# taz.de -- Aufrüstung der Bundeswehr: Das große Sprechen | |
> Inmitten des Kriegs gegen die Ukraine lässt der Sound der Wehrhaftigkeit | |
> kaum Platz für Diskussionen. Klimafeindliche Rüstung geht kritiklos | |
> durch. | |
Bild: Verabschiedung eines Schiffs der deutschen Marine | |
Müssen jetzt alle gleich denken, meinen, fühlen? Krieg hat eine | |
kollektivierende Wirkung, im Guten wie im Schlechten. Wunderbar das Ausmaß | |
an Anteilnahme; so kann Solidarität aussehen, wenn sie nicht beeinträchtigt | |
wird durch Spaltungen und rassistische Vorbehalte, wenn sie europäischen | |
Menschen gilt, Unsrigen – vielleicht gestern noch nicht ganz unsrig, aber | |
doch heute. Und ja, gewiss, auch ich habe demonstriert, gespendet, | |
[1][Empathie gezeigt]. | |
Aber da ist eine neue Art von Pandemie, sie ist geistig-politischer Art, | |
ein mentales Strammstehen, das sich über Nacht unter jenen verbreitet hat, | |
die öffentlich Stimme haben. Das Große Sprechen, nennen wir es so. Es | |
erklärt aus dem Heute des Kriegs rückwirkend die letzten 30 Jahre, als | |
hätte es nie Alternativen zu der Situation gegeben, in der sich Europa | |
heute befindet, und als wäre Putin schon in der Wiege ein Kriegsverbrecher | |
gewesen. | |
Nein, ich relativiere seine Schuld nicht; dies ist ein durch nichts zu | |
rechtfertigender Angriffskrieg. Aber ich finde nach wie vor, dass bei der | |
Auflösung des Warschauer Pakts die Chance vertan wurde, gleichfalls [2][die | |
Nato aufzulösen]. In Alternativen zu denken, nach vorne ebenso wie | |
rückblickend, passt nicht in den neuen Sound der Wehrhaftigkeit. | |
Im Großen Sprechen mischen sich altbekannte rechte Schlagworte (zu viel | |
Genderkram, Wokeness, Kirchentag) mit einer neuen unterwürfigen Kultur der | |
Selbstbeschuldigung bei Demokraten, Grünen, Linken. Dazu das Windgebläse | |
des medialen Überbietungswettbewerbs: Wo ist noch eine heilige Kuh aus | |
Vorkriegszeiten, die wir schlachten können? Eine EU-Atommacht läge auf der | |
Hand, lese ich. | |
## Antimilitarismus auf der Anklagebank | |
Als Folge des Kriegs sitzen nun Zivilität und Antimilitarismus auf der | |
Anklagebank – welch fatales Echo auf Putins Welt. Warum so wenig Kritik an | |
einem [3][Aufrüstungsvorhaben], das kurzfristig niemandem in der Ukraine | |
hilft, aber parlamentarische Entscheidungsgewalt über Jahre außer Kraft | |
setzt? Klimafeindliche Rüstung als Verfassungsziel? Hat jemand dafür grün | |
gewählt? Wer gestern noch Bedenken gegen bewaffnete Drohnen hatte, lässt | |
sich heute stummschalten, ohne Not. | |
Nicht Putins Invasion, sondern die Reaktion darauf bringt eine Zeitenwende, | |
einen Paradigmenwechsel in die falsche Richtung – sofern es der neuen, | |
diversen Friedensbewegung nicht gelingt, andere Prioritäten zu setzen, | |
gegen das eisenhaltige Große Sprechen. Die Verehrung des Militärischen geht | |
einher mit dem Herbeireden einer neuen bipolaren Weltordnung. Sie ist | |
proamerikanisch, antirussisch, antichinesisch, und alle übrigen Erdbewohner | |
sollen sich irgendwo hinten einreihen. | |
Der Überfall auf die Ukraine ist ein Einschnitt und eine Tragödie. Aber er | |
markiert weder „[4][The Return of History]“ noch den alles entscheidenden | |
Epochenwechsel. Sondern er ist Teil des bitteren Kampfes um eine neue | |
Weltordnung, der längst im Gange ist, auf vielen Schauplätzen und mit einer | |
Riege von Akteuren. Europa ist nicht mehr die Bühne der Welt, wo sich alles | |
entscheidet. Und Aufrüstung wird den strukturellen Abstieg des Westens im | |
globalen Gefüge nicht aufhalten können – ein Abstieg, der ja die Basis des | |
neuen globalen Ringens um Einflusssphären ist. | |
## In Mali ist Putin ein Held | |
Und die bis gestern prioritär behandelten Feindbilder waren darauf durchaus | |
eine Antwort. Die sogenannte Mullah-Bombe wurde lange als größte Bedrohung | |
des Weltfriedens gehandelt. Iran schaut nun mehr nach China und Indien, | |
erwartet vom Westen weniger als 2015. Nicht in die Knie gegangen durch | |
Sanktionen, ist Iran ein Beispiel für die kurze Reichweite bipolarer | |
Weltdeutung. | |
Oder Westafrika: Die Eindämmung von Terrorismus und Migration aus dem Sahel | |
wurde als Top-Thema europäischer Sicherheit definiert. Der Feind kam seit | |
9/11 statt aus Moskau aus dem Islam und dem globalen Süden, irreguläre | |
Kriege bestimmten die Zukunft, hieß es allenthalben. Geleitet vom Primat | |
des Militärischen wurde das Vorgehen in Mali zum Fiasko. Nun versucht | |
Frankreich, das Scheitern seiner teuren Spezialkräfte – sie kosteten pro | |
Jahr doppelt so viel wie Mali für seine ganze Sicherheitspolitik zur | |
Verfügung hat – [5][auf Machenschaften Moskaus und Putin-Sympathien der | |
malischen Führung] abzuwälzen. | |
In deutschen Ukraine-Sondersendungen sah man mehrfach ein verschwommenes | |
Bild von 2020, von jenen Offizieren, die gerade die Macht in Mali | |
übernommen hatten. Ein Videostill ohne Ton suggeriert: So sehen Putins | |
afrikanische Freunde aus. Mit Ton würde man hören, wie die Militärs in | |
diesem Moment den französischen Soldaten ihre „Waffenbrüderschaft“ | |
versicherten. Inzwischen haben sie sich der antifranzösischen Stimmung der | |
Straße angeschlossen, die genährt wurde durch Enttäuschung ebenso wie durch | |
Wut über französische Arroganz. | |
Malis Erwartung, es könne zugleich mit dem Westen und mit Russland | |
kooperieren, war naiv, hatte aber Gründe: Die tonangebenden Offiziere | |
wurden hier wie dort ausgebildet, in Europa, den USA, Russland, China. Das | |
malische Staatsfernsehen blendete triumphierend Kamala Harris’ Rede von der | |
Münchner Sicherheitskonferenz ein, als sie das Recht auf freie Wahl | |
militärischer Bündnispartner betonte. Natürlich meinte Harris die Ukraine, | |
nicht Mali. | |
Der Kampf um mehr Souveränität, der einige Länder Westafrikas gerade | |
umtreibt, äußert sich bei manchen jungen Männern durchaus als | |
Putin-Verehrung. Sie sehen in ihm nicht den steinreichen Führer einer | |
globalen weißen Rechten, sondern er ist der starke Mann, in dem die eigene | |
Schwäche aufgehoben scheint. Er zeigt einem Westen, einem Europa, das der | |
junge Schwarze nur unter Gefahr des Ertrinkens erreichen kann, die Faust. | |
Die Szene erinnert uns daran, was alles nötig ist, um den Altermondialismus | |
nicht durch das Große Sprechen ersticken zu lassen. | |
2 Mar 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Brandenburger-Tor-in-Blau-Gelb/!5833923 | |
[2] /Kommentar-zum-Gipfel-in-Bruessel/!5517381 | |
[3] /Bundestags-Sondersitzung-zur-Ukraine/!5835039 | |
[4] https://www.nytimes.com/2008/05/18/books/review/Sanger-t.html | |
[5] /Malis-Putschregierung-holt-Verstaerkung/!5801894 | |
## AUTOREN | |
Charlotte Wiedemann | |
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