# taz.de -- Aktionen der „Identitären Bewegung“: Verstecken? Die Zeiten si… | |
> Aktivisten der „Identitären Bewegung“ wollen die Popstars der rechten | |
> Szene sein. Ihre radikalen Aktionen klauen sie von den Linken. | |
Bild: Wollen die Aufmerksamkeit: „Identitäre Bewegung“ im August 2016 auf … | |
BERLIN taz | Und dann steht Robert Timm auf dem Brandenburger Tor. Ein | |
leichter Wind zerrt an seinem weinroten Hemd, der Himmel ist wolkenlos | |
blau. Timm blickt hinunter auf die ameisenkleinen Touristen, er sieht den | |
Berliner Fernsehturm und die Baukräne über den Häuserdächern. Dann entrollt | |
er mit den elf anderen ein weißes Banner. „Grenzen schützen, Leben retten�… | |
Die Menschen unten machen Fotos. Einige buhen, rufen „Nazis raus“. Robert | |
Timm knipst Bilder mit seinem Handy. Er verschickt einen Tweet: „Stehe | |
gerade auf dem Brandenburger Tor.“ Neben ihm entzündet ein Mitstreiter eine | |
Leuchtfackel, ein anderer schwenkt eine schwarze Fahne, darauf ein Winkel | |
mit der Spitze nach oben, der griechische Buchstabe Lambda in Gelb. Das | |
Symbol der Identitären. Timms Identitäre. | |
Es ist die Polizei, die der Aktion ein Ende setzt. Mann für Mann holen sie | |
vom Brandenburger Tor und sammeln die lange Sprossenleiter ein, auf der die | |
Identitären nach oben geklettert sind. Als Timm und die anderen nach sechs | |
Stunden wieder freigelassen werden, machen sie ein Gruppenfoto vor der | |
Polizeistation und stellen es ins Internet, Timm hockt sich in die erste | |
Reihe. Es ist der letzte Akt der Protest-PR. Verstecken? Diese Zeit ist | |
vorbei. | |
„Wir müssen Gesicht zeigen“, sagt Martin Sellner. Sellner ist 27 Jahre alt, | |
wohnt in Wien und tritt als der Chef der österreichischen Identitären auf – | |
und als ihr Stratege. Im Nachbarland sorgen die Jungrechten schon länger | |
für größeres Aufsehen. Das wollen sie auch in Deutschland. | |
Die Aktion vom Brandenburger Tor, Ende August, war ihre spektakulärste. | |
Danach sprengten die Identitären eine Radio-Livesendung des Publizisten | |
Jakob Augstein im Berliner Maxim Gorki Theater. „Heuchler“, schrien sie in | |
den Saal, bis sie rausgeschmissen wurden. Sie besetzten den Balkon der | |
SPD-Bundeszentrale in Berlin, stellten ein Gipfelkreuz in den bayrischen | |
Alpen auf oder stürmten eine Veranstaltung des Grünen-Chefs Cem Özdemir. | |
## Das ist alles nur geklaut | |
Es sind Sponti-Aktionen, geklaut aus dem linken Protestrepertoire. | |
Inszenierte Provokationen an symbolträchtigen Plätzen, mit Bannern und | |
Bengalos, im Anschluss medial klickträchtig aufbereitet. Vor fünf Jahren | |
waren es noch die Umweltschützer von Greenpeace, die auf dem Brandenburger | |
Tor standen und Banner gegen Atomkraft entrollten. Nun sind es die | |
rechtsextremen Identitären. | |
Keine Gruppe aus der rechten Szene ist derzeit öffentlich präsenter als sie | |
– und doch ist ihr Bild unscharf. Wer sind diese Aktivisten, die aussehen | |
wie Hipster-Studenten mit Undercut und Tattoos? Wie gehen sie vor? Wer | |
einen Blick auf die Leute vom Brandenburger Tor wirft, für den erhält | |
dieses Bild Konturen. Dort oben stand ein Querschnitt der Identitären. | |
Die Sache mit der Besetzung hatte sich die Berliner Gruppe um Robert Timm | |
ausgedacht. Timm sagt, sie hätten sich die Greenpeace-Klettertour genau | |
angeschaut und dass sich seine Leute bei der anderen politischen Seite | |
bedienen. „Es ist nicht alles schlecht, was die Linken machen“, sagt der | |
25-Jährige. | |
Robert Timm sitzt am Montagmittag in einem italienischen Café in | |
Berlin-Mitte, nippt an einer Cola. Über den Bürgersteig schlendern | |
Studenten, die Humboldt-Universität ist gleich nebenan. Timm fällt hier | |
nicht auf. Hornbrille, opulenter Bart, Hemd und Sneakers. Timm selbst | |
studiert Architektur in Cottbus, einer Stadt in Brandenburg, 140 Kilometer | |
südöstlich von Berlin. Momentan aber macht er vor allem eines: Aktionen für | |
die Identitären. | |
## Timm legte einen schnellen Aufstieg hin | |
Auch Timm bewegte sich einmal unter Linken. Er ist aufgewachsen im Osten | |
Berlins, in einem linken, DDR-geprägten Elternhaus. Als Jugendlicher | |
sprayte er Graffitis, sympathisierte mit der Antifa, ging auf den 1. Mai in | |
Kreuzberg. Dann sei er auf ein Oberstufenzentrum in den Stadtteil | |
gewechselt, war umgeben von Migranten. Der Beginn einer Entfremdung: Für | |
diese Mitschüler hätten Sonderregeln gegolten, selbst als sie einen | |
jüdischen Zeitzeugen beleidigten, habe das keine Folgen gehabt. So | |
behauptet es Timm. | |
Auf der Suche nach einer neuen politischen Heimat sei er im Internet auf | |
die Videos von Martin Sellner gestoßen, dem Identitären aus Österreich. | |
Seit diesem April macht Timm selbst mit: in der Berliner Regionalgruppe des | |
Netzwerks, 30 Leute stark. Er legte einen schnellen Aufstieg hin, heute | |
gehört er zur Führungsriege. Als Sellner kürzlich in Berlin zu Gast war, | |
übernachtete er in der Berliner Wohnung, die Robert Timm noch hat. | |
Dass Timm mit der taz spricht, ist Teil der Imagepflege der Identitären: | |
Die Gruppe schickt ihre eloquenten, freundlichen Köpfe voran, Robert Timm | |
passt zur „Gesicht zeigen“-Strategie von Martin Sellner. Er spricht ruhig, | |
überlegt, die Hände liegen gefaltet auf dem Tisch. Das ist die eine Seite. | |
Es gibt eine andere: die aktivistische. Zuletzt war kaum einer der | |
Identitären so viel unterwegs wie Timm. Auf dem Brandenburger Tor stand er. | |
Als Bundeskanzlerin Angela Merkel im Berliner Landeswahlkampf auftrat, | |
mischte er sich mit seinen Leuten unter das Publikum, skandierte „Merkel | |
muss weg“. Als die Identitären Jakob Augstein im Theater beschimpften, war | |
Robert Timm dabei. Als sie im Juni bundesweit zur Demonstration nach Berlin | |
riefen, lief er als Ordner mit. Timm ist in Hamburg da, als die Identitären | |
im Hauptbahnhof mit einem schwarzen Banner im IS-Stil aufziehen, und er ist | |
in Mecklenburg-Vorpommerns Landeshauptstadt Schwerin, als die Identitären | |
das Grünen-Landtagsbüro stürmen. | |
## Wir sind hip, unangepasst, intellektuell | |
Er ist ein Angefixter, ein Getriebener, er eilt von Aktion zu Aktion, jede | |
muss die vorherige toppen, jede soll noch mehr Öffentlichkeit verschaffen. | |
Auf Twitter schreibt Timm über seine Ausflüge. Er beherrscht die | |
Kampfbegriffe, die sie im rechten Spektrum von Pegida bis NPD so gern | |
benutzen: deutscher „Schuldkomplex“, „Multikultis“, „Gutmenschen“. … | |
sächsischen Bautzen Flüchtlinge von Rechten durch die Stadt getrieben | |
werden, schreibt Timm: „Remigration – zu Land, zu Luft, zu Wasser, mir | |
egal“. | |
„Remigration“ – ein Kampfbegriff der Identitären. Ursprünglich in | |
Frankreich entstanden, bildete sich eine erste identitäre Gruppe 2010 in | |
Frankfurt am Main. Vier Jahre später ließen sich die Identitären in | |
Deutschland als Verein eintragen. Als „aktivistische Avantgarde der | |
schweigenden kritischen Masse“ sieht sie Vordenker Martin Sellner, als | |
„Jugend ohne Migrationshintergrund“. Das Aussehen soll diese Botschaft | |
stützen: Wir sind hip, unangepasst, intellektuell. | |
Die Identitären verkaufen T-Shirts mit dem Aufdruck „Reconquista“, ein | |
Begriff für die christliche Eroberung der Iberischen Halbinsel von ihren | |
muslimischen Herrschern im Mittelalter. Sie präsentieren sich auf Facebook | |
und Twitter, sie treten in immer engerer Taktung auf. Viele der | |
Kleinstaktionen dauern nur wenige Minuten – werden danach aber in umso | |
pathetischeren Videos verbreitet. | |
Mit den klassischen Neonazi-Demonstrationen und muffigen NPD-Saalrunden hat | |
das nichts mehr zu tun. Es ist die nächste Stufe der Modernisierung in der | |
rechten Szene. Schon die „Autonomen Nationalisten“ übernahmen vor einigen | |
Jahren linke Codes und Kleidung. Die Identitären gehen nun noch einen | |
Schritt weiter: Sie legen auch den militanten Gestus ab, präsentieren sich | |
mit Sonnenbrille und Nietzsche-Shirt und kopieren die Protesthappenings der | |
linken und alternativen Milieus. Es ist ein selbstbewusster, scheinbar | |
unbelasteter Rechtsradikalismus, der dabei entstehen soll. Einer, der sich | |
offener präsentiert, nicht martialisch abschrecken will, einer, bei dem | |
jeder mitmachen können soll. | |
## „Remigration“ klingt nur netter | |
Von den „Alten Rechten“ und „Rassisten“ grenzen sich die Identitären d… | |
auch ab. Man achte jede Ethnie und Kultur – nur eben da, wo sie hingehöre. | |
Das ist, in einem Satz zusammengefasst, das Konzept des Ethnopluralismus, | |
erfunden und vorangetrieben von der Neuen Rechten: ein moderner | |
Nationalismus, dessen Ausgrenzung über Kultur und Religion funktioniert. | |
Hassobjekt allen voran: der Islam. Die Identitären prophezeien den „großen | |
Austausch“. Angeblich werde Europa gezielt durch muslimische Einwanderer | |
„überflutet“, die einheimische Bevölkerung so „zersetzt“. Es ist ein | |
klassisches rechtsextremes Horrorszenario, auch die NPD propagiert den | |
„Volkstod“. Die „Remigration“, die Robert Timm fordert, sie ist nichts | |
anderes als das alte „Ausländer raus“. Das Wort klingt nur netter, | |
irgendwie wissenschaftlich. Tatsächlich aber sind sich die Nazis von | |
gestern und heute in ihren Anliegen ganz nah. | |
Seit August beobachtet der Bundesverfassungsschutz die Identitären in | |
Deutschland offiziell. „Es gibt Anhaltspunkte, dass sich die Aktivitäten | |
gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung richten“, sagt | |
Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen. Die Gruppe diffamiere | |
muslimische Zuwanderer, sie habe sich im Zuge der Flüchtlingsdebatte weiter | |
radikalisiert. Die „jugendgerechte Ansprache“ und „emotionale Propaganda�… | |
sei gefährlich. | |
Der Kreis der wirklich Aktiven bei den Identitären ist klein. Als sie im | |
Frühjahr zum „Deutschlandtreffen“ nach Thüringen luden, kamen 120 | |
Teilnehmer, die meisten jung und männlich. Als die Gruppierung im Juni in | |
Berlin demonstrierte, waren es kaum mehr. Zum Vergleich: Selbst die sieche | |
NPD bringt es auf über 5.000 Mitglieder. Die Identitären selbst behaupten, | |
sie hätten etwa 500 Anhänger. Auch um diese dünne Personaldecke zu | |
kaschieren, sind Identitäre wie Robert Timm so hyperaktiv. | |
## Alles wird gefilmt und online gestellt | |
Am Montagabend vor zwei Wochen sitzt Timm auf einem Podium im Saal des | |
Berliner Halong-Hotels, zentrale Hauptstadtlage, drei Sterne. Scheinwerfer | |
richten sich auf den Studenten, das Rechtsaußen-Magazin Compact hat zu | |
einer Diskussion über die Identitären geladen. Gut 60 Zuhörer sind | |
gekommen. Lächerlich sei die Beobachtung durch den Verfassungsschutz, sagt | |
Timm. „Wir sind Beweis genug, dass wir keine Verfassungsfeinde sind. Wir | |
werden weiter unseren Kurs fahren.“ Der Saal applaudiert. | |
Auf dem Podium sitzt ein prominenter Mitdiskutant: Martin Sellner. Der | |
Österreicher ist eigens angereist, hat die Ärmel seines Karohemdes | |
hochgekrempelt. Dann holt er zu einer Rede aus, spricht frei, hastig. Die | |
„große Völkerbewegung“ habe gerade erst begonnen. „Wir haben eure | |
Multikultiwelt satt, wir haben euren Schuldkult satt“, ruft Sellner. „Unser | |
Aufstand hat gerade erst begonnen.“ Wieder brandet Applaus auf. Robert Timm | |
lächelt. | |
Sellner ist das omnipräsente Gesicht der Identitären. Ein dauerlächelnder | |
Sonnyboy, kurzgescheitelte Haare und Hornbrille, ein Philosophiestudent und | |
Arztsohn, auch in Deutschland bei vielen größeren Aktionen dabei. „Man muss | |
das Eisen schmieden, solange es heiß ist“, sagt er. Als Jugendlicher hatte | |
Sellner Kontakt zu rechtsextremen Kameradschaftlern. Eine Jugendsünde, sagt | |
er. Heute tritt er eloquent auf, zitiert auch mal Heidegger. Und egal, was | |
er tut: Sellner filmt sich dabei, stellt dies ins Internet. Das „Gesicht | |
zeigen“ der Identitären – es ist hier ein Stück Selbstverliebtheit. | |
Den Vorwurf, verfassungsfeindlich zu sein, weist auch Sellner zurück. | |
Seiner Bewegung gehe es im Gegenteil darum, den Staat zu schützen. Und die | |
Aktionen seien stets gewaltfrei. Dagegen steht die Rhetorik der | |
Identitären. Die Versuche, von Flüchtlingen nach Europa zu kommen, sind für | |
sie eine „Invasion“, sie fordern eine „Festung Europa“ und eine | |
„Reconquista“ wie im Mittelalter. | |
## Stehen in Stasi-Uniform vor der Tür | |
Auch das Gruppensymbol, das Lambda, ist ein Teil ihrer Deutung von | |
Geschichte. Die Identitären sagen, es beziehe sich auf das Zeichen, welches | |
die spartanischen Krieger der Antike auf ihren Schildern getragen haben. | |
Die Spartaner hätten schon damals den Angriff von Fremden auf Europa | |
abgewehrt, den der Perser nämlich. Auch in der Gegenwart, so verkündet es | |
die Bewegung, gehe es wieder darum, das Abendland zu verteidigen, es gehe | |
um die „letzte Chance einer patriotischen Wende“. Mit den Identitären | |
„erhebt sich die letzte wehrhafte Generation“. Der Österreicher Sellner | |
fabuliert von einer „Maidanisierung“ Deutschlands, die Bürger würden eines | |
Tages wie in der Ukraine ihre Regierung vertreiben. | |
Simone Rafael von der Berliner Amadeu-Antonio-Stiftung, die über | |
Rechtsextremismus aufklärt, warnt vor den Inszenierungen der Identitären: | |
„Sie versuchen, völkisches und rassistisches Gedankengut wieder salonfähig | |
zu machen, diesmal nur mit einer Prise Popkultur.“ Die Gruppe werte | |
Minderheiten ab, auch sie wolle diese „letztlich nicht hier haben“. „Das | |
unterscheidet sich nicht vom klassischen Rechtsextremismus.“ | |
Die Stiftung, für die Rafael arbeitet, gehört zu den Zielen, gegen die sich | |
die Aktionen der Identitären richten. Seit Monaten werden die | |
Rechtsextremismusexperten von der Gruppe als „Denunzianten“ und | |
„Zensuragentur“ geschmäht, unter anderem deshalb weil sie Hass und | |
Rassismus im Internet benennen und versuchen, etwas dagegen zu tun. Eine | |
Handvoll Identitärer stand im Juli plötzlich vor der Tür der Stiftung, in | |
Stasi-Uniform. | |
Seit Jahren machen rechte Gruppen und Zeitungen wie die „Junge Freiheit“ | |
gegen die Chefin der Stiftung, Anetta Kahane mobil, weil sie in der DDR von | |
1974 bis 1982 als Inoffizielle Mitarbeiterin für das Ministerium für | |
Staatssicherheit gearbeitet hat. Kahane hatte das selbst wiederholt | |
angesprochen, ein Gutachten bescheinigt ihr, niemandem geschadet zu haben. | |
Aber ihre Vergangenheit eignet sich gut, um die Stiftung als Zensoren | |
darzustellen. | |
## „No Border“ wird zu „Pro Border“ | |
Einer der Uniformträger stand auch auf dem Brandenburger Tor: Hannes | |
Krünägel. Ein Rostocker, 27 Jahre alt, Student der Elektrotechnik, | |
Burschenschaftler. Auch Krünägel ist zu der Podiumsdiskussion nach Berlin | |
gekommen, er sitzt gleich in der ersten Zuhörerreihe vor Sellner und Timm, | |
schwarzes Hemd, kurze Haare. Die Diskussion wird von Jürgen Elsässer | |
moderiert, der lange für linke Medien geschrieben hat und inzwischen | |
Chefredakteur des rechtspopulistischen Magazins Compact ist. | |
Als Elsässer die Besetzer vom Brandenburger Tor begrüßt, sie als „Helden“ | |
preist, da erhebt sich auch Krünägel. Ein wenig schüchtern blickt er ins | |
applaudierende Publikum. Auch Krünägel reist für Identitären-Aktionen quer | |
durch die Republik, seit zwei Jahren schon, inzwischen ist er | |
„Regionalleiter“ in Mecklenburg-Vorpommern. „Ich glaube fest an eine | |
gesellschaftliche Wende in unserem Sinne“, sagt Krünägel später im | |
Hotelfoyer. „Mit jeder Aktion mehr.“ | |
Die Aktion bei der Amadeu-Antonio-Stiftung bezeichneten die Identitären im | |
Nachhinein als „satirische Intervention“. Wieder eine offene Anleihe von | |
der Gegenseite: Zuletzt war es das „Zentrum für Politische Schönheit“, das | |
mit selbsternannten „Interventionen“ ein breites Medienecho verursachte. | |
Die Künstler des Zentrums kündigten an, Flüchtlingsleichen vor dem | |
Kanzleramt zu beerdigen oder Asylsuchende von Tigern fressen zu lassen. Sie | |
protestierten damit für eine offenere Flüchtlingspolitik, eine neue Stufe | |
linker Aktionskunst. Die Identitären bedienen sich zumindestens schon | |
einmal am Vokabular. | |
Auf Demonstranten klauen sie Parolen der Linken: Aus deren „No Border, No | |
Nation“ machen die Identitären ein „Pro Border, Pro Nation“. Während die | |
Linken einst zu Elektromusik feierten und „Atomkraft wegbassen“ wollten, | |
heißt es bei den Identitären: „Multikulti wegbassen“. Seit Kurzem hat die | |
Gruppierung ihren eigenen Rapper, „Komplott“. „Macht kaputt, was euch | |
kaputt macht“, singt der – und bemächtigt sich der berühmten Liedzeile von | |
Rio Reiser. Nur diesmal mit der Klage über „Milliarden für Migranten“ und | |
„den ganzen Tag nur Homothemen“. | |
## Sie wollen eine rechte Kulturrevolution | |
Robert Timm sagt, „wir wären dumm, wenn wir nicht aus den Erfahrungen des | |
linken Aktivismus lernen würden“. Die Besetzung sei nur der Anfang gewesen. | |
Eine größere Aktion sei schon geplant – kleinere, „subtile“ ebenfalls. … | |
Martin Sellner nennt seine Identitären gern ein „patriotisches Greenpeace“. | |
Elsässer, der Compact-Chefredakteur, geht noch weiter. Jemanden wie Sellner | |
„gab es seit Rudi Dutschke nicht mehr“, sagt er in Berlin. Auf dem Podium | |
zeigt sich noch einer äußerst zufrieden: Götz Kubitschek. Es sei „extrem | |
gut gelaufen“ zuletzt für das „neurechte Widerstandsmilieu“, sagt der | |
46-Jährige. Trotz Verfassungsschutzbeobachtung der Identitären habe es | |
keine „Entsolidarisierung“ gegeben. „Die Leute haben einfach | |
weitergemacht.“ | |
Götz Kubitschek ist ein Mentor der Identitären – und Ideologe der | |
Neurechten. Im kleinen Schnellroda in Sachsen-Anhalt betreibt er auf einem | |
Rittergut das „Institut für Staatspolitik“, eine neurechte Denkfabrik, von | |
hier vertreibt er seine Szenezeitschrift Sezession. Einige Wochen lebte | |
auch Martin Sellner in Schnellroda. Zu Kubitscheks jährlicher | |
„Sommerakademie“ reisten vor zwei Wochen auch deutsche Identitäre an. | |
Kubitschek fordert schon seit Jahren eine Kulturrevolution von rechts – | |
auch mithilfe „subversiver Aktionen“ wie einst die 68iger. Er selbst ging | |
voran: Mit Gleichgesinnten stürmte er eine Tagung von linken Studenten in | |
Berlin, er störte Veranstaltungen von Günther Grass und Daniel Cohn-Bendit. | |
Nun folgen die Identitären. „Ziemlich egal, was ihr in dieser Richtung | |
macht“, sagt Götz Kubitschek in Berlin, „unsere Unterstützung habt ihr“. | |
## Halbe Distanzierung von NPD-Anhängern | |
Inzwischen haben die Identitären eigene Medien, zum Beispiel die Sendung | |
von Philipp Thaler auf YouTube. Auch er stand auf dem Brandenburger Tor, | |
auch er sitzt bei Jürgen Elsässers Podium in Berlin. „Wehrt euch“ steht a… | |
seinem grauen Shirt. | |
Thaler plaudert in seiner Onlinesendung mit Gesinnungskameraden, neben sich | |
eine Mate-Brause. Alles locker, alles ironisch, Thaler spricht über | |
WhatsApp und Fernbusse. Dann der Schwenk: Flüchtlinge, die | |
Amadeu-Antonio-Stiftung, die „Heuchler“ der Grünen. Thaler kommt aus Halle | |
in Sachsen-Anhalt, auch er ist Student und Burschenschaftler. Er gehört zu | |
einer der aktivsten Gruppen der deutschen Identitären – und einer der | |
radikalsten. „Kontrakultur“ nennen sie sich in Halle. Im Frühjahr mauerten | |
sie dort den Eingang eines Hauses zu, in dem Migranten eine Probewahl | |
abhalten sollten, und schrieben „No way“ auf die Mauersteine. An eine | |
Flüchtlingsunterkunft sprühten sie auf Arabisch: „Geht nach Hause“. Thale… | |
Identitäre gehen weiter als Robert Timm und die Berliner: Sie bleiben nicht | |
bei Symbolen – sie zielen direkt auf die Flüchtlinge. | |
Nur weil sie Neues zu bieten haben, verzichten die Identitären nicht auf | |
Bewährtes. Sie bieten Sommersonnenwendfeiern, Volksliederabende, Kampfsport | |
– der altbekannte, rechtsradikale Aktionskanon. Einige Identitäre waren | |
früher Mitglieder der NPD-Jugend. Einer von ihnen stand auch auf dem | |
Brandenburger Tor. Anders als Timm lehnt er ein Gespräch mit dem | |
Journalisten ab. | |
In einem älteren, internen „Aufbauplan“ der Identitären steht noch eine | |
halbe Distanzierung von NPD-Anhängern. Sie sollten nicht auf der | |
Führungsebene mitmachen dürfen, denn sie würden „der Gruppe mehr schaden�… | |
Ganz verzichten wollten Robert Timm und seine Truppe auf die Neonazis aber | |
noch nie. Wenn diese sich „von dieser Partei klar distanzieren“, seien sie | |
durchaus willkommen – so steht es in dem Dokument. Heute gilt nicht mal | |
mehr das Chefetagenverbot. Einer der bundesweit führenden | |
Identitären-Funktionäre schulte früher die NPD-Jugend und war in einer | |
Kameradschaft in Rostock. | |
## Die AfD distanziert sich | |
Die Identitären haben es mit dieser Flexibilität geschafft, sich weit zu | |
vernetzen. Ihre Fahnen wehten auf Pegida-Aufzügen, sie zeigen sich in | |
Burschenschaften, AfD-Abgeordnete sprachen auf ihren Veranstaltungen. | |
Zuletzt trat eine Identitären-Aktivistin, eine Lehramtsstudentin aus Halle, | |
als Sängerin bei der Wahlparty der AfD in Mecklenburg-Vorpommern auf. | |
Eigentlich wollte sich die AfD von den Identitären distanzieren – wohl aus | |
Vorsicht, nicht selbst in den Ruch des Verfassungsfeindlichen zu kommen. | |
Eine Zusammenarbeit werde es nicht geben, lautete ein Beschluss des | |
AfD-Bundesvorstands. Mitglieder dürften dem Netzwerk nicht angehören. | |
Prompt aber widersprach die Patriotische Plattform, ein Verbund weit | |
rechter AfDler: „Wir wünschen uns eine engere Zusammenarbeit zwischen | |
Identitärer Bewegung und AfD“, so ihre Erklärung. „Denn auch die AfD ist | |
eine identitäre Bewegung.“ | |
Robert Timm, Philipp Thaler und Hannes Krünägel freuen sich über solche | |
Sätze. Sie mögen nicht viele sein, aber sie fühlen sich gerade wie die | |
Popstars ihrer Szene. Schon kurz nachdem die Polizei sie vom Brandenburger | |
Tor holte, gab es eine Spendenkampagne. „Wir werden alle Kosten damit | |
decken können“, sagte Robert Timm. Und auch Sellner freut sich: „In ganz | |
Deutschland ist ein Fieber erwacht.“ Die Aktionen der Identitären seien | |
„das Leuchtfeuer“. | |
Das ist Wunschdenken. Der Kosmos, in dem sich die neurechten Aktivisten | |
bewegen, ist sehr klein. Es sind die immer gleichen Gesichter, die bei den | |
Aktionen der Identitären auftauchen. Aber macht sie das weniger gefährlich? | |
## Der Chef twittert „Je suis Bautzen“ | |
Im Vokabular der Identitären ist eine weitere Radikalisierung angelegt. | |
Bereits jetzt tragen sie mit zu einem Klima bei, in dem 2016 bereits mehr | |
als 500 fremdenfeindliche Gewalttaten hervorgebracht hat – nahezu eine | |
Verdoppelung zum Vorjahr. „Je suis Bautzen“, twitterte Anführer Martin | |
Sellner nach der Jagd auf Flüchtlinge in der sächsischen Stadt. | |
In der linken Szene verfolgen sie den Ideenklau der Rechten, sind aber | |
unsicher, wie sie damit umgehen sollen. Auf jeden Fall gestehen auch | |
Autonome den Identitären Professionalität zu. Und dass es bislang keine | |
ernsthafte Gegenwehr gebe, sei „nicht schönzureden“, hieß es vor einigen | |
Wochen auf einem linken Internetportal. Jemand anderes konterte, man dürfe | |
die „identitären Lappen auch nicht aufwerten“. Bisher bleibe deren Zahl | |
doch überschaubar. Mal sehen, wie die auf ernsthaften Gegenprotest | |
reagieren, das ist auch noch zu lesen. Die Identitären sind auch noch so | |
gut wie nie auf gewaltbereite Linke getroffen; sollte es dazu kommen, | |
könnte das ihre Anhänger entweder mobilisieren oder abschrecken. | |
Erste Versuche, sich zu wehren, gibt es. Als Götz Kubitschek und die | |
Identitären jüngst mit ihrer „Sommerakademie“ in Schnellroda tagten, | |
reisten 120 Linke an und demonstrierten. „Aufstehen gegen Rassismus“ stand | |
auf ihren Transparenten. „Konsequent gegen Neue Rechte.“ | |
Auf einer Mauer vor dem Tagungshaus schaute Martin Sellner lächelnd zu, | |
kurze Hose, getönte Sonnenbrille. Er beobachtete die Gegendemonstranten, | |
fotografierte sie mit einer Kamera. Dann wendete er das Objektiv, machte | |
ein Selfie vor den Demonstranten – und stellte es ins Internet. | |
4 Oct 2016 | |
## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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