# taz.de -- Wirtschaftswende von Kanzler Merz: Wie zu Kohls Zeiten | |
> Die Aussichten für die Unternehmen sind düster. Und die neue | |
> Bundesregierung? Hat wenig Ideen und setzt auf alte Rezepte gegen die | |
> Krise. | |
Bild: „Jetzt wird wieder in die Hände gespuckt“? Das VW-Werk in Wolfsburg … | |
Es ist alt, aber gerade deswegen ist das Lied die perfekte Begleitmusik für | |
die neue Bundesregierung: „Jetzt wird wieder in die Hände gespuckt, wir | |
steigern das Bruttosozialprodukt“, sang die Band Geier Sturzflug Anfang der | |
1980er Jahre. Der Song war die musikalische Untermalung zur Regierung des | |
Christdemokraten Helmut Kohl und seines Versprechens vom „Aufschwung“. | |
Mehr als 40 Jahre später scheinen die alten Hits wieder aktuell. | |
Bundeskanzler Friedrich Merz, ebenfalls CDU, hat den Bürger:innen eine | |
„Wirtschaftswende“ versprochen – und verlangt wie einst Helmut Kohl mehr | |
Fleiß und Anstrengung von den Bürger:innen. Nach zwei Jahren Rezession soll | |
es bergauf gehen. „Wir werden deshalb alles daransetzen, Deutschlands | |
Wirtschaft wieder auf Wachstumskurs zu bringen“, kündigte Merz in seiner | |
Regierungserklärung an. „Wir wollen regieren, um das Versprechen vom | |
Wohlstand für alle zu erneuern.“ | |
Doch schnell dürfte die Wende zu mehr Wachstum kaum gelingen, die | |
Aussichten sind düster. Die „Wirtschaftsweisen“, das ökonomische | |
Beratergremium der Bundesregierung, sagten am Mittwoch in ihrem | |
[1][Frühjahrsgutachten] für dieses Jahr Stagnation, also Nullwachstum, | |
voraus. Andere Ökonom:innen gehen sogar davon aus, dass der Schrumpfkurs | |
2025 weitergeht. | |
Das hieße drei Jahre Rezession hintereinander – das gab es in der | |
Geschichte der Bundesrepublik noch nie. Und langsam schlägt sich das auf | |
dem Arbeitsmarkt nieder. Im Schnitt erwarten die Wirtschaftsweisen 2025 gut | |
2,9 Millionen Erwerbslose, wieder 150.000 mehr als im Jahr zuvor. Das hatte | |
es zuletzt 2013 gegeben, kurz nach der Finanzkrise. | |
## Krisenbewältigung mit Ludwig Erhard? | |
Für Friedrich Merz und seine Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) | |
ist das ein echtes Problem. Reiche setzt bei der Bewältigung der Krise auf | |
die Ideen Ludwig Erhards, der zwischen 1949 und 1966 Wirtschaftsminister | |
und Bundeskanzler war. Dessen Soziale Marktwirtschaft werde ihr Ministerium | |
künftig wieder viel klarer vertreten, kündigte sie vielfach an. | |
„Sie will die Entfesselung des Marktes mit ein bisschen Sozialem“, sagt der | |
linke Bremer Ökonom Rudolf Hickel. „Gleichzeitig stellt sie die Weichen für | |
einen Abbruch der ökologischen Transformation, die ihr Vorgänger Habeck | |
richtigerweise angegangen ist“, ärgert sich der emeritierte | |
Wirtschaftsprofessor. Branchen wie die Stahlindustrie, die sich bereits auf | |
eine Umstellung auf Wasserstoff eingestellt hätten, zögerten mit | |
Investitionen, weil Reiche bei der Energieversorgung verstärkt auf den | |
Neubau von fossilen Gaskraftwerken setzt. | |
„Nicht nur Trumps Zollpolitik verunsichert, auch die Unklarheit, wie die | |
Koalition den ökologischen Umbau erfolgreich weiterbetreiben will“, betont | |
Hickel. | |
Die Handelspolitik der USA legt eine weitere Ursache für Deutschlands | |
anhaltende Konjunkturschwäche offen: die zu große Exportorientierung. | |
Deutschlands wirtschaftliche Stärke – und Millionen Jobs – hängt zu groß… | |
Teilen von Lieferungen ins Ausland ab. Gut zehn Prozent der Exporte gehen | |
an den [2][Handelspartner Nummer 1, die USA.] | |
## Der US-Präsident und das Zittern in den Konzernzentralen | |
Wenn ein US-Präsident damit seine Zocker-Spielchen treibt, fängt in den | |
Konzernzentralen von VW, Siemens oder SAP das Zittern an. Die globale | |
Konjunktur durch Kriege und Konflikte weltweit weiter geschwächt – zusammen | |
mit der schwachen Binnennachfrage ist das ein toxischer Mix für | |
Deutschland. | |
Nicht nur Unternehmen, auch Bürger:innen scheuen mit Blick auf die | |
unsicheren Zeiten hohe Ausgaben. Die Baukonjunktur liegt am Boden. Zu den | |
konjunkturellen Miseren gesellen sich strukturelle. Die Infrastruktur in | |
Deutschland – ob die digitale oder Straßen und Schienen – ist veraltet. Die | |
Manager:innen in den deutschen Autokonzernen haben zu spät erkannt, | |
dass der Elektromobilität die Zukunft gehört. | |
Auch in der für Deutschland wichtigen Chemieindustrie hat die Umstellung | |
auf eine klimafreundliche Produktion gerade erst begonnen. Immerhin will | |
Deutschland bis 2045 klimaneutral sein – das sind nur noch 20 Jahre. | |
Mit dem [3][beschlossenen 500 Milliarden Euro schweren Finanzpaket] scheint | |
nun immerhin Geld für staatliche Investitionen zur Verfügung zu stehen. | |
Auch wenn die Summe gewaltig erscheint, ist sie bei genauer Betrachtung zu | |
klein: 100 Milliarden Euro gehen an die Länder, weitere 100 Milliarden in | |
den Klima- und Transformationsfonds. Die Investitionen werden auf zwölf | |
Jahre gestreckt. Dem Bund bleiben 25 Milliarden pro Jahr – angesichts des | |
Investitionsstaus ist das nicht gerade überdimensioniert. Wohin genau Geld | |
fließt, wird sich erst in den kommenden Monaten klären. | |
## Merz und die Viertagewoche | |
Um mehr Wachstum zu erreichen, will die Regierung mehr Abschreibungen auf | |
Investitionen ermöglichen und die Steuern senken, ein Strompreispaket soll | |
die Energiepreise für Unternehmen drücken. Die Bürokratie soll eingedämmt | |
werden, Verwaltung digitalisiert, Genehmigungsverfahren vereinfacht werden. | |
Während Unternehmen allerlei zu erwarten haben von der neuen Regierung, | |
[4][stellt Merz an die Bürger:innen Anforderungen]. „Wir müssen in | |
diesem Land wieder mehr und vor allem effizienter arbeiten“, sagte er bei | |
einer Veranstaltung des CDU-Wirtschaftsrats. „Mit Viertagewoche und | |
Work-Life-Balance werden wir den Wohlstand dieses Landes nicht erhalten | |
können.“ Dabei wird in Deutschland schon mehr gearbeitet als früher. | |
„Insgesamt arbeiten die Deutschen mit 55 Milliarden Stunden im Jahr 2023 so | |
viel wie nie zuvor“, sagt Svenja Flechtner, Juniorprofessorin für Plurale | |
Ökonomik an der Universität Siegen. Doch in der Diskussion über Arbeitszeit | |
wird gerne auf die sinkende durchschnittliche Stundenzahl pro Kopf | |
hingewiesen. „Das ist irreführend, denn sie suggeriert, dass die Deutschen | |
fauler geworden seien und fleißiger werden müssten“, sagt die Ökonomin. Die | |
Durchschnittszahl sinkt, weil immer mehr Menschen erwerbstätig sind. | |
„Was Merz sagt, ist abstrus“, findet auch Ökonom Hickel. „Wenn Firmen | |
massenhaft Jobs abbauen, ist das doch nicht die Folge von zu kurzer | |
Arbeitszeit, sondern die eines Nachfrageproblems bei den Unternehmen, das | |
auch infolge eines verpennten Strukturwandels verursacht wurde.“ | |
Auch Svenja Flechtner hält die wirtschaftspolitischen Vorhaben der | |
Bundesregierung für „keinen großen Wurf“. Statt auf sozial-ökologischen | |
Umbau setze Schwarz-Rot auf das Kleinklein vieler Maßnahmen. Zum Beispiel: | |
„Arbeitsanreize“ schaffen, wie es im Koalitionsvertragsdeutsch heißt. Für | |
Überstunden soll keine Einkommensteuer mehr gezahlt werden müssen – | |
allerdings nur, wenn Beschäftigte Vollzeit arbeiten. Das hat bestenfalls | |
einen kurzfristigen Effekt, ist Flechtner überzeugt. „Nachhaltig ist das | |
nicht.“ | |
## Schwarz-Rot setzt auf Trickle-down-Ökonomie | |
Von Überstundenanreizen würden vor allem Männer profitieren, denn sie | |
arbeiten häufiger Vollzeit als Frauen. „Ob jemand nach 40 Stunden | |
geleisteter Arbeit wirklich noch produktiv ist, ist fraglich“, betont | |
Flechtner. Und fordert, für mehr Erwerbsarbeit von Frauen zu sorgen. Dafür | |
benötige Deutschland eine umfassende und gute Kinderbetreuung sowie | |
Entlastungen für Pflegende. | |
Mit der jetzt geplanten Überstundenregelung werde nur die ohnehin | |
bestehende Lohnungleichheit zwischen Männern und Frauen und die | |
geschlechtsspezifische Arbeitsteilung in den Familien gefördert. Auch das | |
Ehegattensplitting, das die Alleinernährer-Familie begünstigt, wird nicht | |
angetastet. Ohne mehr Erwerbsarbeit von Frauen wird der die Unternehmen | |
belastende Fachkräftemangel bestehen bleiben, sagt Flechtner. | |
Die Politik der Koalition folgt der „Trickle-down-Ökonomie“, laut der vom | |
wachsenden Wohlstand der Reichen genug für die anderen heruntertropft | |
(„trickle down“). „Wir wissen aus der Forschung, dass Trickle-down nicht | |
funktioniert“, sagt hingegen Ökonomin Flechtner. Gewinne führten nicht | |
automatisch zu höheren Löhnen. Und ob Firmen investieren, hänge nicht | |
primär von den gezahlten Steuern ab. „Das ist viel komplexer“, sagt sie. | |
Für Investitionen seien etwa eine gute Infrastruktur vor Ort oder die | |
Verfügbarkeit von Fachkräften verantwortlich. Und natürlich das | |
wirtschaftliche Umfeld. Und Flechtner hat noch einen weiteren Hinweis für | |
die Wirtschaftspolitik: „Städte und Gemeinden finanziell zu stärken, bringt | |
unter Umständen viel mehr, als Unternehmen pauschal zu entlasten.“ | |
23 May 2025 | |
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## AUTOREN | |
Anja Krüger | |
Kai Schöneberg | |
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