# taz.de -- Psychologin über weibliche Wut und Musik: „Wut sucht sich einen … | |
> Josefa und Vera Schmidt haben einen Konzertabend zum Thema weibliche Wut | |
> konzipiert. Die Basis dafür bilden Psychologie und persönliche | |
> Erfahrungen. | |
Bild: Wut bedeutet nicht immer, laut zu werden und etwas kaputt zu machen. Sie … | |
taz: Frau Schmidt, wie klingt die weibliche Wut? | |
Vera Schmidt: Vielseitig. Es ist wichtig, dass wir weibliche Wut mit allen | |
Facetten und ihren Abstufungen betrachten. Das muss gar nicht immer dieses | |
Stereotypisch-Aggressive sein. Es sind nicht immer die lauten Töne, die die | |
Musik machen. | |
Sondern? | |
Bereits die Momente davor, in denen wir uns vertreten und unsere Stimme | |
erheben. Besonders als [1][weibliche Komponistin] gehört schon | |
Durchsetzungskraft dazu, um sich in der Öffentlichkeit zu beweisen. Allein | |
dieser Schritt wurde in der Vergangenheit nicht ernst genommen und negiert. | |
Es geht also auch um Zwischentöne? | |
Genau. Wenn ich selbstbewusst meine persönlichen Grenzen schütze, | |
beobachten Außenstehende vielleicht eine Art der Gereiztheit. Dahinter | |
steckt aber die Wut, die sich komplex äußert. Es ist ein Klischee, dass | |
[2][Wut] bedeutet, laut zu werden und irgendetwas kaputt zu machen. Als | |
Psycholog:innen sind wir genau in der Betrachtung. Wir beobachten erst | |
einmal Formen des wutgetriebenen Verhaltens. Da geht es darum, in sich | |
hineinzuspüren und wahrzunehmen: Aha, ich bin wütend. Also muss wohl jemand | |
eine Grenze verletzt haben. Diesen Schritt bewusst wahrzunehmen ist zentral | |
für die Auseinandersetzung. | |
Und wie wird daraus ein Konzert? | |
Mit der Idee, dass ein Konzert wie gemacht dafür ist, innere Prozesse | |
anzuregen. Meine Schwester und ich haben beide einen musikalischen | |
Background. Ich habe mich aber beruflich zur Psychologie hin orientiert. Da | |
wir immer noch die Liebe zur Musik teilen, kam die Idee auf, ein | |
interdisziplinäres Projekt zu gründen, das psychologische Inhalte und | |
persönliche Erfahrungen in einem Konzert vereint. Das ist eine Collage aus | |
zeitgenössischer Klassik ausschließlich von Komponistinnen. Wir haben die | |
fantastische Kontrabassistin Rebecca Lawrence als Gästin, die Regisseurin | |
und Poetry Slammerin Aileen Schneider per Video zugeschaltet. Es ist dieses | |
Zusammentreffen von vielen Künstlerinnen und Disziplinen, was den Abend | |
besonders macht. Besonders wichtig ist uns die anschließende | |
Gesprächsrunde. In der Vergangenheit waren das berührende Erfahrungen. | |
Menschen haben viel von sich geteilt und sich untereinander ausgetauscht. | |
Natürlich hat das etwas Empowerndes, diese Gemeinschaft zu spüren und sich | |
zu verdeutlichen: Ich bin nicht allein damit. | |
Wie fand die Wut zu Ihnen oder Sie zur Wut? | |
Wir sind ja als Musikerinnen in der [3][klassischen Musikwelt] | |
sozialisiert. Das bringt eine gewisse Angepasstheit mit sich. Diese | |
musikalische Ausdrucksform ist ja schon ganz … – brav ist ein unpassendes | |
Wort. | |
Könnte man vielleicht sagen traditionell? | |
Ja. Und sehr hierarchisch. Es geht in der Klassik meist nicht darum, die | |
realen, unbequemen Seiten hinter der Perfektion zu zeigen. Das ist auch | |
darin begründet, dass man sich als weiblich gelesene Musikerin stark | |
anpasst, um es möglichst gut zu machen. | |
Sie sprechen aus Erfahrung? | |
Wir haben gemerkt, in welchen Momenten wir problematische Dinge weglächeln. | |
Und nicht unbequem sein wollen. Darüber haben wir uns definiert: dass wir | |
eben die Unkomplizierten sind. Deshalb war dieses Projekt für uns | |
persönlich spannend. Wir haben viel über uns gelernt und uns als Schwestern | |
ausgetauscht. | |
Diese Haltung knüpft an Ihren weiteren Aktivismus an. Sie setzen sich auch | |
für die Aufdeckung und Bekämpfung von Machtmissbrauch in der musikalischen | |
Hochschulwelt ein. | |
Ja, das ist auch ein strukturelles Problem, dass an Orten, wo Machtgefälle | |
herrschen, Machtmissbrauch stattfindet. So eben auch in der | |
Musikhochschulwelt. Man ist in sehr engem Kontakt mit den Lehrenden. Das | |
ist ein sehr körperbetonter Unterricht. Oft auch zu Hause, in privaten | |
Räumlichkeiten der Professor:innen. Deshalb haben wir eine Gruppe | |
gegründet, um Übergriffe speziell in der Klassikwelt öffentlich zu machen. | |
In anderen Musikgenres ist das allgegenwärtig, leider kommen immer wieder | |
schreckliche Taten ans Licht. Stichwort [4][Till Lindemann]. | |
Ich denke auch an die Initiative #Deutschrapmetoo, die speziell nur Fälle | |
aus der deutschen Rap-Szene aufgreift. | |
Mit denen waren wir auch in Kontakt – und haben dann beschlossen, dass wir | |
auch für die Klassikwelt ein eigenes Projekt starten müssen. Weil sie doch | |
viele Besonderheiten hat, diese klassische Musikszene. Durch die Kampagne | |
„Mapping Me Too“ wollen wir einen zentralen Ort schaffen, wo Menschen rote | |
Flaggen setzen können. An den Orten, wo ein Übergriff stattgefunden hat. | |
Das hat auch wieder mit dem Thema [5][„Female Rage“] zu tun: Wir sind so | |
wütend, wir müssen jetzt was tun. Wir können uns einfach nicht mehr still | |
verhalten. Wirklich erschütternd sind die Einzelberichte, die uns | |
erreichen. Da wird deutlich, dass noch viel mehr im Argen liegt. Viele | |
Dinge werden von Betroffenen oft nicht erzählt, aus Scham oder aus dem | |
Gefühl heraus, sowieso nichts dagegen machen zu können. Oder gar selbst | |
daran schuld zu sein. | |
Wie äußert sich die Unterdrückung von weiblicher Wut auf psychologischer | |
Ebene? | |
Ein gutes Beispiel ist dieses sogenannte hinterhältige Verhalten, das | |
jungen Mädchen oft nachgesagt wird. Das hat auch was damit zu tun, dass | |
junge Mädchen ihre Wut weniger vordergründig äußern können, somit auch | |
weniger für ihre Bedürfnisse einstehen. Dann bleibt oft nur der Weg, das | |
„hintenrum“ auszuleben. Auch selbstverletzendes Verhalten kann ein | |
Mechanismus sein, aber auch eine Depression: Bei den meisten psychischen | |
Verhaltenskrankheiten geht es darum, dass bestimmte Gefühle nicht | |
zugelassen werden. Ich würde sagen, dass Wut oft eine ganz große Rolle | |
spielt. Sie sucht sich einen Ausweg. | |
Welche feministischen Vorbilder haben Sie zu Ihrer Veranstaltung | |
inspiriert? | |
Für uns war das Buch „Speak Out“ von [6][Soraya Chemaly] sehr inspirierend. | |
Hier geht es vor allem darum, das Potenzial von weiblicher Wut zu erkennen | |
und für sich zu nutzen. So kann Wut als Motor für Aktivismus fungieren. Und | |
natürlich wurden wir von der Social-Media-Bewegung rund um [7][Me Too] | |
beeinflusst. | |
Wann hört die Arbeit im Kulturbetrieb auf und wo fängt Familie an? | |
Da gibt es bei uns keine Trennung. Es werden nachts | |
Whatsapp-Sprachnachrichten mit Ideen verschickt, für uns ist das aber eine | |
sehr schöne Art der Zusammenarbeit, weil einfach so ein großes Vertrauen da | |
ist. Natürlich gibt es mal Meinungsverschiedenheiten und es wird hitzig | |
diskutiert. Wir ergänzen uns aber gut: Josefa ist die ausübende Künstlerin | |
und ich mache eher den konzeptuellen Teil. Sie traut sich viel und macht | |
Dinge eher direkt, während ich alles sehr zerdenke. | |
9 Feb 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Komponistin/!t5652996 | |
[2] /Wut/!t5032960 | |
[3] /Klassische-Musik/!t5013261 | |
[4] /Lindemann-verliert-gegen-SZ/!5962705 | |
[5] /Weibliche-Wut-im-Kunsthaus-Hamburg/!5974976 | |
[6] /Misogynie-und-Rassismus/!5689403 | |
[7] /Schwerpunkt-metoo/!t5455381 | |
## AUTOREN | |
Neele Fromm | |
## TAGS | |
Klassische Musik | |
Feminismus | |
Hamburg | |
Wut | |
Schwerpunkt #metoo | |
Bremen | |
HipHop | |
wochentaz | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Musikerin über Frauen der Wiener Klassik: „Sie sind gefeiert worden“ | |
Die Komponistinnen der Wiener Klassik wurden fast systematisch vergessen. | |
Das junge Bremer Ensemble Namu spielt nun ihre Musik. | |
Quo Vadis Deutschrap: Ins Deutsche übersetzt | |
HipHop ist hierzulande vielschichtiger als sein Ruf. Es gibt sogar | |
Rolemodels für Künstlerinnen, Mackertum wird angeprangert. Ein | |
Wasserstandsbericht. | |
Kalsoumy Balde über Rassismuserfahrungen: „Diese Wut als Motor nutzen“ | |
Kalsoumy Balde studiert Kulturwissenschaften in Leipzig und ist in | |
postmigrantischen Gruppen aktiv. Ein Gespräch über Safer Spaces und | |
Empowerment. |