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# taz.de -- Anschläge vor Bundestagswahl: „Der Verdacht ist plausibel“
> Sicherheitsbehörden prüfen, ob Russland mit den Anschlägen vor der
> Bundestagswahl zu tun hatte. Abgeordnete fordern mehr Gegenwehr der
> Neuregierung.
Bild: Cyber-Abwehrzentrum der Deutschen Telekom
Berlin taz | Die letzte Tat erfolgte nur zwei Tage vor der Bundestagswahl.
Ein 19-jähriger Syrer [1][stach am Berliner Holocaustmahnmal einen
spanischen Touristen nieder]. Eine Woche zuvor war [2][ein 24-jähriger
Afghane in München mit einem PKW in eine Verdi-Demonstration gefahren],
eine Mutter und ihr zweijähriges Kind starben. Wieder drei Wochen zuvor
erstach in Aschaffenburg [3][ein 28-jähriger Afghane einen Mann und einen
zweijährigen Jungen]. Kurz vor Weihnachten fuhr in Magdeburg [4][ein Mann
aus Saudi-Arabien mit einem Auto in den Weihnachtsmarkt], tötete sechs
Menschen. Und schon im August 2024 hatte ein Syrer in Solingen [5][drei
Menschen erstochen], im Mai [6][ein Afghane in Mannheim einen Polizisten
und den Islamfeind Michael Stürzenberger] und vier weitere Menschen
verletzt.
Sechs schwerste Gewalttaten, innerhalb weniger Monate. [7][Es war stets die
AfD, die die Taten politisch ausschlachtete.] Und die bei der
Bundestagswahl am 23. Februar dann ihr Ergebnis auf 20 Prozent verdoppelte,
nun stärkste Opposition im Parlament ist. Kurz nach der Wahl folgte noch
die [8][PKW-Attacke eines Deutschen in Mannheim], mit zwei Toten. Seitdem
ist die Reihe der Anschläge vorerst geendet.
Doch nun werden Fragen immer lauter: Ist diese Anschlagshäufung rund um die
Wahl wirklich Zufall? Oder steckt mehr dahinter? Womöglich gar Russland,
dem die Sicherheitsbehörden schon länger vorwerfen, [9][einen hybriden
Krieg in Europa anzuzetteln]?
Es sind Fragen, die zunächst als Verschwörungsmythen abgetan wurden. Zu
unterschiedlich waren die Taten und die Täter. In Aschaffenburg tötete ein
psychisch Erkrankter, in Magdeburg ein schon viele Jahre in Deutschland
lebender Psychiater, in München ein blitzradikalisierter Islamist. Aber
unter Bundestagsabgeordneten wird die These der russischen Beeinflussung
dieser Anschläge inzwischen nicht mehr gänzlich abgetan – und das
parteiübergreifend.
## „Die Häufung ist auffällig“
„Die Vorgehen würde jedenfalls in den Modus Operandi Russlands passen, um
für Verunsicherung in der deutschen Bevölkerung zu sorgen“, sagt der
[10][CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter]. „Deshalb muss diesen
Hinweisen nachgegangen werden.“ Auch der [11][Grünen-Innenexperte
Konstantin von Notz] erklärt: „Die Häufung der Anschläge um den den Termin
der Bundestagswahl ist auffällig und deswegen sollten alle möglichen
Hintergründe der Taten sehr ernsthaft geprüft und ausermittelt werden.“ Der
FDP-Innenpolitiker Konstantin Kuhle sagt: „Der Verdacht ist plausibel.“
Alle drei sitzen aktuell im Parlamentarischen Kontrollgremium des
Bundestags, das regelmäßig vertraulich über die Arbeit der deutschen
Geheimdienste informiert wird – auch der Liberale Kuhle noch, solange sich
das Gremium noch nicht wieder neu konstituiert hat.
Der Modus Operandi Russlands, das waren zuletzt mindestens hybride
Nadelstiche. [12][Schon seit Monaten warnen der BND und das Bundesamt für
Verfassungsschutz vor einem immer aggressiveren Auftreten Russlands und
dortigen Kriegsvorbereitungen], die über die Ukraine hinausgehen. BND-Chef
Bruno Kahl erklärte, Putin teste fortlaufend „rote Linien“ des Westens aus,
„ohne jeglichen Skrupel“, und werde die „Konfrontation weiter eskalieren�…
Deutschland sei erklärter „Feind“.
Auch der Verfassungsschutz warnte erst vor wenigen Tagen in einer Analyse
vor „aggressiven Handlungen Russlands“, die Gefahrenlage habe sich
„deutlich verschärft“. Der „Werkzeugkoffer“ sei dabei groß:
Drohnenüberflüge über Militärgelände, gesteuerte Social Media Kampagnen,
Cyberangriffe. Aber würde Russland auch zu Anschlägen anstacheln?
## Behörden nehmen Verdacht „sehr ernst“
Die Sicherheitsbehörden gehen dieser These zumindest nach. In dortigen
Kreisen wird betont, dass eine mögliche Steuerung der Anschläge durch
russische Stellen „sehr ernst“ genommen und „fortwährend“ in die
Lagebewertungen einbezogen werde. Aber: „Eine Verbindung der Sachverhalte
ist nach derzeitigem Stand für uns nicht ersichtlich“, erklärt eine
Sprecherin des Bundesamts für Verfassungsschutz. Gleiches hört man auch vom
BKA und BND.
Auch ein Sprecher des Bundesinnenministeriums betont, dass die Ermittlungen
„offen und in jede Richtung geführt“ würden. Es werde „sehr genau“ ge…
ob es Zusammenhänge zwischen den Taten gebe und ob diese gesteuert worden
sein könnten. Bisher aber gebe es dafür „keine belastbaren Anhaltspunkte“.
Das ZDF meinte diese Woche einen solchen Anhaltspunkt gefunden zu haben.
Der Sender berichtete [13][über Google-Suchanfragen] aus Russland bereits
vier Tage vor dem Messerangriff von Mannheim am 31. Mai 2024: nach
„Terroranschlag in Mannheim“, „Michael Stürzenberger Anschlag“ oder
„Michael Stürzenberger erstochen“. War Moskau also schon vor der Tat
zumindest im Bilde?
Sicherheitsbehörden stellen die Vermutung deutlich infrage. Ergebnisse über
Google Trends seien bei kleinen Stichproben wie in diesem Fall weder
zeitlich noch örtlich genau zuordenbar, es würden nur Wahrscheinlichkeiten
errechnet, heißt es dort. Ein Bezug sei so auch für andere Länder
reproduzierbar, auch könnte die Suchanfragen letztlich doch nach der Tat
getätigt worden sein.Die Methode sei „nicht valide einsetzbar“. Das
Oberlandesgericht Stuttgart, wo derzeit der Prozess zur Messertat von
Mannheim läuft, forderte LKA und Bundesanwaltschaft dennoch auf, mögliche
Erkenntnisse zum Vorfeld der Frage mitzuteilen.
## Auffällig: mehrere „blitzradikalisierte“ Attentäter
Auffällig ist, dass die Mannheim-Tat kurz vor der Europawahl stattfand. Und
dass der Täter Sulaiman A. lange als gut integriert galt und sich dann
plötzlich radikalisierte. Vor der Tat chattete A. auf Telegram auch mit
einem „Gelehrten“ in Afghanistan – der ihm eine Art Freibrief zum „Töt…
erteilte. Wer dieser Gelehrte war und mit wem dieser wiederum in Kontakt
stand, konnten die Behörden bisher nicht ermitteln. Aber auch in diesem
Fall bleiben sie dabei: Konkrete Hinweise auf eine russische Einflussnahme
gebe es bisher nicht.
Eine solche Blitzradikalisierung gab es jedoch auch im Fall des
afghanischen Täters der PKW-Attacke von München, der zuvor als
Fitnessinfluencer auftrat. Auch der Syrer, der am Berliner Holocaustmahnmal
zustach, war vorher nicht mit extremistischen Taten aufgefallen. Warum sich
die beiden so plötzlich radikalisierten, wirft für die Ermittler Fragen
auf. Allerdings: Es war auch der Nahostkrieg, der zuletzt vielfach zuvor
Unauffällige radikalisierte. Und immer wieder gibt es bei Anschlägen den
Effekt, dass sich Täter von vorherigen Attentaten inspirieren lassen und so
eine Kette an Taten folgt.
Dass Russland Wahlen in Deutschland im Visier hat, ist unstrittig, wie auch
[14][eine taz-Recherche] zeigte. Die russische Desinformationsagentur
„Social Design Agency“ (SDA) hatte in internen Dokumenten bereits zur
Europawahl eine „umfassende Gegenkampagne gegen die liberalen Globalisten“
durchgeführt, mit Deutschland als einem Zielland – und im Anschluss über
den damaligen AfD-Erfolg von 17 Prozent jubiliert.
## Desinformation gegen die Bundestagswahl
Russische Desinformationskampagnen hatten auch die jüngste Bundestagswahl
im Visier. Der Verfassungsschutz berichtet von „anhaltenden, auf die Wahl
gerichteten Einflussnahmeversuchen“, die anstiegen, je näher der Wahltermin
rückte. Mit dabei gewesen sei wieder die „Doppelgänger“-Kampagne der SDA,
die sich gefälschter Nachrichtenseiten und Social Media Profile bedient.
Dazu kam die Kampagne „Storm-1516“, die ebenfalls prorussische Beiträge
verbreitete. Behauptet wurde etwa, Friedrich Merz habe psychische Probleme.
Und es bleibt nicht bei Desinformation. So war bereits im Juli 2024 [15][am
Flughafen Leipzig ein DHL-Paket explodiert], gleiches auch in Birmingham
und Warschau, wofür russische Geheimdienste verantwortlich gemacht werden.
Wäre dies in einem Flugzeug passiert, hätte es zu Toten kommen können. Kurz
zuvor waren zwei Deutschrussen festgenommen worden, denen Anschlagspläne
auf deutsche Kasernen vorgeworfen werden. Dazu kommen zerstörte
Unterseekabel und eine [16][„Schattenflotte“] in der Ostsee.
Zuletzt warnten BND und Verfassungsschutz auch vor dem Einsatz von
sogenannten Low-Level-Agenten durch Russland: Kleinkriminelle, die über
Social Media für einzelne Ausspäh- oder Sabotageaktionen angeworben und
bezahlt würden – und deren Taten sich schwer zuordnen ließen. Solche
„Agenten“ sollen hierzulande zuletzt auch für eine [17][Sabotageserie an
rund 270 Autos mit Bauschaum] und für beschmierte Parteiplakate vor der
Bundestagswahl verantwortlich gewesen sein. Bekannt ist auch, dass ein
russischer Geheimdienst in Afghanistan bereits Jahre vor der
Taliban-Machtübernahme Menschen Geld für Terroranschläge im Land angeboten
haben soll.
## „Es läuft sehr gut für Moskau“
Für die Bundestagsabgeordneten sind all das Indizien, die sie auch bei der
jüngsten Anschlagswelle argwöhnisch machen. „Die Täter müssen ja nicht mal
wissen, dass sie ihren Anschlag für Russland begehen“, sagt FDP-Mann Kuhle.
„Hauptsache, sie tun es.“ CDU-Politiker Kiesewetter betont: Die politische
Entwicklung nach der Wahl jedenfalls laufe im Sinne Moskaus. Die
russlandnahe AfD sei gestärkt, die moskau-kritischen Grünen aus der
Regierung ausgeschieden. „Es läuft sehr gut für Moskau“, so Kiesewetter.
Union und SPD kündigen in ihrem Koalitionsvertrag nun einen „Kampf gegen
hybride Bedrohung“ an, mit einer Stärkung des BKA, um Spionage und Sabotage
einzudämmen. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik soll
zur Zentralstelle für Cybersicherheit, der Zivilschutz gestärkt, eine
Drohnenabwehr eingeführt werden. Dazu soll das ebenso schon lange
diskutierte Gesetz zum Schutz der Kritischen Infrastruktur endlich
kommen.Und die Sicherheitsbehörden bekommen neue Überwachungsbefugnisse wie
die seit Jahren strittige Vorratsdatenspeicherung, Staatstrojaner oder
[18][KI-Datenrecherchesysteme wie Palantir].
Konstantin von Notz überzeugt das nicht. „Insgesamt wird dieser
Koalitionsvertrag den sehr ernsten sicherheitspolitischen
Herausforderungen, mit denen wir uns weiterhin konfrontiert sehen, nicht
ansatzweise gerecht“, kritisiert der Grüne. „Eine kohärente, moderne
Sicherheitspolitik, die neue Bedrohungsszenarien mitdenkt und alle Akteure
einbezieht, wird noch immer nicht verfolgt. Das ist bitter.“
## Kritik am Koalitionsvertrag
Selbst CDU-Mann Kiesewetter ist nicht zufrieden. Zu hybriden Bedrohungen
stünden im Koalitionsvertrag „sehr viele sinnvolle Maßnahmen, die jedoch
noch nicht konkretisiert sind“, sagt er. „Mir persönlich bleiben etwa die
Dringlichkeit und die konkreten Befugnisse im Bereich offensiver
Cyberoperation, Abschreckung oder dem Abdrängen der Schattenflotte zu
unklar.“
Auch brauche es für eine Gesamtverteidigung ausreichend Personal, „das nur
durch einen Gesellschaftsdienst entsteht“, ebenso eine Priorisierung der
Ressourcen. „Deshalb muss klar geregelt sein, dass eine Resilienz und
operative Fähigkeiten gegen hybride Bedrohungen und Angriffe wichtiger ist
als manche Klientelprojekte“, fordert Kiesewetter. Es bleibe abzuwarten,
wie konkret die Pläne in diesem Bereich umgesetzt würden und vor allem
wann.
Und Kiesewetter plädiert auch dafür, bei den Anschlägen vor der Wahl
Klartext zu sprechen, sobald eine russische Einflussnahme belegbar sein
sollte. „Wir müssen die Angriffe und Gefahren klar benennen und ihnen
entschieden entgegentreten“, so der CDU-Mann. „Sonst wird Russland sein
Austesten von uns immer weiter zuspitzen.“
11 Apr 2025
## LINKS
[1] /Angriff-am-Holocaust-Mahnmal-in-Berlin/!6071209
[2] /Auto-faehrt-in-Demonstration/!6069575
[3] /Politische-Verantwortung/!6061843
[4] /Nach-dem-Anschlag-von-Magdeburg/!6056812
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[6] /Nach-Messerangriff-in-Mannheim/!6011617
[7] /Nach-Anschlag-auf-Weihnachtsmarkt/!6073259
[8] /Pkw-Attacke-in-Mannheim/!6073837
[9] /Deutsche-Geheimdienste-warnen/!6039805
[10] /Roderich-Kiesewetter-ueber-Ukrainekrieg/!6022054
[11] /Von-Notz-ueber-russische-Desinformation/!5996657
[12] /Hybride-Kriegsfuehrung/!6049672
[13] https://www.zdf.de/nachrichten/politik/deutschland/anschlaege-deutschland-…
[14] /Desinformationskampagne-Russlands/!6034158
[15] /Hybride-Kriegsfuehrung/!6049672
[16] /Hybrider-Krieg/!6070113
[17] /Mutmassliche-Sabotage-durch-Russland/!6064925
[18] /Palantir-in-Deutschland/!6078828
## AUTOREN
Konrad Litschko
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Sabotage
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