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# taz.de -- „Identitäre Bewegung“ und Social Media: „Performance haupts�…
> Die rechtsextremen Identitären sind offiziell rechtsextrem. Der
> Journalist Sören Musyal über deren Auftreten und Wirkungspotenzial in den
> sozialen Medien.
Bild: Identitären-Aktion auf dem Brandenburger Tor, August 2016
taz: Herr Musyal, der [1][Verfassungsschutz] hat die [2][„Identitäre
Bewegung“ (IB)] diese Woche offiziell als rechtsextrem eingestuft. Sie
beschäftigen sich seit mehreren Jahren mit der IB und haben sich im Zuge
Ihrer Recherchen auf deren Performance im Netz konzentriert. Was sind Ihre
Befunde?
Sören Musyal: Man muss sagen, dass die Performance hauptsächlich im Netz
stattfindet. Es gibt natürlich auch Offline-Aktionen, aber unsere
Beobachtung ist, dass auch diese Aktionen stets auf das Online-Publikum
zielen. Die bekanntesten Aktionen sind die Besetzung des Brandenburger Tors
und „Defend Europe“, die auf beiden Ebenen funktionieren.
Es gibt aber auch Aktionen, bei denen niemand oder gar kein Publikum
zugegen ist. Das Ziel ist stets: Aufnahmen zu machen und das dann auf den
Social-Media-Kanälen zu verwerten. Ein schönes Beispiel hierfür ist die
Besetzung der Stadthalle in Cottbus, wo im Endeffekt vier Leute auf das
Dach geklettert sind. Die Leute in Cottbus selbst sind unbeeindruckt
vorbeigelaufen. Erst wenn man sich Social Media anguckt, sieht das Ganze
wie eine gelungene Aktion aus.
Dienen Störaktionen, wie am Maxim Gorki Theater, nur dem Zweck, die
Online-Performance zu unterstützen?
Die kommen aus der Tradition heraus. Sie beziehen sich sehr stark auf die
Aktionsformen der 68er und dann auch auf Götz Kubitschek, der das Ganze
eher für eine „konservative“ Bewegung adaptiert hat. Insofern finden diese
Aktionen statt. Aber wenn man die Identitäre Bewegung regelmäßig
beobachtet, würde ich schon sagen, dass die Performance grundsätzlich
stärker online stattfindet als offline. Natürlich gibt es auch offline
regelmäßig Ereignisse, die man ja braucht, um ein Ereignis zu erzeugen,
filmen und verwerten zu können. Aber die Vermarktungslogik liegt stärker
auf online.
Funktioniert die Vermarktungslogik?
Ja, das würde ich schon sagen. Inzwischen geht man davon weg, die
Identitären bei ihrem selbstgewählten ganzen Namen zu nennen – nämlich
Identitäre Bewegung –, weil ja alleine das schon eine Lüge ist, wenn man so
will. Die aktuellen Zahlen liegen bei um die 600 Aktivistinnen und
Aktivisten in Deutschland. Das ist ja beileibe keine Bewegung, wie Pegida
zum Beispiel, die ja über einen längeren Zeitraum mehrere Tausend Leute
mobilisieren konnten.
Die sind aber vielleicht nicht als feste Gruppierung vernetzt, sondern eher
als Demonstration, bei der es feste Mitglieder auf Organisationsebene gibt.
Das stimmt. Gleichzeitig kann man schon beobachten, dass bei den
Identitären ein sehr harter Kern von Aktivistinnen und Aktivisten immer
anwesend ist, der vor allem aus Österreich und Deutschland an alle
möglichen Orte gekarrt wird. Das heißt, selbst diese Zahl 600 findet sich
nicht auf den einzelnen Aktionen wieder. Insofern gibt es einen kleinen
Kern, der überall in Deutschland antritt.
Wenn man sich dann anguckt, wie sie in den sozialen Netzwerken performen,
dann haben sie schon für ihre Größe eine relativ große Reichweite. Martin
Sellner, das bekannteste Gesicht, hat über 100.000 Abonnentinnen und
Abonnenten auf YouTube. Das ist auch noch nicht so wahnsinnig viel. Doch
wenn man guckt, was die eigentlich machen, ist das schon beunruhigend viel.
Insofern kann man sagen, die machen das Ganze online schon gut und erwecken
den Eindruck, dass es eine Bewegung ist.
Wie funktioniert denn deren Performance online?
Da gibt es sehr unterschiedliche Strategien. Wenn es darum geht, als
Bewegung zu erscheinen, dann sind es relativ einfache Verfahren, wie
Demonstrationen von vorne und unten zu filmen, sodass man nur die ersten
beiden Reihen sieht und die leere dritte und vierte Reihe nicht.
Das Inszienieren von etwas, was gar nicht so groß ist?
Genau. Und sehr schöne Bilder verwenden, Zeitlupe und so weiter. Immer die
gleiche Anzahl von weiblichen und männlichen Aktivisten in den Vordergrund
stellen, sodass das Bild entsteht, dass das Verhältnis relativ ausgewogen
ist. Das sind relativ einfache Mittel, die eingesetzt werden, um den
Eindruck zu erwecken, man sei sehr viele. Dann kommt die Rhetorik dazu, die
man auch von der AfD oder im Rechtspopulismus allgemein kennt: man sei die
schweigende Mehrheit, vertrete die Interessen der schweigenden Mehrheit.
Gleichzeitig beißt sich das ein bisschen mit dem Selbstbild der
Identitären, die sich selbst als eine Art Elite oder Avantgarde begreifen.
Sie bewegen sich da in einem Widerspruch. Es ist auch nicht das Ziel, eine
Massenbewegung zu sein. Martin Sellner hat das selbst in einem Interview so
zu uns gesagt, dass man mit einem kleinen Kern von Aktivisten im Zweifel
mehr erreichen könne als mit einem Kleingartenverein von 20.000 eher lose
verbundenen Mitgliedern.
Sehen Sie ein Vernetzungspotenzial zu anderen rechtsextremen Gruppen oder
auch rechten Parteien wie der AfD? Haben Sie das beobachtet in ihren
Untersuchungen?
Es gibt auf jeden Fall Vernetzungen. Zwar existiert ein
Unvereinbarkeitsbeschluss, aber gleichzeitig heißt es nur, wer Mitglied der
Idenitären ist, kann nicht AfD-Mitglied sein. Das heißt nicht, dass man auf
einer eher inoffizielleren Ebene nicht miteinander kooperieren kann. So hat
zum Beispiel ein AfD-Abgeordneter in Hessen ein einschlägig bekanntes
Jugendzentrum in Halle gekauft, in dem die Identitären sitzen. Und der
Bundesvorsitzende der Identitären hat für einen AfD-Abgeordneten
gearbeitet. Insofern gibt es auf jeden Fall personelle Überschneidungen.
Gibt es auch Überschneidungen im Netz, in der Form, wie oder mit wem die
Inhalte verbreitet werden?
Nicht explizit. Vonseiten der Identitären wird zwar immer wieder für die
AfD und aufgrund des starken Österreich-Bezugs auch für die FPÖ geworben.
Andersrum aber werden keine offiziellen gemeinsamen Kampagnen gemacht. Das
heißt allerdings nicht, dass man nicht zusammenarbeitet. Zum Beispiel bei
der großen rechten Kampagne gegen den UN-Migrationspakt, die von den
Identitären ausging und stark von der AfD unterstützt wurde. Insgesamt ist
die AfD aber bisher darauf bedacht, sich nicht von der IB zu distanzieren,
aber gleichzeitig zumindest oberflächlich die Distanz zu wahren.
Sehen Sie den Effekt, dass die IB als recht kleine Gruppe eine recht hohe
Reichweite im Netz erzielt?
Im Rahmen ihrer Möglichkeiten erzielen sie relativ hohe Reichweiten. Man
kann schon sagen, dass es ihnen gelingt, ihre zentralen Begriffe – wie „der
große Austausch“, „Remigration“ – in den Diskurs zu bringen. Von
„Umvolkung“ war schon im Bundestag die Rede. Eine CDU-Abegordnete war das,
die das weniger im bösen Willen als in Unwissenheit so formuliert hat. Aber
trotzdem kann man daran sehen, dass, vor allem auf Twitter, die zentralen
Begriffe der Identitären und der Neuen Rechten allgemein schon sehr
hochfrequentiert wiedergegeben werden – auch von Leuten, die jetzt
vielleicht nicht der Identitären Bewegung zugerechnet werden müssen, aber
vielleicht rechtes oder rechtsextremes Gedankengut haben.
Müsste man den Diskurs auf Twitter oder auf Plattformen allgemein stärker
regulieren?
Tja, mit dem NetzDG gibt es ja eine Handhabe. Die wird aber, soweit ich
weiß, wesentlich weniger von Menschen genutzt als vorher angenommen. Ich
habe den Eindruck, dass es auf jeden Fall etwas bringt, wenn man gegen
große rechte Accounts vorgeht, wie es Milo Yiannopuolos passiert ist, der
von allen großen Social-Media-Plattformen gelöscht wurde, und wie es auch
Martin Sellner selber auf Instagram passiert ist, sodass es jetzt nur noch
einen Account gibt, der als Parodie-Account getarnt ist. Das beschränkt
schon die Reichweite. Ich glaube, das ist sehr hilfreich, wenn man
verhindern möchte, dass rechtsextreme Verschwörungen sich im Netz
fortbewegen, beziehungsweise es zentrale Anlaufstellen gibt. Verhindern
kann man es aufgrund der vielen Fake-Accounts wahrscheinlich nicht.
12 Jul 2019
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## AUTOREN
Anna Grieben
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