# taz.de -- Wahlen in Ostdeutschland: Was auf dem Spiel steht | |
> Die taz berichtet ab sofort verstärkt über die Kommunal- und | |
> Landtagswahlen 2024 in Brandenburg, Sachsen und Thüringen. | |
Bild: Auf dem ostdeutschen Land fallen besonders viele AfD-Wahlplakate auf | |
Wer dieser Tage mit dem Fahrrad durch Brandenburg fährt, sieht viele | |
Wahlplakate – vor allem von der AfD. Die anderen, die der Demokrat*innen, | |
droht das Großstadtgehirn rauszufiltern. Den jungen, findigen Gastwirt, der | |
aus Verantwortungsgefühl für seine Kommune antritt. Den Kandidaten mit | |
kreativ freigestellter Plakatform, der von Linken, SPD und CDU unterstützt | |
wird. | |
Der Eindruck einer übermächtigen AfD passt zum Bild von Ostdeutschland, das | |
sich bei vielen festgesetzt hat: alles schlimm im Osten. Und das stimmt ja | |
auch, zum Teil. Vieles ist schlimm. Aber was folgt daraus? Der Osten wird | |
nicht weggehen, er wird immer seine eigene Geschichte haben. In vielen | |
ostdeutschen Wohnungen steht bis heute die Schrankwand „Karat“, Jugendliche | |
sprechen noch immer von Plaste statt Plastik und im Supermarkt finden | |
Knusperflocken einen guten Absatz. | |
40 Jahre DDR haben den Osten aber nicht nur in Sprache und Produkten | |
geprägt, sondern auch kulturell und politisch. Der Soziologe Steffen Mau | |
beschreibt Ostdeutschland als frakturierte Gesellschaft. Frakturen sind | |
eigentlich Knochenbrüche. Oft sind sie unter der Haut versteckt, von außen | |
kaum erkennbar. Die meisten heilen aus, nur manchmal bleiben | |
Fehlstellungen. Die gesellschaftlichen Brüche, die Mau meint, heilen | |
schwerer als die körperlichen. Vielleicht heilen sie sogar nie ganz – und | |
führen dazu, dass ein Arm, eine Schulter oder eben eine Gesellschaft | |
weniger belastbar ist. | |
Die aktuellen Belastungen sind schwerwiegend, in ganz Deutschland. Nach der | |
Corona-Krise kam der Ukraine-Krieg, Lebensmittelpreise haben sich | |
verdoppelt, Arbeitende fühlen sich erschöpft. In Ostdeutschland kommen 40 | |
Jahre Diktatur, Massenarbeitslosigkeit, Abwanderung, | |
Transformationserfahrungen noch oben drauf. | |
Diese Erfahrungen der Alten werden nicht einfach mit ihnen aussterben. Eine | |
junge ostdeutsche Generation trägt all das Vergangene in sich und übersetzt | |
es zum Teil in rechtes Gedankengut und Gewalt. Das wird sichtbar, wenn | |
Jugendliche [1][einen SPD-Wahlkämpfer krankenhausreif prügeln] oder in der | |
letzten Jugendstudie angeben, die AfD wählen zu wollen. | |
## Drei ganztägige Veranstaltungen in den Bundesländern | |
2019 rappte der Chemnitzer Sänger Felix Kummer: „Rostbraune Flecken an den | |
Wänden unter Deck / Und wenn man das jahrzehntelang so lässt / Dann geht | |
das später nicht mehr von alleine weg / Irgendwann wird ein Loch zu einem | |
Leck.“ Das Leck ist längst da. Aber Leute wie Felix Kummer zeigen auch: | |
„Wir sind mehr“ – und haben damit recht. Wer den Osten für verloren | |
erklärt, liegt falsch. | |
Am 1. September sind Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen, am 22. | |
September in Brandenburg. Zuvor finden Kommunalwahlen statt, in Thüringen | |
am 26. Mai, in den anderen ostdeutschen Ländern am 9. Juni. Als wir im | |
vergangenen Herbst in der taz anfingen, uns über unser Programm für die | |
Wahlen Gedanken zu machen, begegnete uns oft die Erzählung vom verlorenen | |
Osten. | |
Dieses Vorurteil stachelte uns an, noch größer zu denken, noch mehr zu | |
planen, die Scheinwerfer volle Pulle aufzudrehen. Denn Ostdeutschland ist | |
voll von aktiven, demokratischen Menschen, die auch schon lange vor den | |
Correctiv-Recherchen zu rechten Plänen der massenhaften Ausweisung auf die | |
Straße gingen. Die wahnsinnig smarte und [2][erfolgreiche Musik machen], | |
Bücher schreiben, fast Oscars gewinnen, Politik gestalten. | |
Für unser Projekt zu den Ostwahlen 2024 – wie wir sie großzügig abkürzen … | |
fanden wir viele Mitstreiter*innen. Medien wie das Freie Wort in Thüringen | |
und das Veto Magazin in Dresden, mit denen wir kooperieren oder die Uni | |
Leipzig, deren drei Überlandschreiberinnen im Sommer auch die taz | |
bespielen. Und auch drei Kolleg*innen bei uns im Haus, die für einen | |
Monat nach Ilmenau, Senftenberg und Zittau ziehen werden, um von dort zu | |
berichten. | |
Zusammen [3][mit der taz Panter Stiftung] werden wir drei ganztägige | |
Veranstaltungen in den Bundesländern organisieren, finanziert von der | |
Stiftung. Das Programm für unser erstes Forum am 23. Juni im Zughafen in | |
Erfurt konnten wir innerhalb einer Woche übervoll packen. Die Vorschläge | |
für Gäste überschlugen sich, dann sagten auch noch fast alle zu. | |
Die taz Panter Stiftung verleiht auf den drei Foren außerdem jeweils den | |
[4][taz Panter Preis für zivilgesellschaftliches Engagement] und publiziert | |
vor den Landtagswahlen im September drei Sonderbeilagen mit jungen | |
Autor*innen und Illustrator*nnen aus Thüringen, Sachsen und | |
Brandenburg. Ob all dies nun den Ausgang der Wahlen ändert? Wer sich | |
ernsthaft für den Osten interessiert, muss langfristig zu denken lernen. | |
## Keiner weiß, wie die AfD aufzuhalten wäre | |
So wie die 90er Jahre bis heute ihre Spuren hinterlassen haben, wird die | |
Zeit jetzt ihre Spuren hinterlassen. Es gibt immer nur jetzt. Es ist etwa | |
naheliegend, dem sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer | |
vorzuhalten, dass Sachsen noch nie immun gegen Rechtsradikalismus war und | |
die seit 1990 regierende CDU auch nichts dafür getan hat, dass diese | |
Aussage wahr werden würde. | |
Allerdings regiert in Thüringen seit 2014 die Linkspartei und auch dort | |
kommt die AfD in Umfragen auf etwa 30 Prozent. In Brandenburg, seit 1990 | |
von der SPD regiert, sehen die Werte etwas schlechter für die AfD aus, aber | |
auch nicht bedeutend. In Wahrheit weiß kein Mensch, wie die AfD genau | |
aufzuhalten wäre. | |
Auch dieser Text und alle fort folgenden in der taz werden diese Frage | |
nicht eindeutig beantworten können. Diese Auseinandersetzung wird bleiben | |
und Kraft kosten – Demokratie ist Arbeit. Deshalb müssen die Straßen voll | |
sein mit Wahlplakaten von Demokrat*innen. Es braucht weiter Proteste. Wir | |
müssen weiter sehr präzise zeigen, was auf dem Spiel steht, wenn | |
Rechtsextreme Macht bekommen und wir aufhören, diejenigen zu unterstützen, | |
die sich für ein demokratisches Miteinander einsetzen. | |
18 May 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Nach-Angriff-auf-Politiker-in-Dresden/!6005923 | |
[2] /Neues-Album-von-Kraftklub/!5885359 | |
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[4] /Panter-Preis-Publikumswahl-2024/!vn6009386/ | |
## AUTOREN | |
Katrin Gottschalk | |
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