# taz.de -- Der Hausbesuch: Alles an ihr ist politisch | |
> Ihre Mutter wollte Freiheit, und verließ dafür mit ihrer kleinen Tochter | |
> den Iran. Heute ist Nasim Ebert-Nabavi Anwältin, mit Trotz und | |
> Leidenschaft. | |
Bild: Nasim Ebert-Nabavi in ihrem Wohnzimmer. „Zuhause ist da, wo ein Teppich… | |
Schon als Kind sah Nasim Ebert-Nabavi, was es bedeutet, wenn Frauen weniger | |
Rechte haben als Männer. In Deutschland merkte sie, dass auch hier noch | |
viel Ungerechtigkeit herrscht. Dagegen will sie arbeiten. | |
Draußen: Da, wo die Berliner Stadtteile Neukölln und Kreuzberg sich | |
treffen, ist es großstädtisch, der Kiez gar verrufen. Je mehr sich Neukölln | |
jedoch nach Osten zieht, desto ruhiger geht es zu. Erst kleinstädtisch, | |
bald schon dörflich. Dort, am äußeren Ende der Stadt, leben Nasim | |
Ebert-Nabavi, ihr Mann und ihre zwei Kinder. „Eine Oase“, sagt sie. | |
Drinnen: Persische Musik läuft im schlicht eingerichteten Haus. Zwei | |
gemusterte Orientteppiche liegen im Wohnzimmer auf dem Boden. „Zuhause ist | |
da, wo ein Teppich ist“, sagt Nasim Ebert-Nabavi. In ihrer früheren Wohnung | |
hätten sie das Motto etwas zu wörtlich genommen und „teppichmäßig | |
übertrieben“. Obwohl, wenn es nach ihrem deutschen Mann ginge, überlegt | |
Nasim Ebert-Nabavi, könne es nicht genug Teppiche geben. „Wenn er könnte, | |
würde er sogar welche auf dem Rasen im Garten auslegen.“ In einer Vitrine | |
stehen ein Bild ihrer Kinder, Krimis von Sebastian Fitzek und eine Statue | |
der Justitia, die versucht, die Waage im Gleichgewicht zu halten. | |
Ungleichgewicht: Nasim Ebert-Nabavi war elf Jahre alt, als sich die Mutter | |
vom Vater trennte und aus Iran floh. 25 Jahre ist das her. In Lübeck kamen | |
sie unter. Verwandte lebten dort. Ihr Antrag auf Asyl wurde positiv | |
beschieden. Die Mutter wollte Freiheit – kein Patriarchat, keinen | |
Gottesstaat, keine Scharia. Was ihre Mutter getan hat, beschreibt | |
Ebert-Nabavi „als einen revolutionären Akt“. Sie sei eine Pionierin für | |
Selbstbestimmung gewesen. Der Preis, den sie zahlen musste: das Leben in | |
der Fremde. Die Haltung ihrer Mutter hätte auch sie inspiriert, in | |
Deutschland gegen Ungerechtigkeit vorzugehen, wo sie sie erlebt. | |
Ermutigungen: Ihre Mutter legte viel Wert auf die Bildung der Tochter. | |
Schon am vierten Tag in Lübeck wird sie zur Schule geschickt. Schnell lernt | |
Ebert-Nabavi die neue Sprache. Das Fach Deutsch liegt ihr allerdings eher | |
weniger, da die komplexe Grammatik und der deutsche Satzbau ihr zu schaffen | |
machen. Sie fühlt sich von ihren Lehrern bloßgestellt, wenn ihre Noten laut | |
vorgelesen und mit anderen Schülern mit Migrationsbiografie verglichen | |
werden. „Du hast einen Ausländerbonus“, sagte ein Lehrer mal, erinnert sich | |
Ebert-Nabavi. Das mag nett gemeint gewesen sein, aber gab ihr ein Gefühl | |
von Nichtzugehörigkeit. | |
Trotz: „Wenn man mir das Gefühl gibt, etwas nicht zu können, habe ich den | |
Drang, das Gegenteil zu beweisen.“ Ja, da ist Trotz, aber der sei mitunter | |
auch positiv. Wie sie ja auch das Abitur machen wollte, obwohl einige | |
Lehrer ihr rieten, sich mit dem Haupt- oder Realschulabschluss | |
zufriedenzugeben. Ihr Abitur jedenfalls war am Ende sehr gut. Ebert-Nabavi | |
ist überzeugt, dass Kinder mit Migrationsbiografie, insbesondere Mädchen, | |
unermessliches Potenzial in sich tragen. Viel zu oft würden sie | |
unterschätzt. „Mit Leidenschaft und Entschlossenheit kann jede ihre Träume | |
erreichen, wenn sie dazu ermutigt wird.“ | |
Ihr Traum: Als Kind sieht sie, welche Steine ihrer Mutter in den Weg gelegt | |
werden, damit die sich scheiden lassen kann. Etwa muss sie ihrem Mann die | |
Wohnung in Iran überlassen, die eigentlich ihre Mitgift gewesen war. | |
Ebert-Nabavi sieht und versteht schon damals, dass es nicht richtig ist, | |
dass Frauen weniger Rechte haben als Männer. Deshalb will sie schon früh | |
Rechtsanwältin werden. Sie will, dass es Frauen besser geht. Ganz einfach | |
kommt ihr das aber auch in Deutschland nicht vor. „Die Rechtslage hier ist | |
ein Dschungel, in dem man als Fremde Schritt für Schritt lernen muss, sich | |
zurechtzufinden.“ Aber es hilft ihr auch dabei, ihre Entscheidung zu | |
festigen. Nach dem Abitur zieht sie nach Hannover und studiert | |
Rechtswissenschaften. Heute arbeitet sie als Rechtsanwältin und Dozentin an | |
der Verwaltungsakademie in Berlin. | |
Frust: Bald nach dem Einstieg in den Job kommt die Ernüchterung. Sie merkt, | |
dass sie als Einzelperson, „als eine Anwältin mit Herz“, wie sie sagt, | |
nicht viel erreichen kann. Diejenigen, die zu ihr kommen, sind entweder | |
finanziell gut aufgestellt oder kennen ihre Rechte bereits. Die aber, die | |
ihre Rechte nicht kennen und kein Geld haben, jedoch dringend juristischen | |
Beistand bräuchten, „und denen ich eigentlich mein Herz schenken will“, | |
landen meist nicht bei Rechtsanwälten. | |
Die andere Seite: Probleme anprangern, sei die eine Seite nach Lösungen zu | |
suchen, die andere. Sie hat es schon in ihrer Schulzeit probiert, als sie | |
sich bei den Jusos engagierte und Demonstrationen zum Thema | |
Bildungsgerechtigkeit mitorganisierte. Später war sie an der Uni als | |
Ausländerbeauftragte der juristischen Fakultät aktiv. Dort war sie | |
Ansprechpartnerin für die Belange ausländischer Studierender oder solcher | |
„mit Migrationsbiografie und jemand, der phänotypisch ihnen ähnelt“. Das | |
Studium war zeitintensiv, „dann habe ich gearbeitet, geheiratet, Kinder | |
bekommen“. Als aber in Iran die Frauen-Leben-Freiheit-Bewegung 2022 los | |
ging, war sie zurück auf der Straße – in Berlin. Sie organisierte | |
Demonstrationen mit und gab rechtliche Einschätzungen ab. Doch sie lernte | |
auch, dass echte gesellschaftliche Veränderung nur durch breite politische | |
Teilhabe entsteht. | |
Lebensrealitäten: „Alles an mir ist politisch“, sagt Ebert-Nabavi. | |
Hautfarbe, Haarfarbe, Sprache. Denn Menschen, die ihr ähneln, allen voran | |
Männer, die ausländisch gelesen werden, würden nicht selten in Neukölln per | |
Racial Profiling grundlos kontrolliert, sagt sie. Für Ebert-Nabavi ist das | |
inakzeptabel. Sie sagt aber auch, dass sie lange gebraucht habe, um den | |
Zusammenhang zwischen ihrer Person und der Politik zu verstehen, ja gar zu | |
verstehen, was eigentlich Politik bedeute. Deshalb wird sie nun selber | |
politisch aktiv. | |
Repräsentation: „Viele Menschen, die eine ähnliche Biografie haben wie ich, | |
kennen ihre Rechte nicht. Sie bekleiden kaum politische Ämter. | |
Dementsprechend sind politische Entscheidungen nicht an Lebensrealitäten | |
dieser Menschen angepasst“, erklärt sie. Etwa bräuchte es ein Abbild der | |
Vielfalt, die in Neukölln existiert, auch auf der lokal politischen Ebene. | |
„Momentan sehe ich statt bunt weiß“. Für die kommende Wahl bei der | |
Bezirksverordnetenversammlung möchte sie sich aufstellen lassen. | |
Vergangenes Jahr nahm sie bei einem berufsbegleitenden politischen | |
Ausbildungsprogramm „Love Politics“ teil. Das gab ihr zu ihrem juristischen | |
Werkzeugkasten auch noch einen politischen an die Hand. | |
Bewunderung: Für Ebert-Nabavi ist Gleichberechtigung für Mädchen und Frauen | |
ein großes Herzensthema. Gleichberechtigung spiegele sich auch in ihrer Ehe | |
wider. Das könne man schon am Nachnamen erkennen. Außerdem teilen sich ihr | |
Mann und sie die Arbeit im Haushalt und mit den Kindern. Das erst | |
ermögliche ihr, sich neben ihrer 40-Stunden-Woche noch zu engagieren. Erden | |
aber würden sie ihre Kinder, sie seien ihre größten Lehrer. „Wir vergessen, | |
dass wir so viel von ihnen lernen können, weil sie die Welt noch | |
ungefiltert sehen.“ Für Kinder seien so viele Themen, mit denen wir uns | |
täglich auch auf der politischen Ebene befassen – etwa strukturelle | |
Diskriminierung oder soziale Ungleichheiten –, gar keine Hürden, „weil für | |
sie nur der Mensch zählt.“ | |
2 Jun 2024 | |
## AUTOREN | |
Maria Disman | |
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