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# taz.de -- Identitäre unter Beobachtung: „Die geistigen Brandstifter“
> Der Verfassungsschutz stuft die Identitären nun als klar rechtsextrem ein
> und will sie künftig beobachten. Dort fürchtet man bereits ein Verbot.
Bild: Bald Schluss mit Aufmarschieren? Die Identitären geraten unter Druck
BERLIN taz | Der Verfassungsschutz holt nach der Teilbeobachtung der AfD
zum nächsten Schlag gegen die neurechte Szene aus: Ab sofort stuft der
Geheimdienst die „Identitäre Bewegung“ als klar rechtsextrem und als
offiziellen Beobachtungsfall ein. Die Gruppierung kann nun mit allen
nachrichtendienstlichen Mitteln beobachtet werden.
„Der Bundesverfassungsschutz steht fremdenfeindlicher und
demokratiefeindlicher Ideologie nicht tatenlos gegenüber“, sagt
Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang. Sein Amt habe auch diejenigen
im Blick, „die verbal zündeln“. „Diese geistigen Brandstifter stellen die
Gleichheit der Menschen oder gar die Menschenwürde an sich infrage, reden
von Überfremdung, erhöhen ihre eigene Identität, um andere abzuwerten, und
schüren gezielt Feindbilder.“
Der Verfassungsschutz hatte die Identitären bereits Mitte 2016 als
„Verdachtsfall“ eingestuft, aktuell rechnet er ihnen 600 Mitglieder zu. Das
Timing für die jetzige Einstufung als „gesichert rechtsextremistische
Bestrebung“ kommt wohl nicht zufällig: Seit dem Mord an dem CDU-Politiker
Walter Lübcke steht der Verfassungsschutz in der Kritik, [1][seinen Blick
zuletzt zu wenig auf den Rechtsextremismus gerichtet zu haben.]
## Hip, jung, intellektuell – und doch klar rechtsextrem
Die Identitären, ursprünglich in Frankreich entstanden, tauchten 2010
erstmals in Deutschland auf. [2][Die Gruppe gibt sich einen betont modernen
Anstrich – hip, jung, intellektuell.] Von Gewalt distanzieren sich die
Identitären offiziell. Vielmehr setzen sie auf medienwirksame Aktionen: Die
Identitären besetzten das Brandenburger Tor, kletterten auf die
SPD-Zentrale oder versuchten mit einem Boot im Mittelmeer Flüchtlingshelfer
zu behindern.
[3][In Halle unterhalten sie gar ein eigenes Hausprojekt.] In der Stadt
mobilisiert die Gruppe aktuell für den 20. Juli auch zu einer schon länger
geplanten Demonstration.
Ideologisch aber bleiben die Identitären dem Rechtsextremismus verhaftet.
Ihr Konzept ist der Ethnopluralismus: Man achte zwar jede Ethnie und Kultur
– aber nur da, wo sie hingehört. Dazu kommt die Forderung einer
„Remigration“, der Ausweisung von Migranten. Zum Feindbild wird vor allem
der Islam erklärt, der in Europa angeblich einen „Großen Austausch“ plane,
die Verdrängung der angestammten Bevölkerung.
## Eine Verletzung der Menschenwürde
Für den Verfassungsschutz sind all dies Verstöße gegen das Grundgesetz. Die
Identitären zielten darauf, Menschen mit außereuropäischer Herkunft von
demokratischer Teilhabe auszuschließen und ihre Menschenwürde zu verletzen,
heißt es dort. Menschen ohne gleiche ethnische Voraussetzungen könnten für
die Identitären niemals Teil einer gemeinsamen Kultur sein.
Multikulturalismus gelte für diese als „kulturvernichtend“.
In Verruf gerieten die Identitären zuletzt auch nach dem Attentat eines
Rechtsextremen auf zwei Moscheen mit 51 Toten im März im neuseeländischen
Christchurch. Der Angreifer hatte sein Bekennerschreiben mit „Der Große
Austausch“ übertitelt und zuvor [4][Geld an den österreichischen
Identitären-Chef Martin Sellner gespendet.]
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hatte die Identitären [5][bereits
vor wenigen Tagen als „geistige Brandstifter“ bezeichnet]. Auch wenn diese
noch nicht zur Gewalt griffen, seien sie „nicht minder gefährlich“. Zudem
gab es zuletzt Hausdurchsuchungen gegen Identitären-Mitglieder in
Nordrhein-Westfalen, Bayern und Sachsen – wegen Vorwürfen der
Volksverhetzung und Sachbeschädigung.
Die Identitären befürchten inzwischen ein Verbot ihrer Gruppe. Seehofer
wolle „junge Patrioten zum Schweigen bringen“, klagt die Gruppe. Die
Stimmungslage um den Lübcke-Mord werde „instrumentalisiert“, man komme
„totalitären Zuständen stetig näher“. Tatsächlich hatte Seehofer nach d…
Lübcke-Mord erklärt, sein Ministerium lasse derzeit Verbote von
rechtsextremen Gruppierungen prüfen.
## Fester Teil eines neurechten Netzwerks
Als rechtsextremistischen Verdachtsfall führt der Verfassungsschutz seit
Jahresbeginn [6][auch den „Flügel“, das Rechtsaußen-Sammelbecken der AfD,
und den Jugendverband der Partei]. Hier indes wird eine Entscheidung über
eine volle Beobachtung noch dauern. Verfassungsschutzchef Haldenwang hatte
bereits seit seinem Amtsantritt im November 2018 erklärt, ein stärkeres
Augenmaß auf den Rechtsextremismus im Land legen zu wollen.
Indes: Auch zur AfD unterhalten die Identitäre beste Kontakte. Einige
Aktivisten sind Teil der Parteijugend, andere arbeiten für AfD-Abgeordnete.
Und Hans-Thomas Tillschneider, Landtagsabgeordneter aus Sachsen-Anhalt,
hatte früher wiederum ein Büro im Identitären-Haus in Halle.
All dies ist Ausdruck eines gewachsenen neurechten Netzwerks: Die AfD
bespielt dabei den parlamentarischen Raum, das Institut für Staatspolitik
um den Vordenker Götz Kubitschek baut ideologisch vor, das
Rechtsaußen-Magazin Compact bespielt die Öffentlichkeit, der Verein „Ein
Prozent“ organisiert Protest – und die Identitären versuchen diesen mit
öffentlichkeitswirksamen Aktionen umzusetzen. Zumindest Letztere geraten
nun unter Druck.
11 Jul 2019
## LINKS
[1] /Kommentar-zum-Fall-Walter-Luebcke/!5600550
[2] /Aktionen-der-Identitaeren-Bewegung/!5341830
[3] /Rechte-Identitaere-zeigen-Praesenz/!5456925
[4] /Christchurch-Attentaeter/!5585652
[5] /Aktueller-Verfassungsschutzbericht/!5603730
[6] /AfD-im-Blick-des-Verfassungsschutzes/!5565986
## AUTOREN
Konrad Litschko
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