# taz.de -- Kampf ums Gipfelkreuz: Über allen Gipfeln ist Unruh | |
> Ein Berg hatte binnen sechs Wochen drei Gipfelkreuze. Das erste wurde | |
> gefällt, das zweite von „Identitären“ inszeniert. Das dritte soll Fried… | |
> bringen. | |
Bild: Leider kein Heimatfilm: der Schafreiter mit dem Kreuz der „Identitären… | |
Bad Tölz taz | Am zweiten Oktobersonntag hat der erste Schnee die Berge und | |
die Tölzer Hütte erreicht. Auf dem kleinen Platz vor der Hütte, unterhalb | |
des Schafreitergipfels, wurde ein schlichter Holztisch zum Altar | |
umfunktioniert. Dahinter steht Franziskanerbruder Thomas in seiner Kutte, | |
die Stola flattert im Wind. Eine Gruppe von Bergfreunden und Zimmerleuten | |
steht mit ihm zur Bergmesse zusammen. | |
Fünfzig Hostien will der Bruder später ausgegeben haben. Die Tölzer | |
Stadtkapelle spielt mit eiskalten Fingern das Stück „Alles meinem Gott“. | |
Die Männer nehmen die Hüte ab. „Wir schaffen das!“, der kräftige | |
Franziskaner blickt in die Runde, dann in den Himmel. „Das Christentum ist | |
eine integrierende Religion. Wir lassen niemanden vor den Toren stehen, der | |
Hilfe braucht“, so der Bruder. „Kyrie eleison!“, antworten die Bergler auf | |
Griechisch. Bruder Thomas wird später zufrieden über den steilen Abhang | |
hinabschreiten. | |
Jetzt kann endlich wieder Ruhe einkehren auf dem 2.101 Meter hohen Gipfel | |
im Karwendelgebirge mit seinem neuen Kreuz aus massiver Eiche. Am letzten | |
Augustwochenende war das alte von einem Frevler zerstört worden. Spät in | |
der Nacht muss er aufgestiegen sein. Die steilen Passagen ganz oben hat er | |
nach etwa zwei Stunden erreicht. Nun wird der Steig alpin: Nackter Fels und | |
Geröll wechseln sich ab. Unter dem mächtigen Gipfelkreuz, 250 Kilogramm | |
schwer, hat er sich vermutlich noch einmal ausgeruht, Kräfte sammelnd für | |
seine Tat. | |
Was der Unbekannte nicht wusste: In jener Nacht hatten sich auch zwei junge | |
Frauen unterhalb des Gipfels ein schönes Plätzchen gesucht. Biwakieren | |
wollten sie dort, friedlich unter Sternen schlummern. Doch stattdessen | |
wurden sie urplötzlich von schauerlichen Geräuschen geweckt: Zwei Stunden | |
lang ein dumpfes Hacken, weit über der Baumgrenze. Die beiden Frauen | |
ahnten, dass es der „Kreuzhacker“ sein könnte, der unlängst schon zwei | |
Gipfelkreuze umgelegt hatte. Eine Sennerin hatte ihn Wochen zuvor | |
beobachtet, am Prinzkopf, einem Nachbargipfel. „Wie ein wildes Tier“ sei | |
der Unbekannte zugange gewesen. | |
## Ein schwer angeschlagenes, christliches Symbol | |
Die Freundinnen harrten aus. Am Morgen, gegen halb sieben, wagen sie sich | |
schließlich auf den Gipfel. Tatsächlich, er war es, der Kreuzhacker! Schwer | |
angeschlagen hängt das christliche Symbol in seiner Verankerung. | |
Der Täter ist derweil längst zurück im Tal. Bald wird man ihn suchen. Denn | |
von den Almen verbreiten sich die Geschichten schnell ins Tal und in die | |
Stadt – Bad Tölz. Dort ist Walter Mayer seit 40 Jahren im Dienst der | |
Polizei, der stellvertretende Dienststellenleiter. „Eine sonderbare Sache“, | |
findet er. „Was will uns der Mann damit sagen?“ | |
Man könnte die Geschichte damit auf sich beruhen lassen. Man könnte sie | |
abtun als ein Paradestück bayerischen Volkstheaters, gäbe es nicht einen | |
ernsten Hintergrund. Nämlich die Auseinandersetzung darüber, was Heimat ist | |
und wer die Deutungshoheit über diesen schwierigen Begriff erlangt: die | |
gutmeinenden Traditionalisten und Patrioten, die zwar auf „Tschüss-freien | |
Zonen“ bestehen, ansonsten aber nach der bayerischen Maxime des | |
Leben-und-leben-Lassens denken und handeln. Oder aber die Jungen und | |
zugleich Ewiggestrigen, die unter dem Feigenblättchen der Heimatliebe | |
düsteres Gedankengut verbreiten wollen. | |
## Ganghofers Revier | |
Der Tatort, der Schafreiter, ist ein breitschultriger Zweitausender. Stolz | |
und solitär ruht er im Vorkarwendel, 80 Kilometer von München entfernt. Ein | |
Bild von einem Berg, wie aus einem Heimatfilm: würzig duftendes | |
Kieferngewächs, imposante Wasserfälle, Almvieh, Gämsen und steilen Fels | |
bietet er auf. Der legendäre Ludwig Ganghofer ließ seinen Roman „Jäger vom | |
Fall“ in dieser bayerischen Urlandschaft spielen. Dabei ist das Gelände so | |
wild, dass sich noch immer Bergsteiger auf ihm verlaufen. | |
Wer könnte der „Kreuzhacker“ sein? Was ist sein Motiv? | |
Polizeidienststellenleiter Mayer hat sich kundig gemacht. Es gebe die | |
Schweizer Freidenkerbewegung, sagt er. Deren Mitglieder seien der Meinung, | |
dass es sich bei Bergen um öffentlichen Raum handle und keine Kreuze dort | |
hingehörten. In den lokalen Medien kommt derweil Reinhold Messner zu Wort, | |
weil der Südtiroler immer zu Wort kommt, wenn ein Berg im Spiel ist. Auch | |
er findet Gipfelkreuze unnötig. Die bestehenden sollen aber ruhig bleiben | |
dürfen. | |
Eine Woche nach der Tat – die Kirche müht sich gerade mit Reinhold Messners | |
Aussage ab und die Tölzer Polizeibeamten beschäftigen sich mit den Medien – | |
stemmen plötzlich stramme Burschen aus Bayern und Tirol ein neues Kreuz auf | |
den Schafreiter. Zu kurzen Lederhosen und Hüten tragen sie lässige | |
T-Shirts, sagen anständig „Grüß Gott!“ und seien auch sonst recht | |
manierlich gewesen, erzählen die Almhirten später. | |
## „Identitäre“ okkupieren den Gipfel | |
Ihr Kreuz ist nicht allzu schwer, sodass es fotogen geschultert werden | |
kann. Überhaupt entstehen viele schöne Bilder von jungen Männern mit Bergen | |
im Hintergrund. Und auch von ihrem Kreuz, wie es recht schräg aufgestellt | |
wird, gesäumt von einer bayerischen und einer Tiroler Fahne, sowie dem | |
anschließenden fröhlichen Beisammensein mit Bier und Schnaps. | |
Ein Unbekannter, der ein Kreuz fällt, und Unbekannte, die bald darauf ein | |
neues aufstellen. Zumindest ist das Aufstellen von Kreuzen keine Straftat, | |
stellt Polizist Walter Mayer in Bad Tölz fest. Wer aber diejenigen gewesen | |
sind, das wüssten die Polizei und auch der Deutsche Alpenverein schon | |
gerne. Des Rätsels Lösung lässt nicht lange auf sich warten. Stolz | |
verkündet die „Identitäre Bewegung“, dass sie sich der Sache angenommen | |
habe; betrübt ob der Vorstellung, auf dem Gipfel kein Kreuz zu wissen. Für | |
ihre Tat erhalten sie Lob von den Einheimischen. „Saubere Burschen“ seien | |
das, so lautet der Tenor in Leserbriefen des Tölzer Kuriers. | |
„Fernab der Zivilisation können wir uns auf die wesentlichen Inhalte | |
unseres Kampfes konzentrieren“, postuliert die Gruppe auf ihrer | |
Facebookseite. „Die natürliche Schönheit unserer Heimat ist die Quelle | |
unserer Kraft und das Band unserer Gemeinschaft.“ „Volltreffer in der | |
Kommunikation“, kommentiert die Tölzer Polizei. Die ist aber für das | |
„identitäre Gipfelkreuz“ nicht weiter zuständig. Sondern die Kripo, denn | |
die „Identitären“ werden vom Verfassungsschutz beobachtet. | |
## Ein rotwangiges junges Mädel mit Zopf | |
In einem Videopost der „Identitären Bayern“ proklamiert ein rotwangiges | |
junges Mädel mit Zopf: „Der Staat greift nach den Seelen unserer Kinder.“ | |
Ein weiteres Video zeigt die „Sektion Jahn“ beim Wehrsport: Junge Männer | |
mit Lodenhosen in Begleitung eines Jagdhundes, die sich im tannengrünen | |
Walde ertüchtigen. Man wünsche sich „opferbereite, junge Aktivisten, die | |
bereit sind, ihre Heimat zu verteidigen“, heißt es. | |
Tapfer pariert ein Redakteur des Tölzer Kuriers, „es sei nicht egal, wer | |
ein Kreuz auf einem Gipfel aufstellt“. Daraufhin erhält er einen Korb mit | |
Fressalien in die Redaktion geliefert, der sofort gespendet wurde. Man sei | |
eben so kreativ „wie Greenpeace“, sagt einer ihrer Sprecher, mit schwarzer | |
Brille und Wiener Akzent. | |
Unterdessen geht in München die fünfte Jahreszeit zu Ende. Madln und | |
Burschen brezeln sich für den letzten Samstag auf dem Oktoberfest gehörig | |
auf. Dirndl, Lederhose und Gründerzeitfrisuren gehören wie | |
selbstverständlich dazu. Bäuerlich gibt sich der Banker, fesch wie ein | |
Jäger der Werber, lieblich die Controllerin. | |
## Das dritte Kreuz | |
Zur selben Zeit ziehen die Bergfreunde der Tölzer Sektion des Deutschen | |
Alpenvereins vergnügt Richtung Schafreiter, mit dabei ein neues Kreuz, ihr | |
Kreuz, 180 Kilogramm schwer. Das „identitäre“ Ersatzkreuz soll wieder | |
verschwinden. Die Zimmerleute tragen ihre Arbeitshosen, und wer einen Hut | |
hat, setzt ihn auf. Ohne großes Aufhebens hat der Verein gut gelagertes | |
Eichenholz aufgetrieben, welches gespendet wurde. Berufsschüler haben | |
daraus ein Kreuz gefertigt, und das wird jetzt aufgestellt. | |
Vorsorglich hat der ehrenamtliche Wegebauer des Alpenvereins noch einmal | |
über die Kante gehobelt, die Träger des neuen Gipfelkreuzes sollen sich | |
nicht die Haut aufreißen. Paul Schenk, der heitere Vorsitzende des | |
Alpenvereins Tölz, der im Hauptberuf bei der Bergwacht arbeitet, freut sich | |
über die mitgebrachte Brotzeit der Damen. „Wenn der Kreuzhacker sieht, wie | |
wir uns hier plagen, wird er sicher nicht noch mal zuschlagen, das wird er | |
uns nicht antun wollen“, glaubt Schenk. | |
Doch vielleicht wetzt irgendwo da draußen schon wieder jemand seine Axt. | |
12 Oct 2016 | |
## AUTOREN | |
Sandra Freudenberg | |
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