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# taz.de -- Lindemann verliert gegen „SZ“: Berichterstattung als Prävention
> Das Landgericht Frankfurt erklärt einen Bericht der „Süddeutschen
> Zeitung“ über Till Lindemann für zulässig. Damit stärkt es Recherchen zu
> #metoo-Fällen.
Bild: Klage abgewiesen – gut für die Pressefreiheit
Presserechtsverfahren können sehr kleinteilig sein. Da wird um einzelne
Worte in einem Zeitungstext gerungen, der Kontext abgeklopft, und nicht
zuletzt geht es um den Eindruck, der beim Publikum entsteht.
Rammstein-Sänger Till Lindemann klagte in den vergangenen Monaten gegen
unterschiedliche Medien. Mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg. Er wehrt
sich dagegen, wie Medien und Internetnutzer*innen das
„Casting-System“ beschreiben, mit dem Frauen auf Rammstein-Konzerten für
Partys und Sex mit ihm angeworben wurden.
In seinem Kampf gegen die Süddeutsche Zeitung, die als Erste groß über die
Vorwürfe berichtet hatte, muss Lindemann nun eine Niederlage hinnehmen. Die
Richterinnen des Landgerichts Frankfurt fällten Anfang September ein
Urteil, zu dem sie jetzt die Begründung formulierten.
Das Urteil stärkt nicht nur die Berichterstattung der SZ, sondern auch
Recherchen zu #metoo-Fällen generell. In vielen dieser Fälle gibt es nur
zwei Beteiligte, es steht Aussage gegen Aussage, Beweise gibt es selten.
## Aussage gegen Aussage
Das Frankfurter Gericht sagt nun, die Berichterstattung der SZ über die
schweren Vorwürfe war in diesem Fall trotzdem zulässig, auch wenn es nur
jeweils eine Zeugin gab. Es weist den Antrag von Lindemann auf Erlass einer
einstweiligen Verfügung gegen einen Bericht in der SZ zurück. Das Urteil
liegt der taz vor.
Es geht dabei um den ersten Artikel zu den Vorwürfen gegen Lindemann und
seine Band. Erschienen ist dieser Artikel am 2. Juni unter der Überschrift
„Am Ende der Show“. Eine Woche zuvor hatte die Irin Shelby Lynn im Internet
den #metoo-Skandal um Rammstein losgetreten. Die Rechercheur*innen von
SZ und NDR machten kurz darauf öffentlich, wie das „Casting-System“ rund um
die [1][Rammstein-Konzerte] funktionierte.
Der Text beschreibt vor allem die Erfahrungen zweier Frauen, die mit
Lindemann vor oder nach einem Konzert Sex hatten. Beide Frauen bestreiten
nicht, dass der Sex einvernehmlich war. Aber eine der beiden berichtet,
dass sie überrumpelt worden sei und Schmerzen beim Sex gehabt habe. Die
andere berichtet, nach einem Konzert in einem Hotel aus der
Bewusstlosigkeit aufgewacht zu sein, während Lindemann auf ihr gelegen
habe.
## Unausgewogen und vorverurteilend?
Till Lindemann, vertreten von dem Berliner Anwalt Simon Bergmann, wollte
große Teile des Textes verbieten lassen, darunter die detaillierten
Schilderungen der Betroffenen. Die Berichterstattung der SZ sei
unausgewogen, vorverurteilend und verletze das Persönlichkeitsrecht von
Lindemann, argumentierte Bergmann.
Dem widerspricht das Gericht. Die Richterinnen sehen ein „überragendes
öffentliches Informationsinteresse“, vor allem unter
„Präventionsgesichtspunkten“. „Dass junge Frauen systematisch für sexue…
Handlungen mit dem Kläger ausgesucht und diesem organisiert zugeführt
werden“, sei von erheblichem öffentlichen Interesse, heißt es in der
Urteilsbegründung.
Die „Intimsphäre“ von Lindemann sehen die Richterinnen nicht berührt, weil
Lindemann seine [2][Sexualität selbst immer wieder öffentlich] gemacht
habe. Er hat Gedichte darüber geschrieben, in einem Porno mitgespielt, hat
auf einem seiner Konzerte ein Video abspielen lassen, das ihn beim Sex mit
Frauen unter der Bühne zeigt. Ähnlich hatte auch schon das Landgericht
Hamburg in einem Verfahren argumentiert, dass Lindemann im Sommer gegen den
Spiegel führte.
## Öffentlich gemachte Sexualität
Das Gericht misst außerdem den beiden Frauen, die in der SZ unter Pseudonym
ihre Erfahrungen geschildert haben, eine hohe Glaubwürdigkeit zu, unter
anderem weil sie eidesstattlichen Versicherungen gegenüber der SZ abgegeben
haben. Solche Versicherungen werden in der Verdachtsberichterstattung, vor
allem in [3][#metoo-Recherchen], mittlerweile häufig genutzt, wenn sich
Erzählungen schwer beweisen lassen. Wer in einer eidesstattlichen
Versicherung lügt, macht sich strafbar.
Das Gericht sagt, dass die eidesstattlichen Versicherungen in diesem Fall
als Beleg geeignet waren. Denn auch wenn es nur eine Zeugin in einer
Situation gebe, könne so der „Mindestbestand an Beweistatsachen“ vorliegen.
Sonst „würde dies dazu führen, dass über einen möglichen Vorfall wie den
vorliegenden nie berichtet werden dürfte“.
Die Journalist*innen der SZ konnten vor Gericht nicht nur die
eidesstattlichen Versicherungen der betroffenen Frauen vorlegen, sondern
auch die von ihnen nahestehende Personen und Zeuginnen der Konzertabende.
## Aussagen der Frauen „wahrhaftig“
Lindemann hat seine Version nicht an Eides statt versichert. Zudem sei er
nicht auf konkrete Vorwürfe eingegangen, sondern habe sich auf die Aussage
beschränkt, dass alle sexuelle Kontakte mit Fans einvernehmlich gewesen
seien. Auch habe Lindemann nie das Casting-System bei Konzerten bestritten.
Die Richterinnen gehen daher von der „Wahrhaftigkeit der Angaben“ der
Frauen aus.
Schließlich beschäftigte sich das Gericht noch mit dem
Ermittlungsverfahren, dass die Staatsanwaltschaft Berlin im Juni gegen
Lindemann eingeleitet hatte, wegen Sexualdelikten und Verstößen gegen das
Betäubungsmittelgesetz.
Das Verfahren war Ende August eingestellt worden, auch deshalb, weil keine
Betroffenen sich bei der Staatsanwaltschaft gemeldet hatten. Lindemanns
Anwalt schlussfolgerte daraus, dass über den Fall nicht mehr berichtet
werden dürfe. Das lehnte das Gericht ab. Lindemanns Anwalt kündigte
gegenüber der taz an, in Berufung zu gehen.
## Lindemann geht in Berufung
Vor anderen Gerichten hatte Lindemann zum Teil mehr Erfolg. Das Landgericht
Hamburg hatte der SZ und dem NDR bereits einzelne Passagen aus einem
zweiten Rammstein-Bericht verboten. Auch dem Spiegel wurden vom Landgericht
Hamburg [4][Passagen untersagt]. So darf der Spiegel nicht mehr den
Eindruck erwecken, Lindemann habe Frauen mit K.-o.-Tropfen gefügig gemacht.
Diese Annahme hatte Shelby Lynn auf X geäußert. Auch gegen sie ist
Lindemann gerichtlich vorgegangen. Anders als beim Spiegel ließ das
Landgericht Hamburg Lynn die Aussage, sie sei unter Drogen gesetzt worden,
aber als Meinungsäußerung durchgehen.
12 Oct 2023
## LINKS
[1] /Konzerte-in-Berlin/!5943774
[2] /Sexualwissenschaftler-ueber-Till-Lindemann/!5939896
[3] /Der-Fall-Till-Lindemann/!5938658
[4] /Ermittlungen-gegen-Lindemann-eingestellt/!5954836
## AUTOREN
Anne Fromm
## TAGS
Rammstein
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Sexuelle Gewalt
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