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# taz.de -- Schließung von Geburtsstationen: Kein Platz für Schwangere
> 1,8 Millionen Euro Zuschuss jährlich erwartet die Asklepios-Klinik in Bad
> Tölz vom Landkreis. Ein Experte spricht von „Erpressung“.
Bild: Bald kein Babygeschrei mehr? Die Asklepios-Stadtklinik in Bad Tölz
Bad Tölz taz | In der kleinen Dachgeschosswohnung, in der Steffi mit ihrem
Freund und den zwei Kindern lebt, duftet es nach Essen. Miniaturausgaben
von Traktoren, Holzrückewagen und Güllefässern stehen ordentlich geparkt im
Wohnzimmer. Es ist Abend, die beiden Kleinen sind im Bett und die
Hochschwangere wischt den Holztisch in der Küche noch blanker. In der
Schreinerwerkstatt des Vaters, unterhalb der Wohnung, brennt noch Licht.
Steffi wohnt in Gaißach, einem weitläufigen Weiler, reich an alten
Bauernhäusern mit viel Grünland drumherum. Die Rinder werden im Mai
ausgetrieben und etwas später geht das Jungvieh auf die umliegenden Almen,
samt Sennerin oder Senner. Steffi ist eine gute Skifahrerin, geht gern in
die Berge und bald wird sie als Jungbäuerin in die Landwirtschaft der
Schwiegereltern eintreten, der jüngste Bruder ihres Mannes wird bei ihnen
leben.
Nach Süden haben die Gaißacher den Blick auf die schneegekrönten
Alpengipfel, die als Motiv für Touristenbroschüren verwendet werden, um
Gäste in die Fremdenzimmer zu locken. Zwei Kilometer nördlich liegt Bad
Tölz.
Heute hat Steffi einen Serienbrief der Asklepios-Klinik Bad Tölz erhalten,
in dem steht, dass sie in der Klinik nur noch bis zum 28. März 24 Uhr
angenommen werden könne. Danach jedoch nicht mehr. Die Entbindungsabteilung
schließt. „Der errechnete Geburtstermin ist der 27. März“, sagt Steffi.
Vorsichtshalber hat sie sich in der nächstgelegenen Klinik angemeldet, 25
Minuten mit dem Auto entfernt. „Aber dort kenne ich weder die Hebammen noch
die Ärzte. Und meine Familie und ich, wir sind alle in Tölz geboren.“
## Das Personal reicht nicht
In den letzten Jahren haben sich ein Drittel der Schwangeren im Landkreis
nicht für die nahe gelegene Asklepios-Klinik entschieden. Die
Geburtenzahlen gingen zurück und die Führung des Konzerns teilt überdies
mit, es sei ihr für 2017 nicht gelungen, für ausreichendes ärztliches
Personal auf der Geburtsstation zu sorgen.
Zu wenig qualifiziertes Personal, zu wenig Geburten – kurzum, der Konzern
will die Geburtsstation so nicht weiterbetreiben. 550 Kinder würden im Jahr
in Bad Tölz geboren. Günter Neubauer vom Institut für Gesundheitsökonomie
in München ist der Ansicht, dass ab 1.000 Geburten pro Jahr eine Station
sicher arbeite, ab 700 sei eine Klinik für Eventualfälle gut gerüstet. Als
Ausgleich für die jährlichen Verluste erwartet der Klinikkonzern, der die
Klinik im Jahr 2002 übernommen hat, vom Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen
nun eine Summe von 1,8 Millionen Euro jährlich.
Der langjährige Belegarzt Stephan Krone hat inzwischen seinen Vertrag
beendet. Als Belegarzt ist Krone niedergelassener Arzt, der als Gynäkologe
bei Entbindungen in der Klinik praktiziert. Krones Arbeitsbelastung war
hoch, er selbst sprach von einer „Doppel- und Dreifachbelastung“, seine
private Haftpflichtversicherung betrug etwa 50.000 Euro, und er war
frustriert, weil keine neuen Ärzte eingestellt wurden.
## Geburtshilfe ist Handwerk
Ein Arzt kommt gerade aus dem Kreißsaal, begleitet vom Geschrei eines
Neugeborenen. „Der Doktor ist nicht ansprechbar“, wiegelt Hebamme Martina
Winkler ab, die mit ihm heute Nacht drei Geburten betreute. „Der ist fix
und fertig.“ Ihr selbst scheint die Nacht weniger Kraft gekostet zu haben.
Sie hat die Ausstrahlung einer Frau, die hinlangen kann, viel an der
frischen Luft ist und sich über jedes neue Zwackerl, dem sie auf die Welt
verhilft, herzlich freuen kann.
Aber die 50-Jährige ist sauer, und ihre Kollegin Doris Wallé ist es auch.
„Die Experten meinen ja, dass, wenn man weniger als 500 Geburten im Jahr
hat, die Qualität der Klinik fraglich sei“, klagt Wallé. „Aber wissen sie
was? Ich guck’ jede Stunde nach meinen Frauen, persönlich, nicht auf den
Monitor“, sagt die erfahrene Hebamme. „Bei uns ist low tech – high touch.
Sensibel sein, über langjährige Erfahrung verfügen, Geburtshilfe sei eben
Handwerk, versucht Wallé zu erklären. „Das Gesamtbild, dass kann man nicht
messen, aber einschätzen. Und damit ging’s unseren Müttern und Kindern hier
immer recht gut.“
Bernard große Broermann ist Gründer und Gesellschafter des Klinikverbunds
Asklepios. Wie dem Geschäftsbericht zu entnehmen ist, lag der Gewinn des
Konzerns 2015 vor Steuern bei 374 Millionen Euro. Zu Broermanns Vermögen
gehören nicht nur Anteile am Klinikkonzern, sondern auch Anteile am
Luxushotel Atlantic in Hamburg und anderen Fünf-Sterne-Hotels. In einem
Interview erzählte er einmal, dass er selbst auf einem Bauernhof im
Oldenburgischen aufgewachsen sei, wo er gelernt habe, unternehmerisch und
eigenständig tätig zu sein. Zu den schönsten Tagen seines Lebens hätten die
Geburt seiner Kinder gehört.
## Ein anderer Träger als Lösung?
Die Asklepios-Klinikleitung in Bad Tölz hat inzwischen ein Konzept
vorbereitet, in dem sie darlegt, was notwendig sei, damit die
Geburtsabteilung eine Zukunft hat. Eine wesentliche Rolle spielt dabei der
„Sicherstellungszuschuss“ von 1,8 Millionen Euro jährlich, den der Kreistag
zusagen müsste. Dann würde die Asklepios-Klinikleitung, die selbst immer
nur von einer „vorübergehenden Schließung“ spricht, gemeinsam mit
umliegenden Kliniken eine Lösung erarbeiten. Die Rede ist dabei vom Aufbau
einer gemeinsamen Hauptabteilung für Geburtshilfe und Gynäkologie. Und dann
würde man auch eine notwendige Anzahl an Personal fest anstellen.
Eine Zukunft nur bei Zusicherung von 1,8 Millionen Euro – für
Gesundheitsökonom Günter Neubauer ist dieser Vorschlag unannehmbar. Und
Matthias Beckmann, Direktor der Frauenklinik Erlangen, findet die Situation
gar „erpresserisch“. Beide Experten favorisieren die Stärkung des Standorts
unter einem anderen Träger oder die Kooperation mit einer Partnerklinik. Am
24. März werden die 60 Kreisräte darüber abstimmen, ob der
Millionenzuschuss gewährt wird. Doch nach einer Sitzung im Kreisausschuss
am vergangenen Freitag ist die Wahrscheinlichkeit noch gesunken, dass die
Mehrheit der Kreisräte zustimmt.
In den vergangenen Wochen und Monaten hat es Informationsveranstaltungen
und Proteste gegen die beabsichtigte Schließung gegeben – von der Grünen
Jugend bis zur Jungen Union. Mütterinitiativen machen mit Aktionen auf die
Situation aufmerksam. Es gab eine Onlinepetition mit Tausenden
Unterstützern, vor der Klinik initiierten Demonstranten eine Lichterkette,
damit auch in Zukunft in Bad Tölz Kinder geboren werden.
## Kinderreiche Familien
Entlegener und damit auch idyllischer als die Gemeinde Jachenau, die sich
an den Walchensee anschmiegt, ist kaum ein anderer Ort in Bayern. Hier
haben die Familien oft viele Kinder. Vier, fünf Geschwister sind keine
Seltenheit. Schwangere aus dieser Gemeinde hätten den weitesten Weg im
Landkreis zur Entbindungsklinik zu bewältigen, würde die Tölzer Station
Ende des Monats schließen. Eine Mutter mit fünf Kindern sieht es
pragmatisch. Sie ist sowieso lieber in die Universitätsklinik nach München
gefahren, sagt sie. Eine junge Frau hat sich in der Klinik in
Garmisch-Partenkirchen angemeldet.
„Die haben da auch einen festen Kinderarzt. So etwa hat Bad Tölz nicht.“
Garmisch – das bedeutet knapp eine Stunde Fahrt, bei Stau oder schlechtem
Wetter deutlich länger. Zweifellos ein Risiko. Aber die Menschen aus der
Jachenau haben gelernt, mit ihrer Situation umzugehen. Im Zweifelsfall
verlassen sie sich auf sich selbst.
Und so erzählt Bürgermeister Georg Riesch, 60 Jahre alt, dass es
Jachenauern schon häufiger passiert ist, dass sie ihr Kind auf dem Weg zur
Klinik zur Welt brachten. „Ma braucht a Glück im Leben, auch bei der
Geburt.“
23 Mar 2017
## AUTOREN
Sandra Freudenberg
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Lesestück Recherche und Reportage
Geburtshilfe
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