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# taz.de -- Aktionen der „Identitären Bewegung“: Verstecken? Die Zeiten si…
> Aktivisten der „Identitären Bewegung“ wollen die Popstars der rechten
> Szene sein. Ihre radikalen Aktionen klauen sie von den Linken.
Bild: Wollen die Aufmerksamkeit: „Identitäre Bewegung“ im August 2016 auf …
Berlin taz | Und dann steht Robert Timm auf dem Brandenburger Tor. Ein
leichter Wind zerrt an seinem weinroten Hemd, der Himmel ist wolkenlos
blau. Timm blickt hinunter auf die ameisenkleinen Touristen, er sieht den
Berliner Fernsehturm und die Baukräne über den Häuserdächern. Dann entrollt
er mit den elf anderen ein weißes Banner. „Grenzen schützen, Leben retten�…
Die Menschen unten machen Fotos. Einige buhen, rufen „Nazis raus“. Robert
Timm knipst Bilder mit seinem Handy. Er verschickt einen Tweet: „Stehe
gerade auf dem Brandenburger Tor.“ Neben ihm entzündet ein Mitstreiter eine
Leuchtfackel, ein anderer schwenkt eine schwarze Fahne, darauf ein Winkel
mit der Spitze nach oben, der griechische Buchstabe Lambda in Gelb. Das
Symbol der Identitären. Timms Identitäre.
Es ist die Polizei, die der Aktion ein Ende setzt. Mann für Mann holen sie
vom Brandenburger Tor und sammeln die lange Sprossenleiter ein, auf der die
Identitären nach oben geklettert sind. Als Timm und die anderen nach sechs
Stunden wieder freigelassen werden, machen sie ein Gruppenfoto vor der
Polizeistation und stellen es ins Internet, Timm hockt sich in die erste
Reihe. Es ist der letzte Akt der Protest-PR. Verstecken? Diese Zeit ist
vorbei.
„Wir müssen Gesicht zeigen“, sagt Martin Sellner. Sellner ist 27 Jahre alt,
wohnt in Wien und tritt als der Chef der österreichischen Identitären auf –
und als ihr Stratege. Im Nachbarland sorgen die Jungrechten schon länger
für größeres Aufsehen. Das wollen sie auch in Deutschland.
Die Aktion vom Brandenburger Tor, Ende August, war ihre spektakulärste.
Danach sprengten die Identitären eine Radio-Livesendung des Publizisten
Jakob Augstein im Berliner Maxim Gorki Theater. „Heuchler“, schrien sie in
den Saal, bis sie rausgeschmissen wurden. Sie besetzten den Balkon der
SPD-Bundeszentrale in Berlin, stellten ein Gipfelkreuz in den bayrischen
Alpen auf oder stürmten eine Veranstaltung des Grünen-Chefs Cem Özdemir.
## Das ist alles nur geklaut
Es sind Sponti-Aktionen, geklaut aus dem linken Protestrepertoire.
Inszenierte Provokationen an symbolträchtigen Plätzen, mit Bannern und
Bengalos, im Anschluss medial klickträchtig aufbereitet. Vor fünf Jahren
waren es noch die Umweltschützer von Greenpeace, die auf dem Brandenburger
Tor standen und Banner gegen Atomkraft entrollten. Nun sind es die
rechtsextremen Identitären.
Keine Gruppe aus der rechten Szene ist derzeit öffentlich präsenter als sie
– und doch ist ihr Bild unscharf. Wer sind diese Aktivisten, die aussehen
wie Hipster-Studenten mit Undercut und Tattoos? Wie gehen sie vor? Wer
einen Blick auf die Leute vom Brandenburger Tor wirft, für den erhält
dieses Bild Konturen. Dort oben stand ein Querschnitt der Identitären.
Die Sache mit der Besetzung hatte sich die Berliner Gruppe um Robert Timm
ausgedacht. Timm sagt, sie hätten sich die Greenpeace-Klettertour genau
angeschaut und dass sich seine Leute bei der anderen politischen Seite
bedienen. „Es ist nicht alles schlecht, was die Linken machen“, sagt der
25-Jährige.
Robert Timm sitzt am Montagmittag in einem italienischen Café in
Berlin-Mitte, nippt an einer Cola. Über den Bürgersteig schlendern
Studenten, die Humboldt-Universität ist gleich nebenan. Timm fällt hier
nicht auf. Hornbrille, opulenter Bart, Hemd und Sneakers. Timm selbst
studiert Architektur in Cottbus, einer Stadt in Brandenburg, 140 Kilometer
südöstlich von Berlin. Momentan aber macht er vor allem eines: Aktionen für
die Identitären.
## Timm legte einen schnellen Aufstieg hin
Auch Timm bewegte sich einmal unter Linken. Er ist aufgewachsen im Osten
Berlins, in einem linken, DDR-geprägten Elternhaus. Als Jugendlicher
sprayte er Graffitis, sympathisierte mit der Antifa, ging auf den 1. Mai in
Kreuzberg. Dann sei er auf ein Oberstufenzentrum in den Stadtteil
gewechselt, war umgeben von Migranten. Der Beginn einer Entfremdung: Für
diese Mitschüler hätten Sonderregeln gegolten, selbst als sie einen
jüdischen Zeitzeugen beleidigten, habe das keine Folgen gehabt. So
behauptet es Timm.
Auf der Suche nach einer neuen politischen Heimat sei er im Internet auf
die Videos von Martin Sellner gestoßen, dem Identitären aus Österreich.
Seit diesem April macht Timm selbst mit: in der Berliner Regionalgruppe des
Netzwerks, 30 Leute stark. Er legte einen schnellen Aufstieg hin, heute
gehört er zur Führungsriege. Als Sellner kürzlich in Berlin zu Gast war,
übernachtete er in der Berliner Wohnung, die Robert Timm noch hat.
Dass Timm mit der taz spricht, ist Teil der Imagepflege der Identitären:
Die Gruppe schickt ihre eloquenten, freundlichen Köpfe voran, Robert Timm
passt zur „Gesicht zeigen“-Strategie von Martin Sellner. Er spricht ruhig,
überlegt, die Hände liegen gefaltet auf dem Tisch. Das ist die eine Seite.
Es gibt eine andere: die aktivistische. Zuletzt war kaum einer der
Identitären so viel unterwegs wie Timm. Auf dem Brandenburger Tor stand er.
Als Bundeskanzlerin Angela Merkel im Berliner Landeswahlkampf auftrat,
mischte er sich mit seinen Leuten unter das Publikum, skandierte „Merkel
muss weg“. Als die Identitären Jakob Augstein im Theater beschimpften, war
Robert Timm dabei. Als sie im Juni bundesweit zur Demonstration nach Berlin
riefen, lief er als Ordner mit. Timm ist in Hamburg da, als die Identitären
im Hauptbahnhof mit einem schwarzen Banner im IS-Stil aufziehen, und er ist
in Mecklenburg-Vorpommerns Landeshauptstadt Schwerin, als die Identitären
das Grünen-Landtagsbüro stürmen.
## Wir sind hip, unangepasst, intellektuell
Er ist ein Angefixter, ein Getriebener, er eilt von Aktion zu Aktion, jede
muss die vorherige toppen, jede soll noch mehr Öffentlichkeit verschaffen.
Auf Twitter schreibt Timm über seine Ausflüge. Er beherrscht die
Kampfbegriffe, die sie im rechten Spektrum von Pegida bis NPD so gern
benutzen: deutscher „Schuldkomplex“, „Multikultis“, „Gutmenschen“. …
sächsischen Bautzen Flüchtlinge von Rechten durch die Stadt getrieben
werden, schreibt Timm: „Remigration – zu Land, zu Luft, zu Wasser, mir
egal“.
„Remigration“ – ein Kampfbegriff der Identitären. Ursprünglich in
Frankreich entstanden, bildete sich eine erste identitäre Gruppe 2010 in
Frankfurt am Main. Vier Jahre später ließen sich die Identitären in
Deutschland als Verein eintragen. Als „aktivistische Avantgarde der
schweigenden kritischen Masse“ sieht sie Vordenker Martin Sellner, als
„Jugend ohne Migrationshintergrund“. Das Aussehen soll diese Botschaft
stützen: Wir sind hip, unangepasst, intellektuell.
Die Identitären verkaufen T-Shirts mit dem Aufdruck „Reconquista“, ein
Begriff für die christliche Eroberung der Iberischen Halbinsel von ihren
muslimischen Herrschern im Mittelalter. Sie präsentieren sich auf Facebook
und Twitter, sie treten in immer engerer Taktung auf. Viele der
Kleinstaktionen dauern nur wenige Minuten – werden danach aber in umso
pathetischeren Videos verbreitet.
Mit den klassischen Neonazi-Demonstrationen und muffigen NPD-Saalrunden hat
das nichts mehr zu tun. Es ist die nächste Stufe der Modernisierung in der
rechten Szene. Schon die „Autonomen Nationalisten“ übernahmen vor einigen
Jahren linke Codes und Kleidung. Die Identitären gehen nun noch einen
Schritt weiter: Sie legen auch den militanten Gestus ab, präsentieren sich
mit Sonnenbrille und Nietzsche-Shirt und kopieren die Protesthappenings der
linken und alternativen Milieus. Es ist ein selbstbewusster, scheinbar
unbelasteter Rechtsradikalismus, der dabei entstehen soll. Einer, der sich
offener präsentiert, nicht martialisch abschrecken will, einer, bei dem
jeder mitmachen können soll.
## „Remigration“ klingt nur netter
Von den „Alten Rechten“ und „Rassisten“ grenzen sich die Identitären d…
auch ab. Man achte jede Ethnie und Kultur – nur eben da, wo sie hingehöre.
Das ist, in einem Satz zusammengefasst, das Konzept des Ethnopluralismus,
erfunden und vorangetrieben von der Neuen Rechten: ein moderner
Nationalismus, dessen Ausgrenzung über Kultur und Religion funktioniert.
Hassobjekt allen voran: der Islam. Die Identitären prophezeien den „großen
Austausch“. Angeblich werde Europa gezielt durch muslimische Einwanderer
„überflutet“, die einheimische Bevölkerung so „zersetzt“. Es ist ein
klassisches rechtsextremes Horrorszenario, auch die NPD propagiert den
„Volkstod“. Die „Remigration“, die Robert Timm fordert, sie ist nichts
anderes als das alte „Ausländer raus“. Das Wort klingt nur netter,
irgendwie wissenschaftlich. Tatsächlich aber sind sich die Nazis von
gestern und heute in ihren Anliegen ganz nah.
Seit August beobachtet der Bundesverfassungsschutz die Identitären in
Deutschland offiziell. „Es gibt Anhaltspunkte, dass sich die Aktivitäten
gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung richten“, sagt
Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen. Die Gruppe diffamiere
muslimische Zuwanderer, sie habe sich im Zuge der Flüchtlingsdebatte weiter
radikalisiert. Die „jugendgerechte Ansprache“ und „emotionale Propaganda�…
sei gefährlich.
Der Kreis der wirklich Aktiven bei den Identitären ist klein. Als sie im
Frühjahr zum „Deutschlandtreffen“ nach Thüringen luden, kamen 120
Teilnehmer, die meisten jung und männlich. Als die Gruppierung im Juni in
Berlin demonstrierte, waren es kaum mehr. Zum Vergleich: Selbst die sieche
NPD bringt es auf über 5.000 Mitglieder. Die Identitären selbst behaupten,
sie hätten etwa 500 Anhänger. Auch um diese dünne Personaldecke zu
kaschieren, sind Identitäre wie Robert Timm so hyperaktiv.
## Alles wird gefilmt und online gestellt
Am Montagabend vor zwei Wochen sitzt Timm auf einem Podium im Saal des
Berliner Halong-Hotels, zentrale Hauptstadtlage, drei Sterne. Scheinwerfer
richten sich auf den Studenten, das Rechtsaußen-Magazin Compact hat zu
einer Diskussion über die Identitären geladen. Gut 60 Zuhörer sind
gekommen. Lächerlich sei die Beobachtung durch den Verfassungsschutz, sagt
Timm. „Wir sind Beweis genug, dass wir keine Verfassungsfeinde sind. Wir
werden weiter unseren Kurs fahren.“ Der Saal applaudiert.
Auf dem Podium sitzt ein prominenter Mitdiskutant: Martin Sellner. Der
Österreicher ist eigens angereist, hat die Ärmel seines Karohemdes
hochgekrempelt. Dann holt er zu einer Rede aus, spricht frei, hastig. Die
„große Völkerbewegung“ habe gerade erst begonnen. „Wir haben eure
Multikultiwelt satt, wir haben euren Schuldkult satt“, ruft Sellner. „Unser
Aufstand hat gerade erst begonnen.“ Wieder brandet Applaus auf. Robert Timm
lächelt.
Sellner ist das omnipräsente Gesicht der Identitären. Ein dauerlächelnder
Sonnyboy, kurzgescheitelte Haare und Hornbrille, ein Philosophiestudent und
Arztsohn, auch in Deutschland bei vielen größeren Aktionen dabei. „Man muss
das Eisen schmieden, solange es heiß ist“, sagt er. Als Jugendlicher hatte
Sellner Kontakt zu rechtsextremen Kameradschaftlern. Eine Jugendsünde, sagt
er. Heute tritt er eloquent auf, zitiert auch mal Heidegger. Und egal, was
er tut: Sellner filmt sich dabei, stellt dies ins Internet. Das „Gesicht
zeigen“ der Identitären – es ist hier ein Stück Selbstverliebtheit.
Den Vorwurf, verfassungsfeindlich zu sein, weist auch Sellner zurück.
Seiner Bewegung gehe es im Gegenteil darum, den Staat zu schützen. Und die
Aktionen seien stets gewaltfrei. Dagegen steht die Rhetorik der
Identitären. Die Versuche, von Flüchtlingen nach Europa zu kommen, sind für
sie eine „Invasion“, sie fordern eine „Festung Europa“ und eine
„Reconquista“ wie im Mittelalter.
## Stehen in Stasi-Uniform vor der Tür
Auch das Gruppensymbol, das Lambda, ist ein Teil ihrer Deutung von
Geschichte. Die Identitären sagen, es beziehe sich auf das Zeichen, welches
die spartanischen Krieger der Antike auf ihren Schildern getragen haben.
Die Spartaner hätten schon damals den Angriff von Fremden auf Europa
abgewehrt, den der Perser nämlich. Auch in der Gegenwart, so verkündet es
die Bewegung, gehe es wieder darum, das Abendland zu verteidigen, es gehe
um die „letzte Chance einer patriotischen Wende“. Mit den Identitären
„erhebt sich die letzte wehrhafte Generation“. Der Österreicher Sellner
fabuliert von einer „Maidanisierung“ Deutschlands, die Bürger würden eines
Tages wie in der Ukraine ihre Regierung vertreiben.
Simone Rafael von der Berliner Amadeu-Antonio-Stiftung, die über
Rechtsextremismus aufklärt, warnt vor den Inszenierungen der Identitären:
„Sie versuchen, völkisches und rassistisches Gedankengut wieder salonfähig
zu machen, diesmal nur mit einer Prise Popkultur.“ Die Gruppe werte
Minderheiten ab, auch sie wolle diese „letztlich nicht hier haben“. „Das
unterscheidet sich nicht vom klassischen Rechtsextremismus.“
Die Stiftung, für die Rafael arbeitet, gehört zu den Zielen, gegen die sich
die Aktionen der Identitären richten. Seit Monaten werden die
Rechtsextremismusexperten von der Gruppe als „Denunzianten“ und
„Zensuragentur“ geschmäht, unter anderem deshalb weil sie Hass und
Rassismus im Internet benennen und versuchen, etwas dagegen zu tun. Eine
Handvoll Identitärer stand im Juli plötzlich vor der Tür der Stiftung, in
Stasi-Uniform.
Seit Jahren machen rechte Gruppen und Zeitungen wie die „Junge Freiheit“
gegen die Chefin der Stiftung, Anetta Kahane mobil, weil sie in der DDR von
1974 bis 1982 als Inoffizielle Mitarbeiterin für das Ministerium für
Staatssicherheit gearbeitet hat. Kahane hatte das selbst wiederholt
angesprochen, ein Gutachten bescheinigt ihr, niemandem geschadet zu haben.
Aber ihre Vergangenheit eignet sich gut, um die Stiftung als Zensoren
darzustellen.
## „No Border“ wird zu „Pro Border“
Einer der Uniformträger stand auch auf dem Brandenburger Tor: Hannes
Krünägel. Ein Rostocker, 27 Jahre alt, Student der Elektrotechnik,
Burschenschaftler. Auch Krünägel ist zu der Podiumsdiskussion nach Berlin
gekommen, er sitzt gleich in der ersten Zuhörerreihe vor Sellner und Timm,
schwarzes Hemd, kurze Haare. Die Diskussion wird von Jürgen Elsässer
moderiert, der lange für linke Medien geschrieben hat und inzwischen
Chefredakteur des rechtspopulistischen Magazins Compact ist.
Als Elsässer die Besetzer vom Brandenburger Tor begrüßt, sie als „Helden“
preist, da erhebt sich auch Krünägel. Ein wenig schüchtern blickt er ins
applaudierende Publikum. Auch Krünägel reist für Identitären-Aktionen quer
durch die Republik, seit zwei Jahren schon, inzwischen ist er
„Regionalleiter“ in Mecklenburg-Vorpommern. „Ich glaube fest an eine
gesellschaftliche Wende in unserem Sinne“, sagt Krünägel später im
Hotelfoyer. „Mit jeder Aktion mehr.“
Die Aktion bei der Amadeu-Antonio-Stiftung bezeichneten die Identitären im
Nachhinein als „satirische Intervention“. Wieder eine offene Anleihe von
der Gegenseite: Zuletzt war es das „Zentrum für Politische Schönheit“, das
mit selbsternannten „Interventionen“ ein breites Medienecho verursachte.
Die Künstler des Zentrums kündigten an, Flüchtlingsleichen vor dem
Kanzleramt zu beerdigen oder Asylsuchende von Tigern fressen zu lassen. Sie
protestierten damit für eine offenere Flüchtlingspolitik, eine neue Stufe
linker Aktionskunst. Die Identitären bedienen sich zumindestens schon
einmal am Vokabular.
Auf Demonstranten klauen sie Parolen der Linken: Aus deren „No Border, No
Nation“ machen die Identitären ein „Pro Border, Pro Nation“. Während die
Linken einst zu Elektromusik feierten und „Atomkraft wegbassen“ wollten,
heißt es bei den Identitären: „Multikulti wegbassen“. Seit Kurzem hat die
Gruppierung ihren eigenen Rapper, „Komplott“. „Macht kaputt, was euch
kaputt macht“, singt der – und bemächtigt sich der berühmten Liedzeile von
Rio Reiser. Nur diesmal mit der Klage über „Milliarden für Migranten“ und
„den ganzen Tag nur Homothemen“.
## Sie wollen eine rechte Kulturrevolution
Robert Timm sagt, „wir wären dumm, wenn wir nicht aus den Erfahrungen des
linken Aktivismus lernen würden“. Die Besetzung sei nur der Anfang gewesen.
Eine größere Aktion sei schon geplant – kleinere, „subtile“ ebenfalls. …
Martin Sellner nennt seine Identitären gern ein „patriotisches Greenpeace“.
Elsässer, der Compact-Chefredakteur, geht noch weiter. Jemanden wie Sellner
„gab es seit Rudi Dutschke nicht mehr“, sagt er in Berlin. Auf dem Podium
zeigt sich noch einer äußerst zufrieden: Götz Kubitschek. Es sei „extrem
gut gelaufen“ zuletzt für das „neurechte Widerstandsmilieu“, sagt der
46-Jährige. Trotz Verfassungsschutzbeobachtung der Identitären habe es
keine „Entsolidarisierung“ gegeben. „Die Leute haben einfach
weitergemacht.“
Götz Kubitschek ist ein Mentor der Identitären – und Ideologe der
Neurechten. Im kleinen Schnellroda in Sachsen-Anhalt betreibt er auf einem
Rittergut das „Institut für Staatspolitik“, eine neurechte Denkfabrik, von
hier vertreibt er seine Szenezeitschrift Sezession. Einige Wochen lebte
auch Martin Sellner in Schnellroda. Zu Kubitscheks jährlicher
„Sommerakademie“ reisten vor zwei Wochen auch deutsche Identitäre an.
Kubitschek fordert schon seit Jahren eine Kulturrevolution von rechts –
auch mithilfe „subversiver Aktionen“ wie einst die 68iger. Er selbst ging
voran: Mit Gleichgesinnten stürmte er eine Tagung von linken Studenten in
Berlin, er störte Veranstaltungen von Günther Grass und Daniel Cohn-Bendit.
Nun folgen die Identitären. „Ziemlich egal, was ihr in dieser Richtung
macht“, sagt Götz Kubitschek in Berlin, „unsere Unterstützung habt ihr“.
## Halbe Distanzierung von NPD-Anhängern
Inzwischen haben die Identitären eigene Medien, zum Beispiel die Sendung
von Philipp Thaler auf YouTube. Auch er stand auf dem Brandenburger Tor,
auch er sitzt bei Jürgen Elsässers Podium in Berlin. „Wehrt euch“ steht a…
seinem grauen Shirt.
Thaler plaudert in seiner Onlinesendung mit Gesinnungskameraden, neben sich
eine Mate-Brause. Alles locker, alles ironisch, Thaler spricht über
WhatsApp und Fernbusse. Dann der Schwenk: Flüchtlinge, die
Amadeu-Antonio-Stiftung, die „Heuchler“ der Grünen. Thaler kommt aus Halle
in Sachsen-Anhalt, auch er ist Student und Burschenschaftler. Er gehört zu
einer der aktivsten Gruppen der deutschen Identitären – und einer der
radikalsten. „Kontrakultur“ nennen sie sich in Halle. Im Frühjahr mauerten
sie dort den Eingang eines Hauses zu, in dem Migranten eine Probewahl
abhalten sollten, und schrieben „No way“ auf die Mauersteine. An eine
Flüchtlingsunterkunft sprühten sie auf Arabisch: „Geht nach Hause“. Thale…
Identitäre gehen weiter als Robert Timm und die Berliner: Sie bleiben nicht
bei Symbolen – sie zielen direkt auf die Flüchtlinge.
Nur weil sie Neues zu bieten haben, verzichten die Identitären nicht auf
Bewährtes. Sie bieten Sommersonnenwendfeiern, Volksliederabende, Kampfsport
– der altbekannte, rechtsradikale Aktionskanon. Einige Identitäre waren
früher Mitglieder der NPD-Jugend. Einer von ihnen stand auch auf dem
Brandenburger Tor. Anders als Timm lehnt er ein Gespräch mit dem
Journalisten ab.
In einem älteren, internen „Aufbauplan“ der Identitären steht noch eine
halbe Distanzierung von NPD-Anhängern. Sie sollten nicht auf der
Führungsebene mitmachen dürfen, denn sie würden „der Gruppe mehr schaden�…
Ganz verzichten wollten Robert Timm und seine Truppe auf die Neonazis aber
noch nie. Wenn diese sich „von dieser Partei klar distanzieren“, seien sie
durchaus willkommen – so steht es in dem Dokument. Heute gilt nicht mal
mehr das Chefetagenverbot. Einer der bundesweit führenden
Identitären-Funktionäre schulte früher die NPD-Jugend und war in einer
Kameradschaft in Rostock.
## Die AfD distanziert sich
Die Identitären haben es mit dieser Flexibilität geschafft, sich weit zu
vernetzen. Ihre Fahnen wehten auf Pegida-Aufzügen, sie zeigen sich in
Burschenschaften, AfD-Abgeordnete sprachen auf ihren Veranstaltungen.
Zuletzt trat eine Identitären-Aktivistin, eine Lehramtsstudentin aus Halle,
als Sängerin bei der Wahlparty der AfD in Mecklenburg-Vorpommern auf.
Eigentlich wollte sich die AfD von den Identitären distanzieren – wohl aus
Vorsicht, nicht selbst in den Ruch des Verfassungsfeindlichen zu kommen.
Eine Zusammenarbeit werde es nicht geben, lautete ein Beschluss des
AfD-Bundesvorstands. Mitglieder dürften dem Netzwerk nicht angehören.
Prompt aber widersprach die Patriotische Plattform, ein Verbund weit
rechter AfDler: „Wir wünschen uns eine engere Zusammenarbeit zwischen
Identitärer Bewegung und AfD“, so ihre Erklärung. „Denn auch die AfD ist
eine identitäre Bewegung.“
Robert Timm, Philipp Thaler und Hannes Krünägel freuen sich über solche
Sätze. Sie mögen nicht viele sein, aber sie fühlen sich gerade wie die
Popstars ihrer Szene. Schon kurz nachdem die Polizei sie vom Brandenburger
Tor holte, gab es eine Spendenkampagne. „Wir werden alle Kosten damit
decken können“, sagte Robert Timm. Und auch Sellner freut sich: „In ganz
Deutschland ist ein Fieber erwacht.“ Die Aktionen der Identitären seien
„das Leuchtfeuer“.
Das ist Wunschdenken. Der Kosmos, in dem sich die neurechten Aktivisten
bewegen, ist sehr klein. Es sind die immer gleichen Gesichter, die bei den
Aktionen der Identitären auftauchen. Aber macht sie das weniger gefährlich?
## Der Chef twittert „Je suis Bautzen“
Im Vokabular der Identitären ist eine weitere Radikalisierung angelegt.
Bereits jetzt tragen sie mit zu einem Klima bei, in dem 2016 bereits mehr
als 500 fremdenfeindliche Gewalttaten hervorgebracht hat – nahezu eine
Verdoppelung zum Vorjahr. „Je suis Bautzen“, twitterte Anführer Martin
Sellner nach der Jagd auf Flüchtlinge in der sächsischen Stadt.
In der linken Szene verfolgen sie den Ideenklau der Rechten, sind aber
unsicher, wie sie damit umgehen sollen. Auf jeden Fall gestehen auch
Autonome den Identitären Professionalität zu. Und dass es bislang keine
ernsthafte Gegenwehr gebe, sei „nicht schönzureden“, hieß es vor einigen
Wochen auf einem linken Internetportal. Jemand anderes konterte, man dürfe
die „identitären Lappen auch nicht aufwerten“. Bisher bleibe deren Zahl
doch überschaubar. Mal sehen, wie die auf ernsthaften Gegenprotest
reagieren, das ist auch noch zu lesen. Die Identitären sind auch noch so
gut wie nie auf gewaltbereite Linke getroffen; sollte es dazu kommen,
könnte das ihre Anhänger entweder mobilisieren oder abschrecken.
Erste Versuche, sich zu wehren, gibt es. Als Götz Kubitschek und die
Identitären jüngst mit ihrer „Sommerakademie“ in Schnellroda tagten,
reisten 120 Linke an und demonstrierten. „Aufstehen gegen Rassismus“ stand
auf ihren Transparenten. „Konsequent gegen Neue Rechte.“
Auf einer Mauer vor dem Tagungshaus schaute Martin Sellner lächelnd zu,
kurze Hose, getönte Sonnenbrille. Er beobachtete die Gegendemonstranten,
fotografierte sie mit einer Kamera. Dann wendete er das Objektiv, machte
ein Selfie vor den Demonstranten – und stellte es ins Internet.
4 Oct 2016
## AUTOREN
Konrad Litschko
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Lesestück Recherche und Reportage
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