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# taz.de -- Quo Vadis Deutschrap: Ins Deutsche übersetzt
> HipHop ist hierzulande vielschichtiger als sein Ruf. Es gibt sogar
> Rolemodels für Künstlerinnen, Mackertum wird angeprangert. Ein
> Wasserstandsbericht.
Bild: Am Mikrofon: Haiyti alias Ronja Zschoche
Wir drehen uns seit ein paar Jahren im Kreis“, sagt der Rapper Casper vor
wenigen Tagen, als er im Podcast „All good“ von Jan Wehn nach dem Zustand
von Deutschrap gefragt wird. Er warte, schiebt Casper hinterher, auf den
nächsten Kreativitätsschub. Aktuell würde vieles, was Erfolg hat, am
Reißbrett entworfen werden.
In einem taz-Essay von Victor Efevberha kritisiert er, dass Deutschrap zu
zugänglich klinge und sein Mainstream „08/15-Hörer:innen“ anziehe. Schon
im Jahr 2019 bilanzierte das mittlerweile eingestellte HipHop-Magazin Juice
in einer Titelgeschichte provokant: „Capital Bra, Mero, Shirin David: Wann
platzt die Deutschrap-Blase?“
Blickt man auf die Realität von Deutschrap im vergangenen Jahr 2023, wird
klar: Diese Aussagen greifen zu kurz. Und die Frage des HipHop-Magazins von
vor vier Jahren ist insofern weiter interessant, als sich mittlerweile
herausgestellt hat: Es gab überhaupt keine Blase, die hätte platzen können.
Es gab auch keine kreishafte, sondern eine stetige Vorwärtsbewegung.
## Gesichter für Werbekampagnen
Viele Kämpfe um Legitimation, die Rapper*innen ausgetragen haben,
spielen heute keine Rolle mehr. Deutschrap wird selbstverständlich im Radio
gespielt, Rapper*innen geben seitenfüllende Interviews in bürgerlichen
Medien, halten als Gesichter für Werbekampagnen her.
Deutschrap findet nicht mehr zwangsläufig außerhalb des
Mainstream-Establishments statt. Damit geht zwar einerseits der Charme des
Undergrounds verloren und sein Outsider-Status, andererseits etablieren
sich etwa post-migrantische Perspektiven wie selbstverständlich in der
Mitte einer breiten Öffentlichkeit und inspirieren Popmusik zu neuen
Klangbildern.
Deutschrap hat sich längst in unzählige Nischen ausdifferenziert und
funktioniert nur noch als Überbegriff für ein Konglomerat von Strömungen,
die ästhetisch und inhaltlich oftmals keine Überschneidungen mehr
miteinander haben. Rap wird bis zur Unkenntlichkeit abstrahiert.
## Mashup mit Skibrille
Der technoide und via Tiktok verbreitete Mash-up-Sound eines Ski Aggu
oder der [1][Hyperpop von Haiyti] könnten nicht weiter entfernt sein von
den Kneipen-Milieu-Studien auf Funk-Sample-Beats von Morlockk Dilemma.
Daraus eine Untergrund-Mainstream-Dichotomie zu spinnen greift zu kurz.
Durch Plattformen wie Tiktok multiplizieren sich neue Soundwelten und
Themen innerhalb kürzester Zeit in den Fokus der Öffentlichkeit.
Und Künstler*innen können innerhalb ihrer Nischen durch Streaming große
Reichweite erzielen. Gleichzeitig werden im Poprap-Mainstream ehemalige
Nischen-Phänomene wie Drill, Trap, [2][Amapiano und Baile Funk] ins
Deutsche übersetzt.
Diese Ausdifferenzierung führt außerdem dazu, dass Deutschrap inhaltlich
mittlerweile vieles abdeckt, was im politischen und popkulturellen Diskurs
eine Rolle spielt. Im Positiven wie im Negativen. [3][Die EP „Autopilot“
des marxistischen hanseatischen Rappers Disarstar stieg in die Charts ein],
doch auch das Album „Weiß männlich kampfbereit“ des rechtsextremen Rappers
MaKss Damage war leider zumindest in den iTunes-Charts gelistet.
## Reime über Automatensprengung
Abseits davon gibt es deutschsprachige Rapmusik zu jedem erdenklichen Thema
von Automatensprengungen (X Wave Records), bis hin zu Ostberliner
Lokalkolorit (Teute Records). Alles darf, nichts muss, und letztlich kann
es, wenn das Soundbild stimmt, genauso interessant sein, wenn Ufo361 über
Schmuck rappt (und auf Instagram in einem Kleid posiert), [4][wie wenn die
Rapperin Ebow feministische Kämpfe aus postmigrantischer Perspektive
analysiert].
Der Statusgewinn von Deutschrap hat auch dazu geführt, dass Rapper*innen
ihren (kritischen) Blick stärker auf das eigene Umfeld richten. Der Hashtag
#Deutschrapmetoo sorgte für viele Debatten zum Thema Machtmissbrauch in der
Rapszene und generell über weibliche Repräsentation.
2020 sagte der Musikmanager Lucas Teuchner in einem Podcast mit OMR noch:
„Wir versuchen nie, Konkurrenz im eigenen Haus zu schaffen. Wir haben (…)
Loredana. Es macht für uns gar keinen Sinn, noch eine zweite Rapperin unter
Vertrag zu nehmen.“ Dass parallel dazu unzählige Künstler bei der Firma von
Teuchner unter Vertrag standen, schien hingegen kein Problem zu sein.
## Presslufthanna
Der Status quo des vergangenen Jahres war ein anderer. Deutschsprachige
Rapperinnen bedienen unterschiedliche Themenspektren, teils in Nischen wie
etwa die politisch ambitionierte Presslufthanna oder die sex-positive
Shoki, teils im Popmainstream wie Shirin David oder die schon erwähnte
Loredana, die Turbofolk in ihren Sound integriert. Im neuen [5][BR-Podcast
„50 Jahre HipHop – mit Songs in die Geschichte“] bezeichnet die Aurorin
Alba Wilczek die Band SXTN, bestehen aus den Rapperinnen Juju und Nura, als
Rollenmodelle.
Das Duo löste sich bereits 2018 auf, zwei Jahre vor der Aussage von
Musikmanager Teuchner. Sie waren ihrer Zeit ein paar Jahre voraus, denn
mittlerweile gibt es unzählige weibliche Rolemodels. „Es bringt nichts,
wenn Frauen da sind und nicht gesehen werden“, sagt Rapperin und
Wissenschaftlerin Reyhan Şahin im selben Podcast. Dieser Zustand des
„Nichtgesehenwerdens“ gehört der Vergangenheit an.
Selbst ein Kool Savas (der mit sexistischen Reimen bekannt geworden ist)
offenbart in einem Interview mit dem Spiegel einen Läuterungsprozess und
verurteilt nun Sex mit Fans. Auf die Frage, ob er nach dem Aufkommen von
#deutschrapmetoo Angst bekommen habe, antwortet der Berliner Künstler:
„Angst nicht“, und weiter: „Isch kannte ja die Backstage-Tourbus-Welt. Wir
müssen uns nichts vormachen: Wo es Macht gibt, wird diese auch
missbraucht.“
## Juristische Vorwürfe
Savas verfolgt mit dem Interview sicher auch Eigeninteressen und will
möglichen juristischen Vorwürfen zuvorkommen. Aber es ist ein Schritt in
die richtige Richtung. Auch wenn er keine schwerwiegenden Konsequenzen
fürchten muss.
Alle deutschen Rapstars, gegen die es in den letzten Jahren Vorwürfe gab –
wegen übergriffigen Verhaltens, Antisemitismus, finanzieller Ausbeutung von
Fans durch ein Coaching-Programm – blieben auch im Jahr 2023 noch
erfolgreich. Kollegah, Farid Bang und 187 Strassenbande veröffentlichen
weiter Musik, als wäre nichts gewesen. Auch wenn sich ihr Output
musikalisch im Kreis dreht.
Und damit sind wir bei einem wichtigen Punkt: Deutschrap als kulturelles
und soziales Konstrukt hat sich in vielen Bereichen positiv
weiterentwickelt – stetig. Die Kategorien Mainstream und Untergrund lösen
sich allmählich auf. Deutschrap als interessante Musik steckt, damit hat
Casper recht, aber in einer kreativen Krise, und das unabhängig von
Zugänglichkeit und Bekanntheitsgrad. Der eher unspektakuläre Grown Man Rap
auf Caspers 2023 erschienenem Album „nur liebe, immer.“ entzieht sich
diesem Problem im Übrigen auch nicht.
## In der Nische eingenistet
Viele Künstler*innen haben sich in ihrer Nische eingenistet, die
Qualität ihres Sounds und Songwritings perfektioniert, und nun
reproduzieren sie wieder und wieder. Parallel dazu werden Memes und
Pophits wie beim Berliner Skibrille tragenden Partyrapper Ski Aggu zu
lustigen, aber wenig nachhaltigen Partysongs verwurstet.
Und natürlich gibt es auch weiterhin massenhaft Adaptionen von Stilen aus
den USA wie Trap, was etwa bei T-Low lediglich wie eine weniger hochwertige
Kopie klingt. Die Konsequenz: eine Stagnation auf hohem Niveau. [6][Und
nebenbei eine Menge Ausschussware, die von Victor Efevberha in seinem Essay
ganz richtig als eine Art Schlager (im negativen Sinne) bezeichnet wird.]
Also drängt sich die Frage auf: Was kommt da noch?
Zum Beispiel der Rapper Pashanim, seit Jahren bedacht auf künstlerische
Verknappung und viel diskutierte Singles über Sonnenunter- und Hauseingänge
in Kreuzberg, hat via Instagram ein Album für dieses Jahr „wenn’s wieder
warm ist“ angekündigt. Dieses Werk könnte ein Großereignis werden, gespickt
mit versatzstückhaften Assoziationsketten, die mit wenigen Worten viel über
jugendliche Träume und Ängste erzählen.
Auch, weil Pashanim die Sounds der letzten beiden Jahrzehnte auf innovative
Art und Weise neu zusammensetzt. Oder Soufian, der in die Fußstapfen seines
von Lachgas in die Reha getriebenen Ziehvaters Haftbefehl tritt. Er behält
den Slang von der Straße bei, überträgt ihn aber in noch eindrucksvollere
und ausgefeiltere Narrative. Auf seinem „Rufftape 2“ klang das vergangenes
Jahr schon an.
Vielleicht folgt ein Übergang von Deutschrap zum Indie-, New-Wave- und
NDW-Revival. Künstler*innen wie Levin Liam, Neunundneunzig und die
Chemnitzer Blond sind hörbar von Deutschrap geprägt, übersetzten ihre
Sozialisation aber in gänzlich andere Genres. Deutschrap bleibt dabei als
Grundidee, als Attitüde, als Inspiration für Produktionsweisen, im
Songwriting und in den Outfits präsent.
Das wäre, um auf Casper zurückzukommen, ein Weiterdreh von dessen Album
„Xoxo“. Es hatte 2010 mit der Einschmelzung von Indie und Postpunk in
seinen Sound Deutschrap aus der kreativen Krise geholt. Post-Indie-Rock und
Post-Wave als neuer Deutschrap-Sound? Es könnte funktionieren. Und das wird
um einiges interessanter klingen als junge Talente, die halb-ironisch Songs
mit dem Pop- Produzenten-Langweiler Mark Forster aufnehmen.
11 Jan 2024
## LINKS
[1] /Neues-Album-von-Rapperin-Haiyti/!5475268
[2] /Amapiano-Boom/!5917256
[3] /Konzert-des-Rappers-Disarstar/!5967347
[4] /Neues-Album-von-Rapperin-Ebow/!5847972
[5] https://www.br.de/mediathek/podcast/schacht-wasabi-der-deutschrap-podcast/5…
[6] /Deutschrap-ist-totkommerzialisiert/!5924427
## AUTOREN
Johann Voigt
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