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# taz.de -- Verteidigungsausgaben im Wahlkampf: Parteien im Überbietungswettka…
> Dass die deutschen Militärausgaben weiter gesteigert werden müssen, da
> sind sich SPD, CDU, CSU, Grüne, FDP und AfD einig. Nur über die Höhe
> nicht.
Bild: Treffen mit Lastenmuli: Olaf Scholz besucht die Gebirgsjägerbrigade der …
Berlin taz | Wenn eine Rede von Olaf Scholz nach seiner Amtszeit als
Bundeskanzler in Erinnerung bleiben wird, dann wird es wohl seine
Regierungserklärung vom 27. Februar 2022 sein. In seiner knapp
halbstündigen Rede auf der [1][Bundestagssondersitzung drei Tage nach dem
Überfall Russlands] auf die Ukraine benutzte der Sozialdemokrat gleich
fünfmal das Wort „Zeitenwende“, um die deutsche Bevölkerung auf die
tiefgreifenden Folgen des Angriffs auch für die Bundesrepublik
einzustimmen. Seine Kernbotschaft: „Wir müssen deutlich mehr in die
Sicherheit unseres Landes investieren, um auf diese Weise unsere Freiheit
und unsere Demokratie zu schützen.“
Seitdem sind die deutschen Verteidigungsausgaben massiv erhöht worden. Nach
Nato-Kriterien beliefen sie sich im vergangenen Jahr auf rund 90,6
Milliarden Euro. Das sind mehr als 2,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts
(BIP). Geht es nach einer ganz großen Koalition im Bundestag, soll in den
kommenden Jahren kräftig ins deutsche Militär investiert werden. Fast macht
es den Anschein, als befänden sich SPD, CDU, CSU, Grüne, FDP und AfD in
einem Wettstreit, wer am meisten dafür ausgeben will.
Dabei bleiben SPD und Union allerdings auffällig vage. So formuliert die
Nochkanzlerpartei in ihrem Bundestagswahlprogramm, sie setze sich „auch
zukünftig für eine nachhaltige Verteidigungsfinanzierung von mindestens
zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes ein“. Bei der Merz-Truppe heißt es,
sie verstehe „das aktuelle Zwei-Prozent-Ziel der NATO als Untergrenze
unserer Verteidigungsausgaben“.
Auf konkrete Zahlen, wie weit sie über die zwei Prozent des BIP hinausgehen
wollen, legen sich beide nicht fest. „Ob es nun zwei 2,5 oder 5 Prozent
sind, ehrlich gesagt, das hat für mich nur eine zweitrangige Bedeutung“,
sagte unlängst Friedrich Merz bei einer Veranstaltung des Clubs Hamburger
Wirtschaftsjournalisten. Das Entscheidende sei, „dass wir das notwendige
Geld haben, um die Bundeswehr wieder in die Lage zu versetzen, ihren
Auftrag zu erfüllen“.
## Geld spielt für die FDP keine Rolle
Die FDP setzt sich demgegenüber dafür ein, „dass Deutschland mindestens das
2%-Ziel der Nato, perspektivisch sogar 3%, erfüllt“. Und nicht nur das:
„Wenn die Nato höhere Ziele vereinbart, werden wir auch diese erfüllen und
noch mehr in unsere Sicherheit investieren.“ Geld spielt für die Partei von
Ex-Bundesfinanzminister Christian Lindner offenbar keine Rolle.
Geht es nach dem Grünen-Programmentwurf, soll „dauerhaft deutlich mehr als
2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in unsere Sicherheit und
Verteidigungsfähigkeit investiert“ werden. Konkret hält der grüne
Kanzlerkandidat Robert Habeck „etwa dreieinhalb Prozent“ für nötig. Das
orientiert sich an den derzeitigen Diskussionen in der Nato.
Die AfD benennt zwar keinen Prozentsatz. Allerdings bekundete deren
Kanzlerkandidatin Alice Weidel Sympathien mit der [2][vollmundigen
Forderung Donald Trumps], die Nato-Staaten sollten fünf Prozent ihrer
Wirtschaftskraft fürs Militär ausgeben. Dem ZDF sagte Weidel, sie halte es
für „sehr wahrscheinlich“, dass sogar mehr als fünf Prozent erforderlich
seien, wenn man es „wirklich ernst“ meine mit der Landesverteidigung und
„der Ertüchtigung der Bundeswehr“.
## Keine Antworten, woher das zusätzliche Geld kommen soll
Für zukünftige Bundeshaushalte würde selbst die bloße Erhaltung des Status
Quo bereits eine deutliche Mehrbelastung bedeuten. Das resultiert daraus,
dass das derzeitige 2-Prozentziel der Nato aktuell nur durch spezielle
Effekte erreicht wird. Denn der reguläre Verteidigungsetat ist 51,95
Milliarden Euro hoch.
Nach Nato-Kriterien können darüber hinaus auch noch verteidigungsrelevante
Ausgaben aus anderen Haushaltsposten, etwa des Auswärtigen Amtes,
mitgezählt werden. Ebenfalls eingerechnet werden können beispielsweise
Pensionsverpflichtungen für ehemalige Soldat:innen oder das Kindergeld
für Bundeswehrbeschäftigte.
Vor allem jedoch hat die verblichene rot-grün-gelbe Bundesregierung noch
gut 7,5 Milliarden Euro an militärischen Unterstützungsleistungen für die
Ukraine und 19,8 Milliarden aus einem „Sondervermögen“ dazugerechnet. Das
addiert sich zusammen dann auf jene 90,6 Milliarden Euro, die der Nato
gemeldet wurden. Wobei es sich bei dem insgesamt 100 Milliarden schweren
„Sondervermögen“ um außerordentliche Kredite handelt, die von der
Schuldenbremse des Grundgesetzes ausgenommen sind. Nur noch 2025 und 2026
kann es in Anschlag gebracht werden. Dann wird es aufgebraucht sein.
Das deutsche BIP lag im vergangenen Jahr bei 4.306,4 Milliarden Euro. Das
als Ausgangsbasis genommen, würden drei Prozent davon, wie sie die FDP
anstrebt, Verteidigungsausgaben von rund 129,2 Milliarden Euro bedeuten.
Die 3,5 Prozent, die die Grünen fordern, beliefen sich auf rund 150,7
Milliarden Euro. Fünf Prozent wären etwa 215,3 Milliarden Euro – bei einem
Bundeshaushalt, der 2024 insgesamt ein Volumen von rund 488,9 Milliarden
Euro hatte. Das wären also mehr als 44 Prozent des Gesamtetats.
Ohne eine starke Lockerung der Schuldenbremse wären schon die bekannten
Vorstellungen von FDP und Grünen nicht ohne dramatische Einschnitte in
anderen Haushaltsbereichen umsetzbar. Da verwundert es nicht, dass SPD und
Union ihre Pläne lieber im Vagen lassen. Eine ehrliche Antwort, woher das
zusätzliche Geld fürs Militär kommen soll, bleiben jedenfalls alle
Wahlprogramme bzw. Programmentwürfe schuldig. Bei den Grünen heißt es dazu
nur lapidar, das werde „nicht allein aus laufenden Einnahmen finanzierbar
sein, sondern wird mittelfristig auch über eine höhere Kreditaufnahme
finanziert werden müssen“.
## Konjunkturprogramm für die Rüstungsindustrie
Aus gutem Grund hatten die Grünen noch in ihrem Bundestagswahlprogramm 2021
das 2-Prozent-Ziel der Nato als willkürlich bezeichnet und für eine „neue
Zielbestimmung“ plädiert, „die nicht abstrakt und statisch ist, sondern von
den Aufgaben ausgeht“. Auch in Bezug auf das im Juni 2022 vom Bundestag mit
verfassungsändernder Mehrheit beschlossene „Sondervermögen“ wäre es
sicherlich effektiver gewesen, erst den realen Bedarf zu ermitteln und sich
dann auf eine entsprechende Summe zu verständigen. So jedoch erscheint der
Geldregen für die Bundeswehr vor allem als Konjunkturprogramm für die
Rüstungsindustrie im In- und Ausland, die sich über Rekordgewinne freuen
kann.
Das Bruttoinlandsprodukt ist ein recht fragwürdiger Maßstab zur Bestimmung
der als notwendig erachteten Militärausgaben. So plant Polen für dieses
Jahr, 4,7 Prozent seines BIP für die Verteidigung auszugeben – womit
Deutschlands Nachbarland Rekordhalter mit großem Abstand vor allen anderen
Nato-Staaten wäre. Aber in der Summe wären das trotzdem „nur“ etwa 41
Milliarden Euro – also nicht einmal die Hälfte der deutschen
Militärausgaben.
Aber was ist überhaupt erforderlich, um die Sicherheit Deutschlands und der
EU zu gewährleisten? Der Linken-Vorsitzende Jan van Aken verweist auf eine
kürzlich [3][von Greenpeace veröffentlichte Studie]. Trotz des
Aufrüstungskurses Putins übertreffen danach die militärischen Kapazitäten
der Nato weiterhin die Russlands in nahezu allen Aspekten – mit Ausnahme
der Atomwaffen, deren Einsatz von welcher Seite auch immer allerdings
ohnehin die Weltvernichtung bedeuten würde.
Besonders bemerkenswert: Schon die europäischen Nato-Staaten alleine geben
bereits jetzt deutlich mehr Geld fürs Militär aus als Russland. Selbst
kaufkraftbereinigt würden 430 Milliarden Dollar der europäischen
Nato-Staaten 300 Milliarden Dollar Russlands gegenüberstehen. „So aggressiv
Russland auch ist – noch mehr Aufrüstung lässt sich aus diesen Zahlen nicht
ableiten“, schlussfolgert van Aken.
20 Jan 2025
## LINKS
[1] /Bundestags-Sondersitzung-zur-Ukraine/!5835039
[2] /Forderungen-von-Donald-Trump/!6057303
[3] /Greenpeace-Mitarbeiter-ueber-Aufruestung/!6048652
## AUTOREN
Pascal Beucker
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