifa-Gruppe. | |
Das hat auch viel mit den gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten | |
Jahre zu tun. Immer mehr Berliner:innen, die Ruhe suchen und vor hohen | |
Mieten fliehen, zieht es ins Umland. Wirtschaftlich boomt Brandenburg, | |
statt Massenarbeitslosigkeit herrscht vielerorts Arbeitskräftemangel. | |
Auch Bad Freienwalde wirkt nicht wie das Klischee des abgehängten Ostens. | |
Die Straßenzüge der ehemaligen Kurstadt zieren frisch sanierte | |
Barockfassaden. Doch zahlreiche Sticker mit der Aufschrift „Make Germany | |
White Again“ zeigen, dass es hier auch schnell mal ungemütlich werden kann. | |
Das Bündnis „[5][Bad Freienwalde ist bunt]“ hat hier im Februar eine | |
Demonstation gegen „faschistische Hetze und für Demokratie“ organisiert. | |
Über 300 Menschen kamen, ein großer Erfolg. Im Nachgang konnte die | |
Initiative viele Neuzugänge verzeichnen. Normalerweise veranstaltet das | |
2021 gegründete Bündnis einmal im Jahr eine „Kundgebung mit Festcharakter�… | |
Zum festen Repertoire gehört seit vergangenem Jahr die erste Drag Show Bad | |
Freienwaldes. Ein Jugendlicher aus dem Heimatverein eines Nachbardorfs kam | |
auf das Bündnis zu mit dem Wunsch, die Show zu machen. | |
## Angebote zur Identifikation schaffen | |
„Wir wollen mit den Aktionen ein Identifikationsangebot schaffen“, sagt | |
Judith Strohm vom Bündnis. Sie selbst sei vor vier Jahren nach Bad | |
Freienwalde gezogen, hatte nach politisch Gleichgesinnten gesucht und wurde | |
bei der Initiative fündig. | |
Dort aktiv seien Menschen, die für eine Gesellschaftsvision kämpfen, die | |
der der AfD entgegensteht, darunter Linke, Queers und Geflüchtete. | |
Gründungshilfe bekam das Bündnis vom Sozialzentrum Horte in Strausberg, in | |
dem Tom Kurz aktiv ist. Die Horte half bei der Organisation des ersten | |
Stadtfests, seitdem ist das Bündnis ein Selbstläufer. | |
Doch selbst eine Initiative wie „Bad Freienwalde ist bunt“ muss die | |
Erfahrung machen, dass die bürgerliche Mitte in Brandenburg häufig noch | |
sehr scheu ist, wenn es darum geht, klare Kante gegen Rechtsextremismus zu | |
beziehen. An einem Donnerstag Anfang März sitzen zehn Aktivist:innen in | |
einem zum Co-Working-Space umfunktionierten ehemaligen Finanzamt und planen | |
eine weitere Demo. Der Aufruf soll noch mal überarbeitet werden. „Wir haben | |
die Rückmeldung bekommen, dass wir zu sehr ‚dagegen‘ sind“, sagt Strohm. | |
Das Bündnis will Organisationen, Unternehmen und Vereine dazu bringen, | |
den Aufruf zu unterschreiben. Doch einige Vereine hätten bereits abgesagt. | |
Kurz wird diskutiert, den Begriff „Deportationsfantasien“ durch etwas | |
Positiveres zu ersetzen. Doch dann entscheidet sich die Gruppe, den Aufruf | |
nicht weiter zu verändern. „Wir müssen uns da nicht verbiegen“, sagt eine | |
Aktivistin. „Irgendwo müssen wir ja sagen: Hier ist unsere Grenze und | |
Stopp.“ | |
Bei der Landtagswahl im September steht einiges auf dem Spiel. Egal welche | |
Koalition am Ende entsteht, sicher scheint zu sein, dass die AfD gestärkt | |
aus den Wahlen hervorgeht. Und mit einer starken AfD wächst die Arbeit für | |
die Antifaschist:innen in der Provinz. Auch werden die Bedingungen | |
schwerer, denn die Partei hat die linken Strukturen im Visier. Mehrmals | |
schon wollte die AfD dem sozialistischen Jugendverein Falken, in dem auch | |
Clara Mühlheim aktiv ist, die Mittel streichen. | |
Auch die Zukunft des Strausbergers Sozialzentrums Horte ist ungewiss. „Das | |
Horte ist immer noch ein kommunales Gebäude, der Vertrag läuft nur für zwei | |
Jahre“, sagt Kurz. Dazu kommt, dass das Land Brandenburg wegen der | |
angespannten Haushaltslage ohnehin schon viele soziale Projekte | |
zusammenkürzt. Viele Aktivist:innen hätten Jobs im sozialen Bereich, | |
die an diesen Mitteln hängen. | |
Daher müsse man abseits von Protesten und Straßenfesten auch nach anderen | |
Wegen suchen, dem Rechtsruck beizukommen. Gerade in der Provinz gebe es | |
kaum noch linke oder grüne Kandidaten für die Kommunalwahlen. Er und andere | |
Aktive hätten daher beschlossen, selbst im Juni bei den Kommunalwahlen zu | |
kandidieren. Auch Konfliktthemen von links zu besetzten, [6][wie die | |
Tesla-Proteste in Grünheide], sei ein guter Weg, Aushandlungsräume zu | |
schaffen, in denen man mit den Menschen in Kontakt tritt. „Eine gute linke | |
Politik ist die beste Strategie gegen die AfD“, ist sich Kurz sicher. | |
24 Mar 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Enthuellungen-ueber-AfD-Geheimtreffen/!5982734 | |
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[3] /Neuer-Vorsitzender-der-AfD-Brandenburg/!5996089 | |
[4] https://keinacker.noblogs.org/ | |
[5] https://freienwalde-ist-bunt.de/ | |
[6] /Nach-dem-Brandanschlag-gegen-Tesla/!5994968 | |
## AUTOREN | |
Jonas Wahmkow | |
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