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# taz.de -- Grüne in Brandenburg: Der Traummann der Grünen
> Stefan Neuberger kandidiert für die Grünen in Lauchhammer (Brandenburg)
> und arbeitet auf dem Bau. Er will ins Stadtparlament, trotz aller
> Widerstände.
Bild: Stefan Neuberger unterwegs in Lauchhammer beim Plakatieren
Die Straßenlaterne, an einer Wiese im Süden der Stadt gelegen, war
ursprünglich nicht für Wahlplakate gedacht. Sie ist noch nach Art der DDR
gebaut, hat also einen dicken, aus Beton gegossenen Mast. Die Ehepaare
Poensgen und Neuberger brauchen ein paar Minuten, bis ihre Kabelbinder
einmal herumreichen. Als sie es schließlich geschafft haben, sitzt ihr
Plakat zu fest: Nach oben schieben, so dass jemand es im Vorbeigehen nicht
abreißen könnte, lässt es sich nicht.
Ein bisschen unbeholfen wirken die Vier in diesem Moment, ihnen fehlt im
Wahlkampf die Erfahrung. An einer Seite ist die Pappe mittlerweile
eingerissen. Aber immerhin: Die Stimmung hält. „Leute vom Bau, sympathisch
und schlau!“, ruft Stefan Neuberger, von Beruf Baugeräteführer, von seiner
Leiter.
Es ist eine Premiere: Grüne gibt es in der Stadtverordnetenversammlung von
Lauchhammer (14.000 Einwohner, südliches Brandenburg) bislang nicht. Kein
Wunder: Auf dem Land hat es die Partei schwerer als in der Stadt, [1][im
Osten schwerer als im Westen]. Und selbst für Ostverhältnisse sind
Lauchhammer und die Gegend an der Grenze zu Sachsen ein traditionell hartes
Pflaster.
Die Poensgens sind 2010 der Arbeit wegen aus dem Westen hergezogen.
Anschluss fanden sie lange nicht, fremd fühlen sie sich noch heute oft. Zu
den ersten Grünen im Ort wurden sie nach der letzten Wahl zum
Stadtparlament: Weil sie die Partei gerne gewählt hätten, sie aber nicht
auf dem Wahlzettel fanden, traten sie selber ein. Carolin Poensgen (39)
arbeitet mittlerweile im Grünen-Büro in der Kreisstadt Senftenberg. Frank
(46) kandidierte vor zwei Jahren als Bürgermeister. Er erhielt 3 Prozent
der Stimmen, der Kandidat der NPD das Dreifache.
Der Rechtsruck ging seitdem weiter. Bei den Kommunalwahlen am 9. Juni
erwartet die AfD in Brandenburg und anderen Bundesländern Zuwächse. Aber
immerhin: In Lauchhammer greifen entgegen diesem Trend auch die Grünen aus.
Die Poensgens sind keine Einzelkämpfer mehr. Mit ihnen auf der Liste stehen
Ines (39) und Stefan Neuberger (41), die hier geboren sind. Zusammen
arbeiten sich die Paare am Montag dieser Woche nach Feierabend in einem Van
durch die Stadt, im Kofferraum 73 Plakate für die Europa- und die
Kommunalwahl.
## Unbeeindruckt von Angriffen
Die Stimmung ist entspannt. Die Vier können noch nichts von dem wissen, was
wenige Tage später 50 Kilometer entfernt in Dresden passiert: Am Freitag
attackieren Unbekannte den SPD-Politiker Matthias Ecke, als er Plakate
aufhängt. Sie verletzen ihn schwer. Auch von einer Meldung der sächsischen
Grünen, die schon ganz frisch in der Welt ist, hat der Trupp bis zum Start
seiner Tour nichts gehört: [2][An vier Orten wurden schon am Wochenende
zuvor Mitglieder der Partei beim Plakatieren beleidigt und angegriffen].
Aber selbst, nachdem sie in Lauchhammer davon erfahren, wirken sie
unbeeindruckt. Keine Angst? „Mich macht hier keiner dumm an“, sagt Stefan
Neuberger.
Er ist gut vernetzt im Ort. „Hallo, Hannes, meine Sonne!“, ruft er, als
später ein Rentner auf dem Fahrrad vorbeifährt. Das war die Libero-Legende
vom FC Lauchhammer, erklärt er danach. Vor der Einfahrt zum Waldstadion
hängt zu dem Zeitpunkt schon ein Exemplar mit Neubergers Gesicht. Er hat es
gleich zu Beginn angebracht. „Ich schicke gleich ein Foto in die
Vereinsgruppe. Finger weg von meinem Plakat!“, rief er dabei.
Im Job bedient Neuberger Bagger, am Wochenende fährt er gerne zu Dynamo
Dresden. Im Ort mischen er und seine Frau, von Beruf Umweltingenieurin,
schon immer mit. Als Schüler war er Schulsprecher, als Vater wurde er
Elternsprecher, beim FC trainiert er die D-Jugend.
## Typen wie er fehlen auf dem Land im Osten
Man kann sagen: Neuberger ist der wahr gewordene Traum all der grünen
Parteistrategen, die immer noch darauf hoffen, bei Wahlen in neue Milieus
vorzustoßen. Typen wie er fehlen ihnen gerade auf dem Land im Osten, wo die
Grünen in vielen Kleinstädten entweder gar nicht präsent oder als Partei
der Zugezogenen verschrien sind.
Die SPD, bis zum Aufstieg der AfD bei Landtagswahlen unangefochten vorne,
hatte in Brandenburg immer einen großen Vorteil: Vor Ort saßen ihre Leute
in den großen Vereinen und an den Stammtischen. Es gab von Anfang an
Gesichter zur Partei. Anders als bei den Grünen, deren Leute man am ehesten
noch in den Nabu-Ortsgruppen findet.
Der erste Vorfall, wenn man es so nennen will, ereignet sich an diesem
Nachmittag im Ortszentrum gegenüber vom Irish Pub. Als die beiden Ehepaare
ihre Leitern einklappen und von einem Laternenmast zurück zum Auto gehen,
tritt eine Anwohnerin in ihren Garten. „Da wird einem ja schlecht, wenn man
morgens die Rollos aufmacht“, keift sie. Die Poensgens, die immerhin schon
einen Bürgermeister-Wahlkampf hinter sich haben, reagieren als Erste. „Das
müssen Sie jetzt ein paar Wochen aushalten“, sagen sie. „Das ist der
demokratische Diskurs.“ Die Frau geht schimpfend ab.
Die Stimmung im Van hält auch da noch. Ein kleines Störgefühl fährt jetzt
aber mit. „Absurd, dass man sich bei so was schlecht fühlen muss“, wird
Neuberger später sagen. Er mache doch nichts Falsches. Zwischendurch kommen
ihm seine Eltern in den Sinn: Er hofft, dass sie klarkommen, falls sie
wegen ihm blöde Sprüche kassieren. Aber Angst? Nein, das sei es weiter
nicht, dafür konnte er in seiner kurzen Zeit als Wahlkämpfer noch nicht
genug Schlechtes erleben. Als er bei der Arbeit erzählt hat, dass er für
die Grünen plakatiert, hätten die Kollegen verdutzt geschaut. Den Mund habe
aber keiner aufbekommen.
## Auch Lauchhammer Bauarbeiter kann Dinge anders sehen
Neubergers und Poensgens kannten sich flüchtig, seitdem ihre Kinder vor
Jahren in die gleiche Kita kamen. Dass sie politisch ähnlich denken,
bemerkten sie erst in den Tagen vor der letzten Bundestagswahl. Damals
teilte Stefan Neuberger in seinem Whatsapp-Status Werbung der Grünen. „Das
hat mich beeindruckt“, sagt Carolin Poensgen heute. Damals musste sie ihn
erst mal fragen, ob er das ernst meint. Von ihr kam auch die Idee, die
beiden als Parteilose auf die Liste zu nehmen.
Die Poensgens luden zum Essen ein und kochten einen
Tomaten-Schafskäse-Auflauf – ohne Fleisch, da der Bauarbeiter und seine
Frau auch noch Vegetarier sind. Ein paar Fragen zur Kommunalpolitik wollten
die Neubergers natürlich beantwortet haben. Am Ende waren sie aber dabei.
„Ich will den Leuten hier einfach mal ein anderes Bild zeigen, das nicht in
ihr Klischee über die Grünen passt. Die sollen sehen, dass auch ein
Bauarbeiter aus Lauchhammer die Dinge anders sehen kann“, sagt Stefan
Neuberger.
Für den 9. Juni gibt es sogar noch einen fünften Kandidaten, einen
Tankstellenpächter, der erst seit Februar bei den Grünen ist. Er wollte nur
seinen Namen für die Wahlliste geben, nicht sein Gesicht für die Plakate.
Es gibt andere Grüne im Landkreis, die darauf achten, dass niemand von
ihrem Parteibuch erfährt. Dass sich ausgerechnet die beiden Paare bekennen,
könnte an ihren Gegensätzen liegen: Die einen haben wenig zu verlieren, ihr
soziales Netz im Ort ist nicht dicht. Die anderen können es sich leisten,
sie sind tief verwurzelt.
300 Meter vom Irish Pub liegt das Deutsche Haus, eine Gaststätte, in der
sich die Rechten gerne treffen. Davor soll ebenfalls ein Plakat. „Hier beim
Tassi kann auch eins hin“, sagt Stefan Neuberger. Tassi Kebap, gleiches
Gebäude, anderer Eingang, bekommt sein Lieblingsmotiv vor das Fenster:
„Mach Nazis einen Strich durchs Kreuz“, darüber ein durchgestrichenes
Hakenkreuz. Als es hängt, kommt eine Teenagerin aus dem Imbiss. Blick nach
oben, dann ein Lob: „Gute Einstellung.“
## Die Leute haben Angst vor Veränderungen
Wie kommt das eigentlich, dass jemand in Lauchhammer aufwächst, dort lebt –
aber nicht die AfD wählt, wie 27 Prozent bei der letzten Bundestagswahl,
sondern ausgerechnet Annalena Baerbock gut findet? Hört man Neuberger eine
Weile zu, klingt die Frage irgendwann falsch. Man wundert sich dann nicht
mehr, warum einer so wird – sondern fast schon, warum andere nicht so
werden.
Als Kind in der DDR hat er noch die große Zeit der Braunkohle erlebt. Ein
weißes Hemd, das man Abends zum Trocknen hängte, war am Morgen schwarz.
Seine ersten 15 Berufsjahre war er dann vor allem damit beschäftigt, die
Tagebaulöcher zu sanieren, den Dreck zu beseitigen. 2021 schloss nach zwei
Jahrzehnten Produktion die Windkraftfabrik im Ort, weil der Absatz
eingebrochen war. Für einige seien schon damals die Grünen schuld gewesen.
„Absurd“, sagt Stefan Neuberger. „Das ergibt alles keinen Sinn.“
Zwischenstopp auf dem Baumarkt-Parkplatz, der Trupp braucht neue
Kabelbinder und nutzt die Pause für ein schnelles Bier. Die Poensgens
bringen die gängige Erklärung ins Spiel: Die Tranformationserfahrung aus
den Neunzigern macht den Leuten Angst vor Veränderungen.
Stimmt schon, sagt Stefan Neuberger, er hat die Zeit ja erlebt. Einigen
gehe es noch heute schlecht. „Aber die, die meckern, sind doch oft die,
denen es gut geht. Die haben ihre Häuser und ihre Autos.“ Und dann hätten
sie auch noch diese Landschaft ringsum, mit den Löchern von früher, die
heute Badeseen sind. Das ist ihm trotz allem wichtig, da soll in der
Zeitung kein falscher Eindruck entstehen: So schlecht sei die Gegend nicht.
„Wir leben schon gerne hier. Ist ein schöner Flecken.“
## Sechs Wochen aushalten
Weiter auf der Route mit den neuen Kabelbindern. Die Tour ist der
Wahlkampfhöhepunkt der vier Kandidierenden. Infostände sind nicht geplant.
Dafür waren die Erfahrungen vor zwei Jahren zu schlecht: fast nur Pöbelei.
Im Internet machen sie bislang auch keine Werbung. Dafür fehlt die Zeit. Es
kommt auf die Plakate an, wenn sie ihre Ziele erreichen wollen: Ein Platz
in der Stadtverordnetenversammlung ist das Minimum, dafür würden die 3
Prozent von der Bürgermeisterwahl reichen. Zwei Plätze wären noch schöner,
dafür sollten sie das Ergebnis verdoppeln.
Es ist Abend geworden, als an einer Ausfallstraße das 51. Plakat an die
Laterne kommt. Diesmal ist es einer der modernen, schmalen Masten. Als das
Plakat nach einer Minute hängt – es ist wieder das Motiv gegen Nazis –,
öffnet sich am Haus nebenan ein Fenster. Eine alte Frau schaut heraus.
„Das wollen wir hier eigentlich nicht“, sagt sie. „Wenn wir auf dem Sofa
sitzen, müssen wir das ja immer sehen!“
„Das müssen Sie jetzt sechs Wochen aushalten“, antworten die Poensgens.
Da schaut die Frau noch mal hoch. „Ist ja eigentlich richtig“, murmelt sie
dann.
4 May 2024
## LINKS
[1] /Hass-auf-die-Gruenen-in-Ostdeutschland/!5972510
[2] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/angriffe-beim-anbringen-von-wahl…
## AUTOREN
Tobias Schulze
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