# taz.de -- Erhöhung der Militärausgaben: Kein grünes Licht für 2 Prozent | |
> Olaf Scholz kündigte 100 Milliarden für die Bundeswehr an. Doch in der | |
> Koalition war das wohl nicht abgesprochen. Fix ist der Plan noch nicht. | |
Bild: Schlecht ausgestattet? Zwei Scharfschützen der Bundeswehr auf dem Truppe… | |
BERLIN taz | Die Begeisterung in den Reihen der Grünen hielt sich in | |
Grenzen, als Olaf Scholz am Sonntag im Bundestag ankündigte, die | |
Militärausgaben massiv zu erhöhen. Als der Kanzler [1][die Schaffung eines | |
„Sondervermögens Bundeswehr“ verkündete], waren die Reihen in der Koaliti… | |
zwar noch geschlossen. Das offizielle Bundestagsprotokoll verzeichnete an | |
dieser Stelle „lebhaften Beifall bei der SPD, dem Bündnis 90/Die Grünen und | |
der FDP“. | |
Als Scholz aber im nächsten Satz konkrete Summen nannte – 100 Milliarden | |
Euro für den neuen Bundeswehrtopf und jährlich mehr als 2 Prozent des | |
Bruttoinlandsprodukts fürs Militär –, breitete sich unter den Grünen | |
Irritation aus. Kopfschütteln, Tuscheln, Blicke aufs Handy. „Anhaltenden | |
Beifall bei SPD und FDP“ verzeichnete das Protokoll jetzt, vereinzelt sogar | |
Standing Ovations. Bei den Grünen aber? Nur noch Applaus einzelner | |
Abgeordneter. | |
Deutlich überrascht schienen die Grünen in diesem Moment – ganz so, als | |
seien die Zahlen zwischen Kanzler und Finanzminister abgesprochen gewesen, | |
nicht aber mit den Grünen. | |
Ob es tatsächlich so war? Am Montag, auf der Pressekonferenz nach einem | |
Treffen mit ihrem slowenischen Amtskollegen, weicht Außenministerin | |
Annalena Baerbock, Grüne, der Frage aus. Am Ende einer länglichen Antwort | |
gibt sie aber zumindest einen Einblick in die Tagung des | |
Sicherheitskabinetts am Morgen. „Wir haben deutlich gemacht, dass jede | |
Entscheidung über den Bundeshaushalt am Ende das Parlament trifft“, sagt | |
Baerbock. | |
Und dort, in der Bundestagsfraktion der Grünen, sieht man am Montag noch | |
großen Diskussionsbedarf. Nicht so sehr bei der grundsätzlichen Frage nach | |
einem höheren Verteidigungshaushalt, sehr wohl aber bei den Summen und | |
anderen Fragen der Ausgestaltung. Von „Vorschlägen“ des Bundeskanzlers | |
spricht Fraktionsvize Agnieszka Brugger. Diese würden nun „intensiv | |
beraten“. | |
## „Wir reden über alles noch“ | |
Sebastian Schäfer, Haushaltspolitiker und Realo, nennt höhere | |
Verteidigungsausgaben zwar „richtig“. Er sagt aber auch: „Das muss | |
verbunden sein mit einer schnellen Reform des Beschaffungswesens der | |
Bundeswehr. Denn mehr Geld in ineffiziente Strukturen ist nicht mehr | |
Sicherheit.“ Und Parteichefin Ricarda Lang antwortet auf die Frage, ob die | |
100 Milliarden schon fix seien: „Wir reden über alles noch.“ | |
Kathrin Henneberger, Obfrau für Entwicklungspolitik, erinnert an eine | |
Klausel im Koalitionsvertrag. „Dort steht, dass die Entwicklungsausgaben | |
eins zu eins mit den Militärausgaben steigen sollen. Nach unserem | |
Verständnis gilt das auch weiterhin“, sagt sie. Regierungssprecher Steffen | |
Hebestreit stellt am Montag jedoch klar: Diese Kopplung gelte nicht für den | |
Sonderfonds. Entscheidend sei hier das Wort „Sonder“. | |
Klar ist: Das Geld soll ausschließlich der Bundeswehr zugutekommen. Und | |
zwar, wie Finanzminister Christian Lindner am Montag im „ARD-Morgenmagazin“ | |
erläuterte, mit dem Ziel, „dass wir im Laufe dieses Jahrzehnts eine der | |
schlagkräftigsten Armeen bekommen, eine der am besten ausgerüsteten“. | |
Die Bundeswehr soll demnach künftig aus zwei Töpfen finanziert werden: dem | |
normalen Haushalt und dem Sonderfonds. Der Verteidigungsetat für das Jahr | |
2022 sah bislang 50,3 Milliarden vor. 2 Prozent entsprächen etwa 70 | |
Milliarden Euro. Das zusätzlich nötige Geld werde selbstverständlich aus | |
dem Sondertopf ergänzt, versicherte der Regierungssprecher. | |
## Details in Arbeit | |
Die Details der Konstruktion müssen allerdings noch erarbeitet werden, | |
weshalb die Bundesregierung die Eckpunkte für den Haushalt 2022 eine Woche | |
später als geplant, nämlich am 16. März, vorlegen will. Dass es nicht ohne | |
Einschnitte in anderen Ressorts gehen wird, ist abzusehen. Lindner kündigte | |
jedenfalls schon mal an, man werde in den nächsten Jahren alle öffentlichen | |
Ausgaben priorisieren müssen. | |
Wofür genau die Bundeswehr-Milliarden ausgegeben ausgeben werden – [2][für | |
neue Tornados, Panzer oder Wärmedecken] –, steht ebenfalls noch nicht fest. | |
Der Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums verwies am Montag auf die | |
Hoheit des Parlaments. | |
Das muss den 100-Milliarden-Supersondertopf am Ende beschließen. Eigentlich | |
kann der Bundestag ein Sondervermögen per Gesetz mit einfacher Mehrheit | |
einführen. Die Einrichtung des Sondervermögens „Stärkung der Bundeswehr“ | |
soll jedoch im Grundgesetz abgesichert werden. | |
Grund dafür soll zum einen die Zweckbindung sein: Wenn im Grundgesetz die | |
Verwendung der 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr garantiert ist, kann | |
der Bundestag das Geld nicht in zwei Jahren für die Steigerung der Renten | |
oder für Ähnliches umwidmen. Dazu müsste zunächst erneut das Grundgesetz | |
geändert werden. | |
## Ausnahme von der Schuldenbremse | |
Der zweite Grund für eine Grundgesetzänderung liegt in der Umgehung der | |
Schuldenbremse. Denn die 100 Milliarden, die Scholz für die Bundeswehr | |
ausgeben will, muss sich der Staat erst einmal leihen. Eigentlich darf der | |
Bund laut Grundgesetz pro Jahr nur maximal 0,35 Prozent der | |
Wirtschaftsleistung an neuen Schulden aufnehmen. Derzeit wären das rund 13 | |
Milliarden Euro. | |
Zwar ist die Schuldenbremse für die Bewältigung der Coronapandemie derzeit | |
ausgesetzt. In diesem Jahr will die Bundesregierung noch einmal 99,7 | |
Milliarden neue Kredite aufnehmen. Lindner erklärte aber, dass er die | |
Schuldenbremse ab 2023 wie geplant einhalten will. Deshalb sollen die | |
gesamten 100 Milliarden Euro für den Sondertopf bereits im Haushaltsjahr | |
2022 verbucht werden, auch wenn das Geld zum großen Teil erst in den | |
Folgejahren ausgegeben wird. So habe er das mit Bundeskanzler Scholz | |
besprochen. | |
Eigentlich erlaubt das Grundgesetz die Umgehung der Schuldenbremse nur in | |
Notsituationen. Der desolate Zustand der Bundeswehr ist aber keine | |
Notsituation, sondern ein strukturelles Problem. Um die Bundeswehr mit 100 | |
Milliarden Euro zu stärken, könnte die Schuldenbremse also nicht | |
überschritten werden. Es geht aber doch, wenn die Ausnahme wie jetzt | |
geplant ausdrücklich im Grundgesetz festgeschrieben wird. | |
## Merz will mitreden | |
Auch politisch macht die Grundgesetzänderung für Lindner Sinn. Da nun eine | |
Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat erforderlich ist, müssen | |
CDU/CSU im Parlament und in der Länderkammer zustimmen. CDU-Chef Friedrich | |
Merz hat dies am Sonntag bereits in Aussicht gestellt. Als | |
Mitverantwortlicher kann er dann Finanzminister Lindner nicht mehr so gut | |
wegen dessen Schuldenpolitik angreifen. | |
Friedrich Merz, der auch Fraktionschef der CDU/CSU-Fraktion ist, hatte der | |
Koalition bereits in der Sondersitzung grundsätzlich Unterstützung bei | |
Rüstungsinvestitionen angekündigt. „Wenn Sie eine umfassende Ertüchtigung | |
unserer Streitkräfte wollen, dann werden wir auch gegen Widerstände diesen | |
Weg mitgehen“, sagte Merz im Bundestag. Zurückhaltend aber blieb er, was | |
die Schaffung des Sondervermögens angeht. Darüber müsse man „in Ruhe und im | |
Detail“ sprechen. Was nicht gehe: eine Arbeitsteilung, in der die Union bei | |
den unangenehmen Dingen den Kopf mit hinhalte und die Koalition weiter | |
„alle Wohltaten zulasten der jungen Generation“ verteile. | |
Das kann man durchaus so verstehen, dass die Union nicht nur beim | |
Sondervermögen, sondern auch beim Haushalt mitsprechen will. An welche | |
Bedingungen die Union ihre Unterstützung knüpft und wie sie sich eine | |
Mitsprache genau vorstellt, war am Montag nicht zu erfahren. Aus | |
Unionskreisen hieß es, man warte zunächst auf Details aus der Koalition. | |
Die Linksfraktion hat bereits erklärt, dass sie die Verfassungsänderung | |
rundheraus ablehnen wird. „Angesichts riesiger nationaler und | |
internationaler Herausforderungen wäre es absoluter Irrsinn, militärische | |
Aufrüstung als Verfassungsziel festzulegen“, erklärte der Parlamentarische | |
Geschäfsführer Jan Korte. Allerdings: Die 39 Stimmen der Linken im | |
Bundestag werden für die Grundgesetzänderung nicht gebraucht. | |
1 Mar 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Bundestags-Sondersitzung-zur-Ukraine/!5835039 | |
[2] /Entscheidung-zu-Waffenlieferungen/!5837708 | |
## AUTOREN | |
Anna Lehmann | |
Tobias Schulze | |
Sabine am Orde | |
Christian Rath | |
## TAGS | |
taz на русском языке | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Ampel-Koalition | |
Haushalt | |
Verteidigung | |
Bundeswehr | |
SPD | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Schlagloch | |
taz на русском языке | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Bundesregierung | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Bundestag | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Ampel-Koalition und der Ukraine-Krieg: Die neue Machtarchitektur | |
Mit der Ankündigung von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr überrumpelt | |
Olaf Scholz Teile der SPD-Fraktion und auch die Grünen. | |
Grüne und der Krieg in der Ukraine: Offener Brief gegen offenen Brief | |
Die Grünen ringen um ihren Kurs: Eine Basisgruppe kritisierte deutsche | |
Waffenlieferungen. Die Gegenseite reagiert mit einer Solidaritätsnote. | |
Aufrüstung der Bundeswehr: Das große Sprechen | |
Inmitten des Kriegs gegen die Ukraine lässt der Sound der Wehrhaftigkeit | |
kaum Platz für Diskussionen. Klimafeindliche Rüstung geht kritiklos durch. | |
Aufrüstung in Deutschland: Der Coup des Kanzlers | |
Bei SPD und Grünen formiert sich zaghaft Widerstand gegen Olaf Scholz’ | |
Aufrüstungspläne. Manche fürchten, dass das Geld woanders fehlen könnte. | |
Debatte um Aufrüstung: CDU will Wehrpflicht zurück | |
Angst vor Atomkrieg und Aufrüstung nutzen Politiker der CDU, um eine neue | |
Wehrpflicht zu fordern – oder wie sie es nennen: ein „Gesellschaftsjahr“. | |
100 Milliarden Euro für die Bundeswehr: Schlechte Ausstattung für viel Geld | |
Das Beschaffungswesen ist die Achillesferse der Bundeswehr. Nun soll die | |
Bürokratie modernisiert werden. Doch daran sind schon einige gescheitert. | |
Regierungserklärung zum Ukrainekrieg: Scholz, der Kriegskanzler | |
Die pazifistische Tradition der SPD endet im Februar 2022. Aus gutem Grund. | |
Nur: Aus einer Ausnahmesituation darf jetzt kein Militarismus werden. | |
Russlands Überfall auf die Ukraine: Wider den Angriffskrieg | |
Wer im Krieg wegschaut, stellt sich auf die Seite des Aggressors. Heißt | |
auch: In der Ukraine entscheidet sich die Zukunft der Weltordnung. | |
Bundestags-Sondersitzung zur Ukraine: Deutschland rüstet auf | |
Kanzler Scholz will nun doch Waffen in die Ukraine liefern. Zudem soll die | |
Bundeswehr mehr Geld bekommen. Nicht alle im Bundestag finden das gut. |