# taz.de -- Nach Angriff auf Politiker in Dresden: Wahlkampf um die Demokratie | |
> Zuletzt hat es mehrere Angriffe auf Politiker:innen gegeben. Der | |
> Überfall auf den sächsischen SPD-Europapolitiker Matthias Ecke war der | |
> schwerste. | |
Bild: Tatort in Dresden: Hier griffen Unbekannte den SPD-Politiker Matthias Eck… | |
Marcus Hetzel plakatiert seit Jahren für die Grünen in Dresden. „Früher ist | |
man da entspannt losgezogen.“ Aber dieses Jahr, am vergangenen Freitag, | |
habe er sich mit einem anderen Gefühl auf den Weg gemacht. Aus der Partei | |
hieß es, am besten sollten die Wahlhelfer:innen zu dritt unterwegs | |
sein, Gefahren aus dem Weg gehen und im Zweifel gleich die Polizei rufen. | |
Das hatte er im Kopf. Doch im beschaulichen Dresdener Stadtteil Striesen | |
rechnete er mit nichts, so erzählt es Hetzel der taz. Doch als er mit zwei | |
anderen um etwa 23 Uhr vor einem Späti ein Plakat aufhängte, sprach ihn | |
eine Gruppe junger Männer an, schwarz gekleidet, manche mit dunklen Mützen. | |
„Das Plakat wird nicht lange hängen“, hätten sie sinngemäß gesagt. Hetz… | |
solle es abnehmen. Der sagte, falls es sie störe, sollten sie selbst das | |
Plakat abhängen. „Dann hat einer von denen gedroht, wenn ich es nicht | |
mache, könne es sein, dass mir dasselbe passiert wie den anderen vorhin.“ | |
Hetzel rief die Polizei. Er ahnte schon, was mit der Drohung gemeint sein | |
könnte: In einem internen Chat hatte er von Angriffen auf | |
Wahlhelfer:innen gelesen. | |
An diesem Abend kam es zu mehreren Attacken. Ein 28-jähriger Wahlhelfer der | |
Grünen wurde von vier Vermummten geschlagen und getreten, als er in der | |
Schandauer Straße Plakate aufhängte. Etwas später, in der gleichen Straße, | |
griffen mehrere Unbekannte den sächsischen SPD-Spitzenkandidaten für | |
[1][die Europawahl], Matthias Ecke, an und fügten ihm mehrere Knochenbrüche | |
im Gesicht zu. Er muss operiert werden. | |
Matthias Ecke stammt aus dem sächsischen Meerane und lebt heute in Dresden. | |
Der 41-Jährige rückte 2022 für die SPD ins Europaparlament nach, kümmerte | |
sich um Regionales und Industriethemen. | |
In der Nacht zum Sonntag [2][stellte sich ein 17-Jähriger] und gab an, er | |
habe den Politiker angegriffen. Laut Polizei war er vorher nicht mit den | |
Behörden in Konflikt geraten. Weitere Täter waren bis Redaktionsschluss | |
noch nicht gefasst. Zeug:innen schätzten auch ihr Alter auf etwa 20 Jahre | |
oder jünger. Sie seien schwarz gekleidet gewesen und mutmaßlich dem | |
rechtsextremen Spektrum zuzuordnen. Laut Polizei ist der Hintergrund | |
unklar. Die Ermittlungen laufen. | |
Andrea Hübler, Geschäftsführerin der Beratungsstelle für Betroffene rechter | |
Gewalt RAA in Sachsen, sagt allerdings, sie habe das befürchtet: mehr | |
Angriffe während des Wahlkampfs auf Helfer*innen. „Vor allem aus dem | |
Neonazi-Spektrum“, betont sie. Die Beratungsstelle hat im April ihre | |
Statistik über Fälle rechter Gewalt veröffentlicht. Im vergangenen Jahr | |
seien klassische Neonazi-Strukturen in Sachsen wieder stärker wahrnehmbar | |
gewesen. | |
In der vergangenen Woche gab es auch an anderen Orten Übergriffe auf Grüne | |
in Sachsen: In Chemnitz war es ebenfalls zu einem Angriff gekommen, in | |
Zwickau, Freiberg und Penig seien Wahlhelfer:innen verbal bedroht | |
worden. Der Angriff auf Matthias Ecke sei aber eine neue Dimension, sagt | |
Hübler. „Bisher hat es noch nie zu solchen Verletzungen geführt.“ | |
Für Hübler stelle sich vor allem die Frage: „Handelt es sich um einen | |
spontanen oder geplanten Angriff?“ Die Brutalität und dass es an mehreren | |
Stellen zu Übergriffen kam, spreche für eine abgesprochene Aktion. Ebenso, | |
dass es die erste Nacht war, in der Wahlplakate in Dresden aufgehängt | |
werden durften. Weil die Ermittlungen andauern, möchte die Polizei sich | |
dazu nicht äußern. | |
Der SPD-Landesvorsitzende Henning Homann sagte gegenüber der taz, er sorge | |
sich vor Nachahmer:innen. Dagegen fordert er konsequente Ermittlungen. | |
Denn wie sich die Gewalt aktuell entwickle, sei erschreckend. Homann wisse | |
von etwa zehn Angriffen auf Plakatier-Teams verschiedener Parteien in der | |
vergangenen Woche in Sachsen. Dabei hat der [3][Plakat-Wahlkampf gerade | |
begonnen]. | |
Gewalt gibt es allerdings nicht nur in Sachsen. Eine Kleine Anfrage der AfD | |
im Bundestag hat ergeben, dass politische Gewalt im vergangenen Jahr vor | |
allem gegen die Grünen zugenommen hat. Registrierten Behörden 2020 noch 296 | |
Angriffe auf Vertreter:innen dieser Partei, waren es im vergangenen | |
Jahr fast viermal so viele: 1.219. Auf AfD-Vertreter:innen, die 2020 die | |
meisten Angriffe abbekamen, gingen die Zahlen in der gleichen Zeit von 782 | |
auf 478 zurück. An diesem Wochenende wurde in Niedersachsen ein | |
Landtagsabgeordneter mit Eiern beworfen und geschlagen. | |
„Es gibt Angriffe auf die AfD, unbestritten“, sagt Hübler. „Trotzdem hat | |
das einen qualitativen Unterschied.“ Das eine seien ein Angriff auf alle | |
demokratischen Parteien, das andere einer „auf eine Partei, die die | |
Demokratie zerstören will, mit Remigration, Nationalismus, Rassismus und | |
Faschismus.“ | |
Zum aktuellen Angriff auf den SPD-Spitzenkandidaten Ecke schrieb der | |
sächsische AfD-Chef Jörg Urban auf X, er verurteile den Angriff. | |
„Allerdings muss sich die SPD fragen, inwieweit ihre ständige Hetze gegen | |
politisch Andersdenkende zu solchen Eskalationen beiträgt.“ Eine Nachfrage | |
der taz, welche Hetze er meine, ließ er unbeantwortet. | |
Homann sagt: „Das ekelt mich an und das ist heuchlerisch.“ Die AfD habe zum | |
aggressiveren Klima in der Politik beigetragen. „Das sind keine | |
Schlägertrupps der AfD. Aber durch ihre Worte schafft sie einen Raum, in | |
dem sich diese Täter legitimiert fühlen.“ Insgesamt erfahre die SPD nun | |
viel Solidarität. „Das tut gut.“ Seine Partei werde nach dem Angriff erst | |
recht Plakate aufhängen und um Wähler:innenstimmen kämpfen, sagt der | |
Landesvorsitzende. „Aber es hat sich was verändert.“ | |
Ähnlich klingt es beim Grünen-Wahlhelfer Marcus Hetzel. Er habe am | |
Freitagabend Glück gehabt, glaubt er, weil es vor dem Späti hell war und | |
noch andere Menschen in der Nähe standen. Die Polizei sprach mit den jungen | |
Männern, Hetzel plakatierte weiter. Und er werde auch weiter Plakate | |
aufhängen. „Aber es fühlt sich jetzt anders an.“ | |
5 May 2024 | |
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## AUTOREN | |
David Muschenich | |
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