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# taz.de -- Rassistischer Angriff in Sachsen: Mitten in Dresden, mitten am Tag
> Beim Bummel durch die Innenstadt wird eine Schwarze Dresdnerin tätlich
> angegriffen. Der Fall zeigt auch, was sich seit den 90ern verändert
> hat.
Bild: Maria S. spazierte gern durch diese Fußgängerzone. Bis zu jenem Tag im …
Dresden taz | Eigentlich wollte Maria S. an diesem 6. April Blumen beim
Gedenkstein für Jorge Gomondai ablegen. Beide kamen in den 80ern aus
Mosambik als Vertragsarbeitende in die DDR nach Dresden. Vor 33 Jahren
starb er bei einem Angriff von Neonazis. Maria S. lebt bis heute in der
Stadt. „Er war ein Freund von mir“, sagt sie.
An diesem Samstag im April kaufte die 60-Jährige also einen Blumenstrauß
und bummelte noch etwas in der Innenstadt, um das warme Wetter zu genießen.
Sie setzte sich auf eine Bank, legte die Blumen kurz neben sich ab und
telefonierte mit einer Freundin – als sich plötzlich ein Mann vor sie
stellte, ihr ins Gesicht schlug und sie rassistisch beleidigte.
Das berichtet Maria S. ein paar Tage später. Sie ist mit der taz
zurückgekehrt zu jener Parkbank, stellt sich etwa 20 Zentimeter davor. „So
nah stand er, zehn Minuten lang, ohne etwas zu sagen“, erzählt sie. Um sie
herum schlendern Menschen mit Einkaufstüten über die Prager Straße.
So wie an jenem Samstag. Eine belebte Fußgängerzone, viele Geschäfte,
keine Autos. Ein paar Jugendliche rasen mit Elektrorollern herum. Maria S.
sagt, sie sei gern hier. Und sie will erzählen, was ihr passiert ist. Ihr
Fall lässt erahnen, was sich in den vergangenen 30 Jahren in Sachsen
verändert hat – und was noch nicht. Maria S. ist nicht ihr richtiger Name.
## Unvermittelt schlug er zu
Als der Mann direkt vor ihr stehen blieb, drehte Maria S. zunächst den Kopf
weg und telefonierte weiter. „Ich hatte Angst aufzustehen“, erklärt sie.
Auf Portugiesisch schilderte sie ihrer Freundin am Telefon die bedrohliche
Lage. Sie hoffte, der Mann würde einfach weggehen, wenn sie ihn
ignorierte. So wie sie Beschimpfungen oft überging. Dass er alkoholisiert
war, bemerkte sie zunächst nicht. So vergingen zehn Minuten. Dann schlug er
unvermittelt zu. „Er hat gerufen: ‚Was hast du hier zu suchen, was willst
du hier?‘ Im ersten Moment habe ich gar nicht verstanden, was er meint.“
Geschockt stand sie auf, das Handy weiter am Ohr. Als Schwarze Frau kannte
sie es, dass Rassisten sie beleidigen. Aber zugeschlagen hatte schon lange
keiner mehr. Doch der Täter holte nochmals aus. Ihr Handy fiel auf dem
Boden, er trat drauf. In dem Moment zogen zwei Passanten den Angreifer
zurück. „Wenn die zwei Männer nicht gewesen wären, ich weiß nicht, was no…
geschehen wäre“, sagt Maria S. und schüttelt den Kopf. Wenig später nahm
die Polizei den Täter fest.
Ein typischer Fall rassistischer Gewalt, meint Andrea Hübler. Sie ist
Geschäftsführerin der Opferberatung RAA (Regionale Arbeitsstellen und
Angebote für Bildung, Beratung und Demokratie) in Sachsen. „Mit so etwas
haben wir leider täglich zu tun: Im öffentlichen Raum, unerwartet und
alkoholisiert“, berichtet sie. [1][2023 zählte man in ganz Sachsen] 248
rechtsmotivierte Übergriffe. Bei mehr als der Hälfte (129) war Rassismus
das Motiv. Die Zahlen veröffentlichte die RAA Sachsen Mitte April. Der Fall
von Maria S. wird erst in der nächsten Statistik auftauchen. „Wir gehen
aber von vielen Fällen aus, die uns nicht bekannt sind“, sagt Hübler.
Wenn die Polizei von rassistischen Übergriffen berichtet, spielt Alkohol
dabei häufig eine Rolle – wie beim Angriff auf Maria S. Nicht überraschend,
findet Andrea Hübler: „Alkohol enthemmt. Aber das entschuldigt nichts.“
Auslöser seien neben der persönlichen Einstellung eher andere Faktoren,
etwa eine zugespitzte öffentliche Debatte. Der Umgang mit Geflüchteten sei
zum Beispiel so ein Thema, „das seit 2015 nie weg war“, sagt Hübler.
## Rassisten fühlen sich bestärkt
Der [2][Sachsen-Monitor 2023] zeigte zuletzt, dass rassistische und
nationalistische Einstellungen in der Bevölkerung deutlich zugenommen
haben. Laut der repräsentativen Studie stimmten zum Beispiel rund zwei
Drittel (64 Prozent) der Befragten der Aussage zu, Deutschland sei in einem
„gefährlichen Maß überfremdet“; 24 Prozentpunkte mehr als beim
Sachsen-Monitor 2021/2022.
Wenn Betroffene von Rassismus negativ im öffentlichen Fokus stünden,
fühlten sich Rassist:innen bestärkt. Auch die Wahlerfolge rechter
Parteien hätten einen solchen Effekt. Unter diesen Umständen steige das
Risiko für Gewalt, auch am helllichten Tage, auch in der Öffentlichkeit,
erklärt Hübler.
Das eine sind eher spontane Übergriffe im Alltag, daneben beobachten die
Opferberatungsstellen auch gezielte Angriffe von Neonazigruppen, die sich
auch gegen Linke und andersdenkende Menschen richteten, mit dem Ziel, sie
einzuschüchtern. Das zeige sich in den Landkreisen Görlitz und Zwickau,
sowie ganz konkret „in Bautzen, wo Neonazis Jugendliche in einem Jugendklub
umstellten und massiv bedrohten“, berichtet Hübler. Neonazigruppen hätten
in den vergangenen Jahren wieder stärker Mitglieder in Sachsen rekrutiert –
besonders Jugendliche.
Der Mann, der Maria S. angriff, war mit 53 Jahren schon älter, wenn auch
nicht weniger aggressiv. Nach dem Angriff sei sie vor allem wütend gewesen,
sagt Maria S. und zeigt auf die Prager Straße: Sie sei immer gern in die
Fußgängerzone gegangen, ob zum Shoppen oder um Geburtstage ihrer Kinder in
einer Pizzeria zu feiern. Aber: „Jetzt fühle ich mich nicht mehr sicher.“
Selbst die Blumen für Jorge Gomondai hat sie noch nicht zu seinem
Gedenkstein gebracht.
## Tödlicher Sturz aus der Straßenbahn
Gomondai kam 1981 als 18-jähriger Vertragsarbeiter in die DDR. Rund 17.000
Menschen verließen damals Mosambik für eine Ausbildung in Europa. Die DDR
hatte einen entsprechenden Staatsvertrag mit Mosambik geschlossen. Am Ende
mussten die mosambikanischen Arbeiter:innen oft die unbeliebten Jobs
übernehmen, die SED-Diktatur behielt bis zu 60 Prozent ihres Lohns ein. Bis
heute fordern Mosambikaner:innen von der Bundesregierung eine
Entschädigung.
Bis zur Wende arbeitete Gomondai im Fleischkombinat Dresden, wie das
Projekt gegenuns.de recherchiert hat. Danach verlor er zwar den Job, doch
während die meisten anderen Vertragsarbeiter:innen abgeschoben
wurden, versuchte er in Deutschland zu bleiben.
Am 31. März 1991 stiegen erst er, dann eine Gruppe Neonazis in dieselbe
Straßenbahn. Unklar ist, ob er aus der fahrenden Bahn gestoßen wurde oder
versuchte, vor den Neonazis zu fliehen. Aber den schweren Verletzungen des
Sturzes erlag er [3][am 6. April 1991].
Maria S. kannte Gomondai und besuchte zwei Tage nach seinem Tod den
Gedenkgottesdienst in Dresden. „Als wir aus der Kirche kamen, warteten da
viele. Und die schrien nur: ‚Ausländer raus, Ausländer raus.‘“ Die Neon…
im Alltag seien damals sehr bedrohlich für Schwarze gewesen. „1991 war die
Zeit, in der Wohnheime von Migranten angegriffen wurden und es viel
Brandstiftung gab“, erzählt sie. Auch Maria S. erlebte Angriffe. Die
Polizei habe nie geholfen.
In den Jahren danach habe Maria S. vor allem verbale Attacken erlebt.
Selbst wenn sie später mit ihren drei Kindern unterwegs war, seien sie
rassistisch beleidigt worden. „Einmal in der Straßenbahn hat ein Mann
gesagt: ‚Es stinkt hier.‘ Darauf hat mein Sohn gesagt, ‚Hättest du deinen
Mund nicht aufgemacht, dann hätte es auch nicht gestunken.‘ Da war der Mann
baff“, erzählt Maria S. und lächelt stolz.
## Sie fühlte sich zum ersten Mal ernst genommen
Die schlechte Erfahrung mit der Polizei prägt sie bis heute. Auch am 6.
April, nachdem der Mann sie auf der Prager Straße geschlagen hatte, wollte
sie die Beamten nicht rufen. „Der war ja weg. Dann hätte ich in sechs
Monaten ein Schreiben bekommen, dass die Ermittlungen eingestellt werden,
weil der Täter nicht gefunden wurde“, erklärt sie.
Doch dann sei der Mann wiedergekommen und sie habe doch die Polizei
gerufen. „Das war das erste Mal, dass sie meinen Fall richtig aufgenommen
haben.“ Sie habe sich ernst genommen gefühlt – eine gute Erfahrung, sagt
sie. Später hätten sie noch zwei Polizisten nach Hause begleitet, ihr
Beratungsangebote empfohlen und weitere Hilfe angeboten.
Das freut auch Andrea Hübler. Das sei noch nicht selbstverständlich, obwohl
sich das Problembewusstsein der Polizei spürbar verändert habe.
Mittlerweile sei die Polizei auch verpflichtet, auf Beratungsangebote
hinzuweisen. „Da wurde mit Gesetzen nachgebessert und auf Grundlage von
EU-Richtlinien wurden Opferrechte gestärkt“, sagt Hübler.
Maria S. habe zudem Glück mit ihrem Umfeld, erzählt sie. Ihre Kinder
unterstützen sie, ein Sohn holt sie nun nach der Arbeit ab, damit sie nicht
allein mit der Straßenbahn fahren muss. Auch ihre Chefin habe bereits
angeboten, sie könne sie nach Hause fahren. „Sie hatte davon in den
Nachrichten gelesen. Viele Kollegen von mir haben gefragt, wie es mir geht
und auch Hilfe angeboten.“
Ihre Tochter macht sich allerdings Sorgen. Sie ist in Dresden aufgewachsen,
arbeitet heute in Köln. Dort erlebe sie weniger Rassismus. Gerade jetzt,
vor der Landtagswahl in Sachsen, wo die AfD in Umfragen konstant über 30
Prozent liegt, wünsche die Tochter sich, dass ihre Mutter wegzieht. Doch
Maria S. möchte nicht weg aus Dresden. „Ich verstehe mich so gut mit meinen
Freunden, den Nachbarn, den Kollegen. Das sind so gute Leute. Die würde ich
woanders nicht finden. Ich liebe Dresden.“
10 May 2024
## LINKS
[1] https://www.raa-sachsen.de/support/statistik/statistiken/rechtsmotivierte-r…
[2] https://www.staatsregierung.sachsen.de/sachsen-monitor-2023-8897.html
[3] /Von-Nazis-ermordeter-Mosambikaner/!5926860
## AUTOREN
David Muschenich
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