# taz.de -- Rechter „Philosoph“ Renaud Camus: Der Hetzer von der Burg | |
> Der Neurechte Franzose Renaud Camus prägt Begriffe wie „Umvolkung“. | |
> Darauf bezogen sich auch die Attentäter von Christchurch und El Paso. | |
Bild: Ist die Zugbrücke hoch? Renaud Camus auf seiner Burg in Plieux | |
PARIS taz | „Ich sehe nicht, wie ich ihn inspiriert haben könnte“, | |
antwortete Renaud Camus auf die Frage, ob die von ihm verbreitete These des | |
„Grand Remplacement“ („Großer Bevölkerungsaustausch“ oder „[1][Umvo… | |
den Attentäter von Christchurch ideologisch angeleitet habe. | |
Bevor der Australier Brenton T. am 15. März in der neuseeländischen Stadt | |
einen [2][Terroranschlag auf zwei Moscheen] verübte, bei dem er 50 Menschen | |
tötete und ebenso viele verletzte, hatte er im Internet ein Pamphlet | |
publiziert, das denselben Titel trug wie das erstmals 2011 erschienene Buch | |
des französischen Autors: „The Great Replacement“. | |
Der 72-jährige Camus, der auf der Burg Château de Plieux in Südfrankreich | |
lebt, gilt als „Erfinder“ jener Vorstellung: Sie besagt, dass in den USA, | |
Europa und Ozeanien die Vorherrschaft der Weißen aufgrund von Immigration | |
die Zusammensetzung der Bevölkerung so sehr ändert, dass weiße | |
„Einheimische“ allmählich durch Zugewanderte ersetzt sein würden. | |
Dabei soll es sich nicht nur um normale demografische Prozesse handeln, | |
sondern um eine Art Komplott, nämlich ein von einer „Elite“ ausgeheckter | |
„Plan“: Im Kontext der Globalisierung solle „Menschenmaterial“ importie… | |
werden, um die Geburtenschwäche der Weißen zu kompensieren. Dabei würde im | |
Namen eines schädlichen „Multikulturalismus“ die Zivilisation oder | |
„Identität“ der Einheimischen vernichtet. | |
## Hetze im Eigenverlag | |
Es handelt sich um eine der zahllosen Versionen von Kulturpessimismus | |
rassistischer Untergangspropheten. Für den bekannten Demografen Hervé Le | |
Bras ist der „Große Austausch“ ein unwissenschaftlicher „Rassenmythos“… | |
demografische Realität entspricht ihm zufolge einer ethnischen Vermischung | |
(„métissage“) in Europa, dies geschehe „mindestens seit dem Neolithikum�… | |
Der studierte, kultiviert wirkende Camus, der einst in regem Austausch mit | |
AutorInnen wie Louis Aragon und Marguerite Duras stand, sogar Umgang mit | |
Andy Warhol pflegte, hat mit seinen meist im Eigenverlag veröffentlichten | |
Publikationen dieser paranoiden Obsession eine neue ideologische Grundlage | |
geliefert. Camus beruft sich wiederum auf Schriften des rechten Politikers | |
Maurice Barrès und des antisemitischen Journalisten Édouard Drumont. | |
Camus geht es nicht um ein „Konzept“, sondern um Evidenz: „Ist ein Volk, | |
das rasend schnell in seinen Straßen, […] seinen Schulen, insbesondere im | |
Fernsehen vor unseren Augen durch ein oder mehrere andere [Völker] ersetzt | |
wird, immer noch dasselbe, weil es offiziell denselben Namen trägt?“ (aus | |
„Le Grand Remplacement“, 2013) | |
Camus’ Begriff wird von diversen Rechtsextremen genannt, die damit vor | |
einer „Islamisierung“ der westlichen Gesellschaften warnen. Vor allem in | |
der Propaganda der „Identitäten“ und Neonazis ist „Der Große Austausch�… | |
Dauerbrenner, auch [3][der österreichische Rechtsaußen Heinz-Christian | |
Strache (FPÖ)] hat davon als „Tatsache“ gesprochen. Im rechtsradikalen | |
Milieu hat das Schlagwort die „Überfremdung“ abgelöst, es richtet sich dem | |
Konzept zufolge weniger pauschal gegen Migration und Ausländer, sondern vor | |
allem gegen die afrikanisch-arabisch-muslimische Zuwanderung. | |
## Verurteilt wegen Anstiftung zu Gewalt | |
Längst hat sich Camus’ Verschwörungstheorie auf gefährliche Weise | |
verselbstständigt, wie wenn die mit pseudowissenschaftlichen Elementen | |
begründete Bedrohungsidee allein die rassistische Gewalt rechtfertigen | |
könnte. Jedes Mal, [4][wenn er in den Medien nach einem Massenmord von | |
weißen Rassisten der ideologischen Mitverantwortung bezichtigt wird], | |
wäscht Camus, äußerlich gepflegt wirkend, mit weißem Bart und hypnotischem | |
Blick, seine Hände in Unschuld. | |
Nach dem Attentat von Christchurch bezeichnete sich Camus gegenüber AFP | |
geradezu entrüstet als Gegner von Gewalt. Immerhin ist er 2015 nach seiner | |
Hetze gegen Araber wegen Anstiftung zu Hass und Gewalt gegen Muslime | |
rechtskräftig verurteilt worden. | |
Seine Nähe zur [5][Identitären Bewegung] ist unbestreitbar. Da Camus zu | |
wenig politische „Patenschaften“ für eine Kandidatur zusammenbekam, | |
unterstützte er 2012 und 2017 jeweils die Präsidentschaftskandidatin Marine | |
Le Pen (FN). Zudem wurde er führendes Mitglied der mit der extremen Rechten | |
verbündeten Splitterpartei SIEL (Souveraineté, identité et libertés). Bei | |
der Europawahl kandidierte er auf der Liste „La Ligne claire“ (0,01% | |
Stimmen), in deren Parteiprogramm die „Entkolonisierung“ Frankreichs durch | |
„unmittelbare Rückwanderung“ aller Immigranten (inklusive ihrer Nachkommen) | |
in ihre (afrikanischen) Herkunftsländer gefordert wurde. Kurz zuvor | |
distanzierte sich Camus davon. | |
Auf einem im Netz verbreiteten Foto war eine Mitkandidierende zu sehen, die | |
ein Hakenkreuz in den Sand zeichnete. Die ideologische Verwandtschaft zu | |
Hitlers mörderischer Rassenlehre wurde zu offensichtlich für den auf seine | |
philosophische Subtilität bedachten Renaud Camus. | |
9 Aug 2019 | |
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## AUTOREN | |
Rudolf Balmer | |
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