# taz.de -- Hybride Kriegsführung: Angriff auf die Lebensadern | |
> Versorgungswege und Energieanlagen in Deutschland werden immer häufiger | |
> zum Ziel hybrider Kriegsführung. Was tut die Politik, um uns zu schützen? | |
Bild: War es Sabotage? Der chinesische Frachter Yi Peng 3 steht im Verdacht, zw… | |
Als am frühen Montagmorgen eine DHL-Maschine, gestartet in Leipzig, einen | |
Kilometer [1][vor dem Flughafen im] [2][litauischen] [3][Vilnius aufschlägt | |
und in Flammen aufgeht,] schrillen in den deutschen Sicherheitsbehörden die | |
Alarmglocken. Verbündete Geheimdienste werden kontaktiert, Ermittler nach | |
Litauen geschickt. Denn sofort werden Erinnerungen wach, an den Juli dieses | |
Jahres. | |
Damals war am Flughafen Leipzig in einem DHL-Paket ein Brandsatz | |
explodiert, kurz vor der Verladung. Die [4][Bundesanwaltschaft ermittelt, | |
deutsche Sicherheitsbehörden machen Russland verantwortlich]. Denn auch in | |
Polen und England tauchten Brandsätze in Paketen auf. Anfang November kam | |
es zu Festnahmen von Verdächtigen in Litauen. Hätte der Brandsatz im | |
Flugzeug gezündet, hätte es eine Katastrophe gegeben, erklärte der damalige | |
Verfassungsschutzchef Thomas Haldenwang. „Die Trümmer hätten hier in | |
Deutschland auch all die Menschen treffen können, die mit Putin und seinem | |
Regime sympathisieren.“ | |
Was zum Absturz der Frachtmaschine in Vilnius führte, ist derzeit unklar. | |
Konkrete Hinweise auf einen russischen Sabotageakt haben die Ermittler | |
bisher nicht. Wahrscheinlich seien ein technischer Defekt oder menschliches | |
Versagen, heißt es von ihrer Seite. Aber die Behörden, ebenso wie | |
Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) oder BND-Chef Bruno Kahl, | |
schließen Sabotage weiterhin nicht aus. Der Verdacht sei „naheliegend“, | |
sagt Kahl. Wladimir Putin wolle schließlich Zweifel und Angst in Europa | |
säen – und die Unterstützung der Ukraine unterminieren. | |
Frachttransporte wie die DHL-Maschine, Versorgungswege für Lebensmittel, | |
Medikamente und Treibstoffe oder auch Strom-, Wasser- und Heizanlagen | |
gehören zur sogenannten kritischen Infrastruktur, auch Kritis genannt. In | |
Kriegszeiten sind auch sie Ziel von Sabotage, Cyberangriffen und | |
gewaltsamer Zerstörung. In Deutschland und in den europäischen Staaten | |
warnen Sicherheitsbehörden seit Langem vor Attacken auf die kritische | |
Infrastruktur – und seit Beginn der russischen Invasion in der Ukraine | |
2022 mit besonderem Nachdruck. | |
## Knapp 20 Vorfälle allein in Deutschland | |
Nach taz-Informationen zählten Sicherheitsbehörden in diesem Jahr bereits | |
knapp 20 Sicherheitsvorfälle allein in Deutschland, bei denen Russland als | |
Verursacher im Verdacht steht. Dazu gehören Drohnenüberflüge über Anlagen | |
kritischer Infrastruktur oder die Festnahme zweier Deutschrussen in | |
Bayern, die Anschläge auf Kasernen geplant haben sollen. Ein ähnlicher Fall | |
war gerade erst [5][das zerstörte Unterseekabel zwischen Finnland und | |
Deutschland], offenbar durch einen absichtlich über den Meeresboden | |
gezogenen Anker eines chinesischen Frachtschiffs. Verteidigungsminister | |
Boris Pistorius (SPD) spricht von Sabotage, Baerbock von „hybrider | |
Kriegsführung“. | |
BND-Chef Kahl warnte zuletzt, dass Russland „mit allen Mitteln, ohne | |
rechtliche Beschränkungen, ohne jeglichen Skrupel“ vorgehe. Putin werde die | |
Konfrontation „weiter eskalieren“. Ab Ende des Jahrzehnts wären russische | |
Streitkräfte in der Lage, einen Angriff auf die Nato durchzuführen – vorher | |
werde versucht, die Bündnisländer zu spalten. | |
Doch die deutsche Politik reagiert langsam. Im Koalitionsvertrag von 2021 | |
hatte die Ampel ein [6][Kritis-Dachgesetz] versprochen, um Mindeststandards | |
für den physischen Schutz solcher Einrichtungen anzugehen. Auch eine | |
EU-Richtlinie von 2022 fordert das ein, die CER-Richtlinie – Ausgangspunkt | |
war die Attacke auf die Nord-Stream-Gaspipelines im Jahr 2022. Deutsche | |
Firmen, die etwa im Bereich Energie, Verkehr oder Gesundheitswesen tätig | |
sind, sollen künftig zu mehr Schutz verpflichtet werden. Das kann eine Art | |
Werkschutz sein, eine Notstromversorgung oder Baumaßnahmen. Rund 1.500 | |
Firmen betrifft dies. | |
Der Gesetzentwurf wurde heftig kritisiert – und das obwohl das Thema auch | |
in der Nationalen Sicherheitsstrategie, die im Sommer 2023 verabschiedet | |
wurde, zentral ist. Für Unternehmen blieb unklar, ob sie betroffen sind und | |
welche Maßnahmen genau sie umsetzen sollten, Verbände kritisierten die | |
vielen Ausnahmen. Die Ampel besserte nach, der finale Gesetzentwurf ging am | |
6. November durchs Kabinett – wenige Stunden bevor die Koalition zerbrach. | |
## Union blockt bei Kritis-Dachgesetz ab | |
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) appelliert an die Union, das | |
Kritis-Dachgesetz – und auch das ebenfalls noch offene zur Cybersicherheit | |
– noch in dieser Legislatur zu verabschieden. Diese enthalten „herausragend | |
wichtige Maßnahmen für die Funktionsfähigkeit der Wirtschaft, für eine | |
sichere Versorgung und eine schnellere Bewältigung von Krisen“, so ein | |
Sprecher. Auch der Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz tritt vehement | |
dafür ein. „Hier ist Gefahr im Verzug“, warnt er. „Die Bedrohungslage ist | |
massiv und völlig unterschätzt, der Schutz der deutschen Kritischen | |
Infrastruktur miserabel. Jeden Tag kann es zum nächsten Vorfall kommen.“ | |
Man könne daher nicht monatelang warten, bis eine neue Regierung sich | |
wieder des Themas annehme. | |
Die Union aber blockt ab. Fraktionsvize Andrea Lindholz sagte der taz, es | |
bleibe dabei, dass nur noch Vorhaben, die „absolut notwendig“ seien, | |
zugestimmt werde. Der Schutz Kritischer Infrastrukturen gehöre zwar „ohne | |
Zweifel“ dazu. Aber wie dieser Schutz verbessert werden könne, „will sehr | |
gut überlegt und diskutiert sein“. Auch die Ampel habe ja darüber zwei | |
Jahre diskutiert. Soll heißen: Einen schnellen Beschluss wird es nicht | |
geben. | |
Auch CDU-Sicherheitsexperte Roderich Kiesewetter sieht Deutschland beim | |
Schutz kritischer Infrastruktur schlecht aufgestellt – und hält das | |
Kritis-Dachgesetz für überfällig. Aber: Es bringe keinerlei | |
„Fähigkeitenaufbau“ und helfe auch nicht bei hybriden Angriffen, die von | |
Staaten ausgehen, so Kiesewetter zur taz. Aus seiner Sicht trügt die | |
Annahme, dass mit dem Kritis-Gesetz allein eine Lösung geboten wird, um | |
sich gegen Attacken der hybriden Kriegsführung zu schützen. | |
Nicht nur in Deutschland, auch auf EU- und Nato-Ebene rechnet man mit | |
zunehmenden Angriffen. Ein zeitlicher Marker ist die Amtsübernahme des | |
künftigen US-Präsidenten Donald Trump im Januar 2025. Kiesewetter ist | |
überzeugt, dass genau diese Phase bis dahin genutzt wird „um Angst und | |
Schrecken in Europa zu verbreiten“ mit „hybriden Terrorangriffen, | |
insbesondere Sabotage, auch gezielt militärische Fähigkeiten | |
einzuschränken“. Neben Deutschland gehörten zu den Zielstaaten auch Polen | |
oder die baltischen Staaten. | |
## „Spekulieren tunlichst unterlassen“ | |
Wie viel bei der kritischen Infrastruktur noch zu tun ist, zeigt der | |
aktuelle Jahresbericht des Bundesamts für Sicherheit in der | |
Informationstechnik. So konnten beim Punkt Cybersicherheit von 671 | |
gelisteten Betreibern in den vergangenen zwei Jahren nur 140 ihren Schutz | |
verbessern. Faesers Ministerium betont, dass derzeit bundesweit 130 | |
Maßnahmen zum Schutz der kritischen Infrastruktur, der zivilen | |
Verteidigung, des Bevölkerungsschutze, der Cybersicherheit und der | |
„Widerstandsfähigkeit“ laufen. | |
Manuel Atug von der unabhängigen AG Kritis, die für eine bessere | |
Versorgungssicherheit der Bevölkerung eintritt, fordert schon lange einen | |
besseren Schutz der kritischen Infrastrukturen. Das Dachgesetz kritisiert | |
Atug zwar als „Flickenteppich“. „Dennoch ist es besser als nichts und | |
sollte schnell verabschiedet werden. Danach kann und muss erheblich | |
nachgebessert werden.“ Atug warnt aber wie CDU-Mann Kiesewetter, alle | |
Hoffnungen auf das Gesetz zu setzen. „Bis all die vorgesehenen Maßnahmen | |
umgesetzt sind, wird ein Sicherheitsgewinn erst in fünf bis zehn Jahren | |
entstehen.“ | |
Vielmehr müssten Politik und Behörden schon heute konkrete Schritte | |
einleiten. Statt wie Faeser etwa nur pauschal mehr Bundespolizisten zu | |
fordern, sollten lieber etwa weitere Notfallentstörtrupps bei der Bahn | |
aufgebaut werden, die im Fall von Sabotagen an Trassen ausrücken und diese | |
dadurch möglichst wirkungslos „verpuffen“ lassen. | |
Und Atug appelliert auch, keine Panik zu schüren. „Wenn es wie im Fall | |
Vilnius keine belastbaren Fakten gibt, sollte man das Spekulieren tunlichst | |
unterlassen. Russland ist ohne Frage eine Bedrohung. Aber das ständige | |
unbestätigte Suggerieren schafft genauso Verunsicherung und spielt Moskau | |
in die Karten.“ | |
## Kehrtwende beim Zivilschutz | |
Angesichts der offenen Drohungen Russlands gegen Europa vollzieht | |
Deutschland auch eine Kehrtwende im Zivilschutz – und will Bunker wieder | |
reaktivieren. Von ursprünglich 2.000 öffentlichen Bunkern existieren | |
derzeit „formal“ noch 579, mit rund 480.000 Schutzplätzen, so eine | |
Sprecherin des [7][Bundesamts für Bevölkerungsschutz und | |
Katastrophenhilfe]. Diese aber seien allesamt „weder funktions- noch | |
einsatzbereit“, da 2007 Bund und Länder beschlossen hatten, die | |
Bunkeranlagen aufzugeben. Nach dem Angriff auf die Ukraine erfolgte der | |
Plan eines „flächendeckenden“ Wiederaufbaus – inklusive Schutzräume in | |
privaten Kellern. | |
Grünen-Politiker von Notz hofft auf eine klare Linie der Bundesregierung. | |
„Wir können das nicht weiter durchgehen lassen, sondern brauchen mit | |
unseren Partnern abgestimmte Reaktionen auf solche Angriffe. Andernfalls | |
werden die Diktaturen dieser Welt immer weitere, immer heftigere | |
Provokationen folgen lassen.“ | |
30 Nov 2024 | |
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## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
Tanja Tricarico | |
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