# taz.de -- Bundestags-Sondersitzung zur Ukraine: Deutschland rüstet auf | |
> Kanzler Scholz will nun doch Waffen in die Ukraine liefern. Zudem soll | |
> die Bundeswehr mehr Geld bekommen. Nicht alle im Bundestag finden das | |
> gut. | |
Bild: Debatte im Bundestag: Deutschland rüstet auf und liefert Waffen in die U… | |
BERLIN taz | Zeitenwende. Gleich mehrmals redete Bundeskanzler Olaf Scholz | |
davon, als er am Sonntag zu den Abgeordneten des Deutschen Bundestags | |
sprach. Und tatsächlich trifft kaum ein Wort besser, was sich da gerade | |
vollzieht: eine grundlegende Wende in der Außen- und Sicherheitspolitik. | |
Vor dem Hintergrund des russischen Überfalls auf die Ukraine legten die | |
Abgeordneten am Sonntag im Bundestag die ersten Hebel um. Sie sprachen sich | |
mehrheitlich für Waffenlieferungen an die Ukraine aus und für deutlich | |
steigende Verteidigungsausgaben. 100 Milliarden Euro soll die Bundeswehr | |
als Sondervermögen erhalten, kündigte Scholz an. | |
Das ist mehr als das Doppelte dessen, was der Haushalt des Jahres 2021 an | |
Ausgaben für Hartz-IV-Empfänger:innen vorsieht und mehr als dreimal so viel | |
wie für Bildung und Forschung vorgesehen ist. Zudem kündigte Scholz an, | |
Jahr für Jahr mehr als 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in den | |
Verteidigungshaushalt zu stecken. Aktuell entspräche das mehr als 70 | |
Milliarden Euro. Angesetzt waren bislang 50 Milliarden. In normalen Zeiten | |
wäre ein solcher Vorstoß als verrückt zurückgewiesen worden. Doch die | |
Zeiten sind nicht normal. | |
Die Abgeordneten waren zu einer Sondersitzung zusammengekommen, viele in | |
schwarzer Garderobe, einige in Blau-Gelb, den Farben der Ukraine. Auch der | |
ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, hatte auf der | |
Besuchertribüne Platz genommen – er wurde mit stehenden Ovationen begrüßt. | |
Im Verlauf der Sitzung twitterte Melnyk über diesen „wahrhaft historischen | |
Moment“: Das deutsche Parlament habe den Kampf der Ukraine für Freiheit | |
geehrt. Man freue sich nun auf weitere politische Entscheidungen: Die | |
Aufnahme in die EU und in die Nato. | |
## Linke räumt Fehleinschätzung ein | |
Unberührt ließen die Raketenangriffe auf die ukrainischen Großstädte Kiew | |
und Charkiw, die Bilder von Kindern und Frauen, die in Metro-Stationen | |
Schutz suchten, keine der Abgeordneten. Dass Putin der Angreifer ist, dass | |
der Überfall auf die Ukraine durch nichts und niemanden gerechtfertigt ist, | |
darin herrschte weitgehend Einigkeit. Einzig die Fraktionsvorsitzende der | |
AfD, Alice Weidel, wies dem Westen eine Mitverantwortung zu: Die Ukraine | |
sei mit der Aussicht auf Nato-Beitritt zum Zankapfel gemacht worden, damit | |
sei für Putin eine rote Linie überschritten worden. Eine | |
Argumentationslinie, die lange auch von vielen Linken vertreten worden war. | |
Doch Linken-Fraktionsvorsitzende Amira Mohamed Ali räumte am Sonntag ein, | |
ihre Partei habe die Absichten der russischen Regierung falsch | |
eingeschätzt. Dafür bekam sie Applaus von SPD und Grünen. Als sie jedoch | |
verkündigte, die Linke werde weder Waffenlieferungen noch Militarisierung | |
unterstützen, klatschten nur noch die eigenen Genoss:innen. Es war im gut | |
gefüllten Plenarsaal ein sehr leises Klatschen. | |
Die Linksfraktion war von der Ankündigung des 100-Milliarden-Sondertopfes | |
ziemlich überrumpelt worden. Das sei überraschend gekommen, sagte | |
Parteivorsitzende Janine Wissler der taz. „Auf keinen Fall werden wir der | |
größten Aufrüstung in der Geschichte der Bundesrepublik zustimmen.“ Auch | |
bei den Grünen schienen den Gesichtern nach zu urteilen, viele überrascht. | |
Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann sagte anschließend, ja man werde auch | |
über den Verteidigungsetat reden: „Aber der Ort der Entscheidung ist hier | |
im Parlament.“ Es klang so, als hätten die Grünen noch Diskussionsbedarf. | |
## Unklar wie 100-Milliarden-Topf finanziert wird | |
Für die Union sprach Fraktionschef Friedrich Merz von einem „Scherbenhaufen | |
in der Außen- und Sicherheitspolitik“. Da die Union 16 Jahre lang das | |
Verteidigungsministerium geführt hatte, konnte das eigentlich nur als | |
Selbstkritik gemeint gewesen sein. Doch die war Merz ansonsten ziemlich | |
fremd. Kein Wort über die über Jahre gepflegte Abhängigkeit von fossilen | |
Energieträgern, nichts sagte er dazu, wie diese verringert werden kann. Wie | |
ein Lehrmeister lobte er Scholz für dessen Regierungserklärung und stellte | |
der Ampelregierung Unterstützung vor allem hinsichtlich der steigenden | |
Verteidigungsausgaben in Aussicht. Aber nicht ohne Bedingungen. | |
Bei dem Sondervermögen handele es sich genau genommen um neue Schulden. | |
„Wir müssen darüber reden, wie wir das in der Verfassung verankern, das | |
machen wir aber gemeinsam“, sagte Merz. Die Union werde nicht für | |
unangenehme Dinge den Kopf hinhalten, während die Ampel Wohltaten verteile. | |
In der Verfassung soll festgeschrieben werden, dass der Sondertopf für die | |
Bundeswehr nur für Verteidigungsausgaben und zur Herstellung der | |
Bündnisfähigkeit genutzt wird. Für eine solche Verfassungsänderung brauche | |
die Ampelregierung die Stimmen der Union und die Zustimmung der Länder, wie | |
Finanzminister Christian Lindner (FDP) erläuterte. Unklar ist, wie die | |
neuen Schulden finanziert werden. An der Schuldenbremse will die FDP | |
jedenfalls nicht rütteln: „Die Schuldenbremse gilt“, so Lindner. | |
Merz versetzte der neuen Einigkeit im Bundestag auch gleich noch einen | |
weiteren Dämpfer, als er zu Putins Netzwerk auch deutsche | |
Interessenvertreter zählte, die sich in ihrer Rolle als Stiftungsvertreter | |
wie „nützliche Idioten“ verhalten hätten. Namen nannte er nicht, aber das | |
war ein deutlicher Seitenhieb auf Mecklenburg-Vorpommerns | |
Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD), die lange auf wirtschaftliche | |
Beziehungen zu Russland gesetzt und eigens eine Stiftung „Klima- und | |
Umweltschutz MV“ gründen ließ, deren eigentlicher Zweck die Finanzierung | |
der Fertigstellung der Gaspipeline Nord Stream 2 war. | |
## Bundeswehrmilliarden nicht zu Lasten Energiewende | |
Die ist inzwischen gestoppt. Da die Pipeline bislang nicht in Betrieb war, | |
eher ein symbolischer Akt. Dennoch bezieht Deutschland 55 Prozent seines | |
Erdgases aus Russland, und zwar über andere Trassen. | |
Der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck stellte klar, dass nicht nur | |
die Verteidigung, sondern auch die Energiepolitik eine Frage der nationalen | |
Sicherheit sei. Daher wolle man den Ausstieg von Kohle und Gas deutlich | |
beschleunigen. | |
Habeck machte ebenfalls deutlich, dass die Milliarden für die Bundeswehr | |
nicht zu Lasten der Energiewende gehen dürften – auch dafür seien | |
Investition nötig. Auch Habeck sprach sich für Waffenlieferungen an die | |
Ukraine aus, schlug aber nachdenklichere Töne an: „Die Entscheidung ist | |
richtig, ob sie gut ist, weiß niemand.“ Womöglich liefere man in Zukunft | |
weiter Waffen für einen dauerhaften Krieg. | |
Währenddessen versammelten sich nicht weit vom Reichstag eine halbe Million | |
Menschen, um gegen diesen Krieg zu demonstrieren. Ein Mädchen trug eine | |
Tafel mit durchgestrichenen Atomwaffen. „Wir haben schon genug andere | |
Probleme“, hatte sie dazu geschrieben. Für ihre Generation ist das | |
Zeitalter der neuen Aufrüstung Gegenwart und Zukunft. | |
27 Feb 2022 | |
## AUTOREN | |
Anna Lehmann | |
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