# taz.de -- Der Hausbesuch: Sie sucht nach den richtigen Fragen | |
> Christiane Schulz organisiert als Pfarrerin und Aktivistin Demos für | |
> Demokratie in Neuruppin mit. Sie will Verständigung, über Gräben hinweg. | |
Bild: In der Wohnung von Christiane Schulz herrscht einladendes Laisser-faire. … | |
Nilpferde sind ihre Lieblingstiere. Warum? „Weil ich auch gerne im Wasser | |
bin“, sagt Christiane Schulz. | |
Draußen: Neuruppin ist eine dieser in die Ebene hingetünchten Kleinstädte | |
in Brandenburg. Am Ruppiner See gelegen. Fontane kam hier vorbei. Die | |
Häuser sind zweistöckig, dreistöckig, manchmal auch mehr. Ein wenig | |
Klassizismus und Spuren der schlichten DDR-Ästhetik dazu. Christiane Schulz | |
wohnt mit ihrem Mann in einem Altbau an der Rosa-Luxemburg-Straße. Die | |
Straße explodiert gerade mit den üppig blühenden pinkfarbenen Japanischen | |
Kirschbäumen. Es wirkt wie eine Hommage an die von rechten | |
Freikorpssoldaten ermordete Sozialistin. | |
Drinnen: Wer auf dem Balkon der in skandinavischer Schlichtheit gehaltenen | |
Wohnung sitzt, hat die Japanischen Kirschen direkt vor der Nase. „Es ist | |
nur ein kurzer Moment“, sagt Schulz. Früher hätten sie im Mai geblüht, | |
jetzt im April. „Der Klimawandel macht’s möglich.“ In der Wohnung herrsc… | |
einladendes Laisser-faire. Wie ein Blitzlicht bildet ein Blick ins | |
Bücherregal das ab. Da lehnt das Metronom am Buch „Ein Omelett wie bei den | |
Reichen“ von Scholem Alejchem, den manche als jüdischen Mark Twain | |
bezeichnen; ein Plüschschaf steht auf dem Anatomie-Atlas, eine | |
Nilpferdfigur neben luftigen Engeln und dem Buch „Klartext zur | |
Integration“. | |
Weltsorgerin: Engel und Integration sind zwei Pfeiler, die den Bogen | |
bilden, der Christiane Schulz umspannt. Ja, sie hat was mit der Kirche zu | |
tun, und ja, sie ist eine von der Sorte, die sich vom Weltlichen berühren | |
lassen. Und zwar von den Aspekten, die wehtun: Armut, Ausgrenzung, | |
Rassismus, Demokratieverlust, Flucht. In der Bibel gehe es um den Menschen | |
in der Welt. Ihr geht es um die Bruchstellen der Menschen in der Welt. „Da, | |
wo es nicht gelingt, dass die Menschen ein gutes Leben haben.“ Weltsorge | |
statt Seelsorge. Deshalb organisiert sie auch die Demonstrationen für | |
Demokratie mit, die jeden ersten Sonntag im Monat bis zu den EU-Wahlen in | |
Neuruppin stattfinden. Es treibt sie um, dass Unfrieden gesät wird. | |
In der DDR geboren: Ihr Vater war Pfarrer wie sie, und zwar in der DDR. | |
Kirchenleute im sozialistischen Deutschland waren meist vom Staat beäugt. | |
„Es war wohl so“, sagt Christiane Schulz. Sie war 13, und die Älteste von | |
drei Schwestern, als die Familie 1974 aus der DDR ausreisen konnte und nach | |
Westberlin zog. Dort lebten die Großeltern. An Repressalien durch den Staat | |
könne sie sich nicht erinnern. Nur dass zwischen der Ausreisebewilligung | |
und dem vorgeschriebenen Ausreisedatum gerade mal zwei Wochen lagen und die | |
ganze Familie in hellste Aufregung geriet. | |
Zeit der Experimente: Gefragt, wie es kam, dass sie in die Fußstapfen ihres | |
Vaters trat und Pfarrerin wurde, sagt sie, dass ihr die Auseinandersetzung | |
mit der Religion eingeleuchtet habe. Es geht ihr um Einleuchtung, nicht um | |
Erleuchtung. Es gehe darum, das Warum, das Woher, das Wohin hin und her zu | |
wenden und dabei ergebnisoffen zu bleiben. Auch bei der Suche nach | |
Antworten auf die Frage, was gut, was böse ist. | |
Gerade beschäftigt sie sich sehr damit, ob Parteimitglieder der AfD | |
Kirchenämter innehaben sollen. „Sind wir die Guten, die die Bösen?“ Oder, | |
und das ist jetzt weltlicher: Ob sie ihr Auto weiter beim Mechaniker | |
reparieren lassen kann, seit sie weiß, dass er bei der AfD ist. Die | |
Vorstellung, dass so erst recht eine Blockade entsteht, behagt ihr nicht. | |
„Das schafft nur böses Blut. Kommunikation ist doch der Brückenschlag.“ | |
Trotzdem, eine Antwort hat sie nicht. Sie hofft, dass das Auto lange nicht | |
kaputtgeht. | |
Umwege: Als Jugendliche habe sie mal eine extreme Frömmigkeitsphase gehabt. | |
„Es stellte sich raus, dass das nichts ist. Es war viel zu eng.“ Dann | |
wollte sie Orgelbauerin werden oder Restaurateurin. „Alles Schnapsideen. | |
Handwerklich bin ich nur minder begabt.“ Ihre Macherinnenfähigkeiten lagen | |
im Kommunikativen. Sie entschied sich dann für Theologie. „Ich habe lange | |
studiert“, sagt sie. Auch weil sie nebenbei Dinge tun musste: „Ich war im | |
AStA, war Hausbesetzerin, so in der Art.“ Sie will sich einmischen; dank | |
des Vaters weiß sie, als Pfarrerin stehen ihr diesbezüglich alle Türen | |
offen. | |
Auf dem Dorf: Zehn Jahre war sie Dorfpfarrerin in Brandenburg – zuständig | |
für drei Gemeinden, bevor sie 2005 die Leitung des diakonischen Werkes | |
ESTA, „Einsetzen statt Aussetzen“, in Neuruppin übernahm. Parallel war sie | |
damals auch noch Religionslehrerin und arbeitete mit Flüchtlingen. Wie man | |
sie sich als Dorfpfarrerin vorstellen muss? „Zupackend“, sagt sie und zählt | |
auf: „Männerarbeit am Skattisch. Nachbarschaftsinitiativen, | |
Kirchensanierung.“ Boote habe sie für die Gemeinden auch besorgt. „Ich bin | |
doch so gerne am Wasser.“ | |
Was sie sah: Als Gemeindepfarrerin im Osten bekam sie eine Ahnung, welche | |
Wunden die Wiedervereinigung geschlagen hatte und dass das nicht folgenlos | |
bleiben würde. „Das Triumphieren des Westens“, sagt sie, das habe die Leute | |
im Osten kleingemacht. Das Positive sei nicht weitergegeben worden. „Man | |
hat das, was gut funktionierte, das, worauf die Leute stolz sein konnten, | |
auch zerstört. Damit hängt das schlechte Image, das Demokratie heute hat, | |
zusammen. Das wurde bisher nicht aufgearbeitet.“ | |
Veränderungen: Und dann bemängelt sie noch die Defizite der Bildung. „Es | |
gibt eine Menge Menschen, die sind frustriert. Sie sehen Veränderungen, die | |
sie nicht verstehen.“ In einem der Dörfer, wo sie Pfarrerin war, lebten | |
vorwiegend Landarbeitende. „Schulbildung 6. Klasse.“ Diese Menschen | |
bräuchten eine andere Ansprache, um komplexe Zusammenhänge zu verstehen. | |
Das habe man den Rechten überlassen. Und überhaupt: „Warum wurde das | |
Handwerk nicht gewürdigt? Warum mussten alle studieren?“ Wäre das anders | |
gelaufen, hätte das das Selbstwertgefühl vieler Menschen stabilisiert, sie | |
hätten sich anders in der Gesellschaft eingebunden gesehen. „Solche blinden | |
Flecken kommen als Bumerang jetzt zurück.“ | |
Fragen: Sie belässt es nicht bei der Klage und Anklage. „Ich bin groß | |
geworden mit dieser Frage an die Eltern: Warum habt ihr das zugelassen?“ | |
Krieg und Vernichtung also. „Da war so eine geschwellte Brust unsererseits. | |
Davon bin ich geheilt.“ In Neuruppin gebe es viele, die sich der AfD | |
zuwenden, sich aber nicht rechts fühlten. „Wenn die Gesellschaft Faschismus | |
hervorbringt, dann ist es doch etwas, das auch uns betrifft. Also wie sind | |
wir daran beteiligt, dass das passiert?“ | |
Eine Antwort hat sie nicht. Aber immerhin, sie kann die Fragen stellen – | |
auch als Co-Leiterin des Diakonischen Vereins mit hundert Mitarbeitenden. | |
Der macht Kinder- und Jugendarbeit, und Flüchtlingsarbeit. Asylberatung, | |
Wege in Ausbildung und Arbeitsmarkt, Wohnen statt Verwalten, | |
Nachbarschaftsstrukturen aufbauen sind Stichworte. „Wenn die Leute nicht | |
schon traumatisiert ankommen, dann holen wir das nach mit all den Hürden, | |
die den Geflüchteten in den Weg gelegt werden und der ewigen Warterei“, | |
sagt sie. Und weil es nie genug ist, was sie tue, hat sie sich jetzt auch | |
für die Kommunalwahlen aufstellen lassen auf der Liste der Grünen. | |
Dazugehörigkeit: Bei der Gruppe „Neuruppin bleibt bunt“, die derzeit die | |
Demos für Demokratie in der Stadt organisiert, sei sie auch schon lange. | |
Das Aktionsbündnis habe sich 2007 als Reaktion auf die NPD, die damals | |
stark war, gegründet. „Wir haben einfach überlegt, was wir jetzt machen | |
können. Da sind uns die Sonntagsdemos eingefallen.“ Sie fühlt sich für die | |
Weltoffenheit von Neuruppin verantwortlich, ja, sie fühlt sich sogar als | |
Neuruppinerin. Es wundert sie selbst, dass sie schon so lange in der | |
Provinz lebt. Sie sieht den großen Vorteil, dass sie Einfluss nehmen kann. | |
Ihr Vater habe immer gesagt: „Jeder will nicht nur ein Idiot sein, sondern | |
ein wichtiger Idiot.“ In einer Kleinstadt sei das leichter. | |
Und die Liebe: Als sie ins Gemeindepfarramt ging, habe man sie gefragt, wie | |
sie es mit dem Heiraten halte, sie lebte mit ihrem Partner zusammen. „Ach | |
wissen Sie, mit Ehe habe ich es nicht so.“ Dann hat sie 1995 doch | |
geheiratet. „Ich habe verstanden, dass es keine Märchenprinzen gibt.“ Ihr | |
Partner wurde Hausmann. Zumal auch eine Tochter zur Welt kam. „Wichtig ist, | |
die zu lieben, mit denen man lebt“, sagt sie. | |
25 May 2024 | |
## AUTOREN | |
Waltraud Schwab | |
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